Argentinien | Nummer 411/412 - Sept./Okt. 2008

Agrarbusiness setzt sich durch

Ein Kommentar aus Uruguay zur aktuellen Agrarpolitik in Argentinien

Das Kräftemessen zwischen den AgrarproduzentInnen und der argentinischen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner haben die Sojabarone und ihre Verbündeten vorerst für sich entschieden. Der Konflikt in Argentinien ist auch für andere Agrarexportländer in Südamerika von Bedeutung, meint die uruguayische Politologin Constanza Moreira von der Universität der Republik in Montevideo in einem Kommentar. Nachfolgend handelt es sich um eine leicht gekürzte Übersetzung des am 21. Juli 2008 in der uruguayischen Tageszeitung La República erschienenen Originalkommentars.

Constanza Moreira, Übersetzung: Stefan Thimmel

Der Konflikt zwischen der Regierung und den AgrarproduzentInnen in Argentinien wurde zumindest für den Moment beigelegt. Indem Vizepräsident Julio Cobos bei der Abstimmung über die Erhöhung der Quellensteuer für Agrarexporte mit einer überraschenden Geste im Senat für eine Pattsituation sorgte, wurde das entsprechende Gesetz nicht verabschiedet.
Die Steuer auf Exporte wurde ursprünglich als Dekret entworfen, aufgrund der Proteste im Landwirtschaftssektor schließlich aber dennoch dem Parlament vorgelegt. Anfang Juli stimmten die Abgeordneten in der zweiten Kammer des Parlamentes knapp für die Vorlage. Im Senat kam diese aufgrund des unerwarteten Votums des Vizepräsidenten allerdings nicht durch. Das Verhalten von Cobos und die Pattsituation im Senat sind Ausdruck einer tiefen politischen Spaltung in der Frage, welches die Ziele und Instrumente der ökonomischen Entwicklung sind. Um zu verstehen, wer die Abstimmung im Senat vom 18. Juli 2008 gewonnen hat, lohnt es sich zu rekapitulieren, wer die AgrarproduzentInnen, ihre politischen Alliierten und ihre GegnerInnen sind.
Von den rund 330.000 landwirtschaftlichen ProduzentInnen in Argentinien waren etwa 70.000 in die Proteste der letzten Monate verwickelt. Ihre Anbauflächen befinden sich in der so genannten Feuchtpampa, die die Provinzen von Buenos Aires, Entre Rios, Santa Fé, La Pampa und Teile der Provinz Córdoba umfasst. Hier konzentrieren sich 88 Prozent der Sojaproduktion des Landes.
Die große Mehrheit der AgrarproduzentInnen sind hingegen Kleinbauern und -bäuerinnen, die auf ihren Anbauflächen leben und den Binnenmarkt beliefern. Diese wären von den vorgesehenen erhöhten Exportzöllen nicht betroffen gewesen. Die Steuererhöhung hätte vielmehr die AgrarexporteurInnen getroffen, allen voran die SojaexporteurInnen.
Soja wird auf riesigen Flächen angebaut. Die Sojaproduktion boomt seit Mitte der 1990er Jahre und wird vornehmlich von Familien der Oberschicht betrieben. Ebenso wie in Paraguay und seit einiger Zeit in Brasilien wurden auch in Argentinien Kleinbauern und -bäuerinnen und BesitzerInnen von kleinen Parzellen von ihrem Boden vertrieben und zum Verkauf ihres Landes gezwungen. Die erfolgreichen Proteste der Landbesitzervereinigungen bekräftigen nun dieses Modell, anstatt es in Frage zu stellen.
Wer aber sind die GegnerInnen der geplanten Erhöhung der Exportzölle? Sie vereinen einerseits Opponenten des „Kirchnerismus“ wie Elisa Carrío, die eigentlich den Mitte-Links-Flügel der argentinischen Politik repräsentiert, und Eduardo Duhalde, der Nestór Kirchner in seiner Anfangszeit als Präsident unterstützt hatte. Andererseits lehnten der Bürgermeister von Buenos Aires, Mauricio Macri, sowie die Brüder Rodríguez Saa oder Carlos Reutemann als Repräsentanten der Rechten die Maßnahmen ab.
Bei den Gewerkschaften spaltete sich [an der Frage der Exportzölle, Anm. d. Red.] die peronistische CGT. Die unabhängigen Gewerkschaften wie die CTA unterstützten ebenso wie die Menschenrechtsorganisationen die Regierung.
Auch Intellektuelle äußerten sich zum Thema. Eine Gruppe von „ÖkonomInnen gegen den Lockout“, zu der einige namhafte VertreterInnen der argentinischen Nationalakademie gehören, schrieb in ihrem Blog: „Die Steuern sind ein Werkzeug, um zu verhindern, dass die ansteigenden internationalen Preise die nationalen Preise beeinflussen und um eine diversifizierte Produktion zu begünstigen.” Sie erklärten, dass durch derartige Steuern die Inflation kontrolliert werden könne, weil sie sich auf lange Sicht positiv auf einen wettbewerbsfähigen Wechselkurs auswirkten. Die Proteste der SteuergegnerInnen beurteilten sie folgendermaßen: „Wir sehen mit Besorgnis, dass der aktuelle Druck zum Ziel hat, den regulativen Spielraum des Staates zu beschränken.“
Der Ökonom Mario Rapoport hat eine Analyse der Beziehungen zwischen dem Agrarexportsektor und der argentinischen Politik im 20. Jahrhundert durchgeführt. Er zeigt dabei auf, wie sich die durch große Gewinne mächtig gewordene Agraroligarchie immer wieder dem demokratischen Projekt widersetzte und die Politik destabilisierte. So wurde beispielsweise das wiederholte Scheitern des Präsidenten Hipólito Yrigoyen (1919, 1922 und 1924) beim Versuch, eine Steuer auf die Gewinne zu erheben, wie heute von einer konservativen Mehrheit im Senat vereitelt. Außerdem erklärt Rapoport, dass „die Konzentration des Landes nicht nur ein Hindernis in Bezug auf die produktive Verarbeitungskette ist, sondern durch die politische Macht der Landbesitzer auch verhindert, dass die Gewinne des Agrarsektors durch eine Grundsteuer oder relevante Exportzölle belegt werden.“
Das ist der Charakter des Konfliktes um die Exportabgaben in Argentinien. Dabei ist es wichtig zu verstehen, wer hier wen repräsentiert, ganz unabhängig von einer Bewertung über die Art der Auseinandersetzung. Die Niederlage der Regierung Cristina Fernández de Kirchner markiert eine Neugruppierung der Kräfte der Rechten innerhalb und außerhalb des Peronismus. Und die Wahl von Mauricio Macri in Buenos Aires hat gezeigt, dass die argentinische Rechte, die durch das „Sie sollen alle abhauen“(„Que se vayan todos“, Ende 2001) einen herben Schlag erlitten hatte, sich neu gesammelt hat und nicht wenige Anhänger mobilisieren kann.
Das, was in Argentinien passiert ist, ist für andere Agrarexportländer wie Uruguay sehr lehrreich. Die Lebensmittelpreise explodieren und die Preise für fruchtbares Land steigen weiter an. Studien zeigen, dass das außergewöhnliche Wachstum des Agrarsektors in Uruguay nicht nach unten durchgesickert ist: Die Beschäftigungszahlen im Agrarsektor sind zurückgegangen und die Löhne sind gesunken.
Erinnern wir uns, dass der Batllismus [zurückgehend auf den Reformpräsidenten José Batlle y Ordoñez, Anm. des Übers.] zu Beginn des letzten Jahrhunderts auf der Basis der Gewinne entstanden ist, welche auf dem Land geschaffen wurden und welche unter der Mittelklasse, den ArbeiterInnen und dem Staat verteilt wurden. Und erinnern wir uns, dass der zweite Batllismus versuchte, dieses Modell neu aufzulegen. Die Phasen des ersten und zweiten Batllismus sind in Uruguay diejenigen Perioden des 20. Jahrhunderts mit dem höchsten Wohlstand, sie werden als „goldene Zeit“ erinnert. Ohne einen eingreifenden Staat, der in der Lage ist, die Gewinnsucht der Agrarexporteliten zu begrenzen, wäre dieses Modell der sozialen Modernisierung in der uruguayischen Geschichte nicht möglich gewesen. Was wir zurzeit in Argentinien sehen ist eine Auseinandersetzung eines neuen Typs, die jedoch auf einem alten politischen Konflikt beruht. Ein Konflikt, der unsere Länder bestimmt hat, seit wir unabhängig wurden.

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