Argentinien | Nummer 421/422 - Juli/August 2009

„Abtreibung ist immer noch gesellschaftlich geächtet“

Interview mit den argentinischen Feministinnen Daniela García und Soledad Ceballos

Daniela García und Soledad Ceballos arbeiten im argentinischen Zentrum für Kommunikation und Geschlechterbeziehungen in Córdoba. Dieses ist Teil der internationalen Radioinitiative Red de Nosotras en el Mundo, das Frauen auf der ganzen Welt miteinander vernetzt. Im Interview sprachen sie über drei zentrale Themen der Frauenbewegung in Argentinien: das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, den Kampf gegen häusliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen sowie Frauenhandel und Zwangsprostitution.

Helen Hahmann

Das Recht auf Abtreibung ist ein brisantes Thema in Argentinien. Kann eine Abtreibung dort momentan legal durchgeführt werden?
Daniela García: In Argentinien ist ein Schwangerschaftsabbruch laut Gesetz nicht strafbar, wenn die Schwangerschaft das Leben der Frau gefährdet oder wenn die Frau durch eine Vergewaltigung schwanger geworden ist. Jedoch werden in Argentinien nicht einmal diese beiden Gründe respektiert. Viele Ärzte weigern sich aus religiöser Überzeugung eine Abtreibung durchzuführen. Die Frauenbewegung kämpft deshalb erst einmal dafür, dass zumindest die Rechte, die das Gesetz einräumt, genehmigt werden. Außerdem wird gefordert, dass ein Schwangerschaftsabbruch legal durchgeführt werden kann. Seit 2003 gibt es in Argentinien eine nationale Kampagne, die für das Recht auf eine legale, sichere und kostenfreie Abtreibung eintritt.

Wie wird das Thema von Euch in die Öffentlichkeit getragen?
D. G.: Es gibt zahlreiche öffentliche Aktionen, beispielsweise werden Kundgebungen abgehalten, Plakataktionen gestartet, Theater gespielt, es gibt auch Filmvorführungen und Diskussionsrunden. Und es wird Lobbyarbeit betrieben. Eine kürzlich durchgeführte Initiative, die unter anderem von der nationalen Kampagne „Recht auf Abtreibung“ mit gestaltet wurde, hat es zumindest geschafft, dass die Problematik eines neuen Abtreibungsgesetzes im Parlament vorgetragen wurde.

Und konnte dadurch etwas bewirkt werden?
D.G.: Nein. Es gibt einfach keinen politischen Willen, das Gesetzesprojekt in die notwendigen Instanzen zu bringen, damit es genehmigt werden kann. Die Kampagne „Recht auf Abtreibung“ startet daher immer wieder Aktionen, damit die Abgeordneten über das Projekt diskutieren. Es ist offensichtlich, dass die Regierung von Cristina Fernández de Kirchner das Thema nicht voranbringen wird. Es besteht nicht einmal die Chance, dass darüber zumindest diskutiert wird.
Soledad Ceballos: Mal abgesehen davon, dass es keinen politischen Willen gibt und das Thema immer wieder verschoben wird, muss auch berücksichtigt werden, dass der Einfluss der katholischen Kirche ziemlich stark ist. Sie beeinflusst die Bevölkerungen Lateinamerikas nach wie vor sowohl publizistisch als auch politisch. So gab es sogar Rückschritte in den vergangenen Jahren: Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Nicaragua zum Beispiel wurde 2006 wieder zurück genommen.
D.G.: Die Folge ist, dass in Argentinien die medikamentösen Schwangerschaftsabbrüche im letzten Jahr rasant angestiegen sind. Dadurch wird es immer schwieriger, an die Medikamente heranzukommen und die Frauen suchen andere, gefährliche Methoden für Schwangerschaftsabbrüche. Sie führen sich jedwede Substanz oder gar Objekte ein, um ihre Schwangerschaften zu beenden. Viele Frauen sterben bei diesen Versuchen.

Inwieweit unterstützt die Regierung die Frauen, damit es gar nicht erst zu ungewollten Schwangerschaften kommt?
S.C.: Seit 2002 gibt es ein Gesetz, das die sexuellen und reproduktiven Rechte der Frauen schützt. Jedoch werden ihnen praktisch nicht einmal die grundlegendsten Dinge garantiert, wie zum Beispiel das Recht auf Verhütungsmittel oder medizinische Beratung. Das nationale Programm zur sexuellen Gesundheit hat noch eine weitere Schwachstelle, denn es gelingt der Regierung nicht, alle Bewohner des Landes zu erreichen. Die Leidtragenden sind oftmals Frauen aus ärmeren Bevölkerungsschichten. Denn sie sind vom Gesundheitszentrum ihres Viertels abhängig, haben keine soziale Absicherung und können es sich nicht leisten, ein größeres Krankenhaus aufzusuchen. In den kleinen Gesundheitszentren gibt es aber häufig keine Verhütungsmittel und außerdem werden dort wichtige Informationen zum Beispiel über Verhütung einfach nicht bereitgestellt. Das hat auch dazu geführt, dass sich die Zahl der Todesopfer durch heimliche Schwangerschaftsabbrüche erhöht hat.
D.G.: So sind es die Frauen ohne finanzielle Ressourcen, denen der Weg zu einer gesundheitlich vertretbaren Abtreibung versperrt bleibt. Erschwerend kommen die Schuldgefühle hinzu, da den Frauen gesellschaftlich nicht suggeriert wird, dass sie ihr freies Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper wahrgenommen haben, sondern dass sie sich eines kriminellen Aktes schuldig gemacht haben, der von der Gesellschaft geächtet wird.

Gab es im Kampf um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in den vergangenen Jahren dennoch kleine Erfolge?
D.G.: Ich denke ein großer Verdienst der Kampagne „Recht auf Abtreibung“ ist es, dass das Thema Schwangerschaftsabbruch in die Öffentlichkeit getragen worden ist. Die Leute sprechen darüber, diskutieren. Es ist also nicht mehr nur eine private Angelegenheit jeder einzelnen Frau. Es wurde eine Realität geschaffen, in der wir über das Thema debattieren und in der Vorschläge gemacht werden können. Und das auf einer Ebene, die nicht den Fall einzelner Frauen betrachtet, sondern eine Auseinandersetzung auf einer gesellschaftlichen Ebene erlaubt.

Ein weiteres Problem ist die innerfamiliäre und sexuelle Gewalt gegen Frauen. Wie klärt ihr darüber auf?
S.C.: Es gibt Aktionen, die sich vor allem auf die Prävention und Verringerung der Gewalt gegen Frauen konzentrieren. Im März dieses Jahres wurde ein Gesetz verabschiedet, das Gewalttaten gegen Frauen sanktioniert. Das heißt natürlich nicht, dass die Gewalttaten deshalb aufhören. Dazu gehört eben auch eine öffentliche Politik, das heißt, dass die Gesellschaft für das Thema sensibilisiert wird. Es ist ein Thema das alle angeht und nicht nur unter Frauen diskutiert werden sollte. Die täglichen Fälle, über die in der Presse berichtet wird, werden aber oft als isolierte Fälle abgebildet. Die Berichterstattung liefert ziemlich archaische, stereotype Entschuldigungen dafür, warum eine Frau Opfer von Gewalt geworden ist. Dabei wird die Erziehung unserer Kinder und das Bild, das ihnen über die Macht- und Gewaltbeziehungen zwischen Männern und Frauen in der Gesellschaft vermittelt wird, völlig außer Acht gelassen. Wir Frauen sind keine Minderheit, wir sind die Hälfte der Weltbevölkerung! Die Anzeige einer Frau, die geschlagen wurde und Hilfe bei der Polizei sucht, wird oft genug von den Beamten zurückgewiesen. Diese nehmen sie nicht ernst, schicken sie wieder nach Hause. Es herrscht eine Situation, in der Frauen auf Grund von kulturellen Leitbildern entrechtet werden. Dieses Rollenverständnis und die damit einhergehenden Machtbeziehungen müssen aufgebrochen werden.
D.G.: Gewalt von Männern gegen Frauen ist keine alleinige Angelegenheit der Entwicklungsländer oder geschieht nicht ausschließlich in Familien mit geringen finanziellen Mitteln. Es ist ein Problem der ganzen Gesellschaft und kommt in allen sozialen Klassen vor. In reicheren Familien werden Fälle von Gewalt oder auch Vergewaltigung innerhalb der Ehe oft nicht zur Anzeige gebracht. Eine reiche Frau zum Beispiel wird wahrscheinlich die Hilfe des Staates nicht in Anspruch nehmen und lieber ihren Psychologen aufsuchen.
Gibt es noch andere Themen, auf welche die Frauenbewegung in Argentinien derzeit ihre besondere Aufmerksamkeit gelenkt hat?
D.G.: Ein drittes Thema, das uns derzeit stark beschäftigt, ist der Handel mit Frauen und Kindern. Auch hier gibt es Kampagnen auf nationaler Ebene. Es ist unglaublich, wie viele Frauen in einer Demokratie verschwinden, weil sie Opfer von Menschenhändlern werden, die die Frauen zur Prostitution zwingen. Frauen aus Lateinamerika, vor allem aus Argentinien, Paraguay und Mittelamerika, werden nach Europa geschmuggelt. Es gibt geheime Netzwerke, die unbehelligt arbeiten können, weil es unglaublich kompliziert ist, die Verantwortlichen ausfindig zu machen und die Fälle aufzuklären. Häufig sind Polizei und Politiker selber involviert. Der Menschenhandel ist mittlerweile nach dem Waffenhandel das zweit rentabelste Geschäft der Welt geworden. Hat man diese Dimension vor Augen wird deutlich, warum es so äußerst schwierig ist dagegen etwas auszurichten.

// Interview: Helen Hahmann

Red de Nosotras en el Mundo
Red de Nosotras en el Mundo ist eine Radioinitiative, die sich für den thematischen Austausch von Frauen zwischen Europa und Lateinamerika einsetzt. Koordiniert wird das Projekt von Radio Vallekas in Madrid und dem Zentrum für Kommunikation und Geschlechterbeziehungen in Córdoba, Argentinien. Die von der Initiative produzierten Audiobeiträge werden in verschiedenen freien Radios in Europa und Lateinamerika gesendet. Die Reportagen und Interviews berichten über Themen der Frauenbewegung, beleuchten feministische Ansätze, behandeln Gender-Themen oder klären über sexuelle Gesundheit und Frauenrechte auf. Aber auch Berichte aus Kunst und Kultur werden spanischsprachigen Frauen auf diesem Weg zugänglich gemacht. Auf der Internetseite www.rednosotrasenelmundo.org werden alle Audiobeiträge in einer Datenbank zur Verfügung gestellt. Informationen zur Nationalen Kampagne für das Recht auf Abtreibung unter www.derechoalaborto.org.ar

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