Film | Nummer 284 - Februar 1998

Akzentfrei Deutsch

“Los Civilisadores – Deutschtum in Guatemala“ von Uli Stelzner und Thomas Walther

Inge Schleehauf ist empört, nach Guatemala eingewandert, hat sie auf ihrer Finca eine Schule errichtet. Dort ließ sie nicht nur ihre eigenen, sondern auch die Kinder der Campesinos pauken. Zum Beispiel, wie man „Lobe den Herrn“ und „Einigkeit und Recht und Freiheit“ singt – auf deutsch natürlich. Und nun stellen dieselben Menschen, denen sie früher Lebertran eingeflößte, die sie „von Läusen befreit“ hat, sich hin und klagen Rechte ein, fordern ihr Land zurück: „Eine Freundin hat immer gesagt: Der Indianer ist falsch. Jetzt weiß ich, daß sie recht hatte.“

Bettina Bremme

Sie besitzen Textilfabriken und Kaf-
feeplantagen, die „Bremen“ oder „Westfalen“ heißen, vertreten deutsche Reedereien, BASF und Mercedes Benz auf guatemaltekischem Boden. Sie sprechen auch in der dritten Generation fast akzentfrei deutsch und feiern Gartenparties, die – vom einheimischen Servierpersonal abgesehen – den Charme eines mittelständischen Betriebsfestes in der deutschen Provinz verströmen: „Los Civilisadores – Die Zivilisationsbringer“ – dieses Selbstverständnis ist bei den deutschstämmigen Guatemalteken, die Uli Stelzner und Thomas Walther für ihr Dokumentarvideo interviewten, immer noch ungebrochen. Bereitwillig kramen die Alten in Erinnerungen und die Jüngeren in der familiären Fotoschatulle. Mit Ausnahme der ehemaligen Kolonien gibt es kein anderes Land, in dem Deutschstämmige eine so dominante Position in Wirtschaft und Politik einnehmen wie in Guatemala. Die erste Einwanderungswelle wurde durch den Kaffeeboom Ende des letzten Jahrhunderts ausgelöst. „Fröhliche, glückliche, erfolgreiche Leute“, seien die meisten von ihnen hier geworden, schwärmt der 97jährige Plantagenbesitzer Hugo Droege. „Sehr arbeitsam“ seien die Deutschen, meint ein guatemaltekischer Ladenbesitzer anerkennend.
Peu à peu setzt sich aus Gesprächen und historischem Material ein Mentalitätspanorama zusammen. Zum Beispiel von Patriarchen alter Schule à la Droege: Nach dem verlorenen 1. Weltkrieg hielt er es in Deutschland nicht mehr aus. Im deutschen Club von Guatemala, den lange Zeit noch eine Kaiser-Wilhelm-Büste schmückte, fand er seine Enklave: „Unser Club war natürlich sehr konservativ, also Sozis und das fanden wir alle furchtbar. Die Leute waren sehr deutsch-national alle, das wird man ja hier draußen.“ Hier draußen – ein paradoxer Ausdruck für jemanden, der 75 Jahre seines Lebens in Guatemala verbracht hat. Die 97jährige Mathilde Dieseldorff-Quirin, die immerhin eine indianische Großmutter hat, konserviert zwischen Plüschsofas und Familienreliquien das Deutschlandbild der Ewig-Gestrigen, blättert in einem Buch mit Fotos von Hitler und Rudolf Hess.
Im Gegensatz zu ihren Filmreportagen „Ojalà“ und „Romper el cerco“ (1994), die kämpferisch Position für die linke Opposition und die Bürgerkriegsflüchtlinge in Guatemala bezogen, haben sich Uli Stelzner und Thomas Walther diesmal in ein ganz anderes Milieu begeben. Zwar werden fortlaufend Kontraste hergestellt zur Welt der gutbürgerlichen Wohnstuben und klimatisierten Büros, weisen Straßenszenen und Äußerungen von Landarbeitern auf die anderen guatemaltekischen Realitäten hin. Der Fokus liegt jedoch bei den Deutschstämmigen: Wie sie sich präsentieren, wie sie Erinnerung inszenieren, wie sie lästige Fragen abwimmeln oder sich, ohne es zu merken, selbst vorführen. Die Filmemacher verzichten weitgehend auf Kommentare oder einen konfrontativen Interviewstil – letzteres nicht zuletzt deshalb, weil gerade einige der jüngeren Deutschguatemalteken wohl clever genug waren, an bestimmten Punkten mißtrauisch zu werden. So existiert auch ein ziemlicher Unterschied zwischen der unverhohlenen Nostalgie, mit der einige der alten Leute von der mit Hitler befreundeten Ubíco-Diktatur schwärmen, und den schwammigen Kommentaren zu den Menschenrechtsverletzungen der jüngsten Vergangenheit. Die Grenzen zwischen tatenlosem Zuschauen und Verdrängen, demonstrativer Abscheu angesichts der Massaker und beflissener Selbstrechtfertigung sind fließend: „Sehr betrüblich“, „sehr unangenehm“, „schwierige Sachen“, „maßlos übertrieben“. Nur Inge Schleehauf – die übrigens Lehrerin an der deutschen Schule ist – meint: „Das Land würde nur besser werden, wenn es eine rechte Diktatur wäre“. Ein Geschäftsmann dagegen hofft, daß es jetzt endlich „eine ordentliche Demokratie“ geben werde. Wenn bei der Gartenparty des „Asociación de Humboldt“ die Hymne der überseeischen Mutterscholle ertönt, springen alle auf und singen „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Beim anschließenden Small-talk versucht man die lästigen Filmemacher mit Meinungshäppchen abzuspeisen. Zum Beispiel: „Es wird immer Reiche und Arme geben“ oder „Als Ausländer hält man sich hier zurück.“

„Los Civilisadores/ Die Zivilisatoren – Deutschtum in Guatemala, Deutschland 1997, Regie: Uli Stelzner und Thomas Walther, Video, 130 Minuten.

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