Haiti | Nummer 235 - Januar 1994

Allianz gegen die Rückkehr

Haitis Militärs und US-Rechte im Einklang gegen Aristide

Gegenwärtig wird das von den Vereinten Nationen verhängte Ölembargo ein­gehalten, so daß Ende Januar die Reserven in Haiti zuendegehen dürften. Ir­gendwann müssen die Militärs den Druck der internationalen Gemeinschaft akzeptieren und den gewählten Präsidenten Aristide ins Land zurücklassen. Für die HaitianerInnen ist dies noch eine lange Durststrecke angesichts der ge­genwärtigen katastrophalen Versorgungssituation. Viele sind auf der Flucht, die Menschen aus der Stadt aufs Land, die Kleinbauernfamilien vom Land in die Stadt.
Der amtierende Ministerpräsident Malval droht, sein Mandat am 15. Dezember niederzulegen. Seit seinem Amtsantritt haben die Militärs und ihre “Attaché”-Banden mit brutalem Terror regiert. Malval hatte nur Premierminister des Übergangs, der Reinstallation einer verfassungsgemäßen Regierung sein wol­len. Das wird ihm bis zum 15. Dezember nicht gelingen – ob Aristide ihn zum Bleiben überreden kann, ist fraglich. Letztendlich gibt es zur Rückkehr Aristi­des keine Alternative. Die Hoffnung der HaitianerInnen auf die Rückkehr ihres Präsidenten ist das einzige, was viele noch am Leben hält.

Heiner Rosendahl

Seit dem offiziellen Amtsantritt Malvals am 2. September 1993 hat sich die Situa­tion in Haiti ständig verändert, man muß eigentlich von einem zweiten Staatsstreich sprechen. Bei der Amtseinführung Mal­vals demonstrierte 2000 Schaulustige für die Rückkehr Aristides. Der frisch einge­führte Premierminister befand sich zu­sammen mit seiner Präsidentengarde mit­ten in der Menge, als relativ wenige “Attachés” diese spontane Demonstration auseinanderprügelten. Die berüchtigten “Attachés”, Zivilisten im inoffiziellen Po­lizeidienst, erklärten, daß die verfassungs­gemäße Regierung die Regierungsge­bäude übernehmen könne, aber daß sie die Straße beherrschten. Und genau dies ha­ben sie jeden Tag mit größerer Brutalität bewiesen.
Vor allem haben sich die verschiedenen und isoliert arbeitenden Gruppen, die Re­ste der “Tontons Macoutes”, die Duvalie­risten, die Bande um den ehemaligen Diktator General Avril und die “Attachés” um Polizeichef Michel Francois zusam­mengeschlossen und agieren nun koordi­niert.
– Am 8. September verhinderten sie mit einem Blutbad, daß der Bürgermeister von Port-au-Prince nach zweijährigem Exil wieder in das Rathaus einzog.
– Am 11. September ermordeten sie An­toine Izmery, einen der reichsten Män­ner Haitis, der Aristides Wahlkampf mitfinanziert hatte und viele Basis­initiativen unterstützte. Wie die UN-MenschenrechtsbeobachterInnen in ih­rem Bericht nachwiesen, waren hohe Polizei- und Militärstellen Haitis an diesem Mordkomplott beteiligt.
– Am 7. Oktober waren die bewaffneten Banden von “Attachés” und Duvalie­risten dann so stark, daß sie – ohne offi­zielle Erklärung der Armee – den Bela­gerungszustand über Haiti verhängen konnten, und am 11. Oktober verhin­derten sie die Landung der UN-Solda­ten im Hafen von Port-au-Prince. Sie umfuhren das US-Kriegsschiff mit ei­nem kleinem Boot und schwenkten die haitianische Fahne. Am 14. Oktober ermordeten sie Justizminister Guy Ma­lary. Armeechef Cedras trat nicht wie vorgesehen am 15. Oktober zurück, und die Rückkehr von Präsident Aristide wurde unmöglich.

Keine klare US-Politik gegenüber Haiti

Die Bush-Regierung hatte zwar offiziell die Forderung der Rückkehr von Präsident Aristide unterstützt, sie jedoch in keiner Weise gefördert. Der Sohn von George Bush war an Öllieferungen an die Putschi­sten während des ersten Embargos betei­ligt.
Clinton gewann die Wahlen gegen Bush auch mit der Unterstützung der von Ari­stide mobilisierten Minderheiten in den USA. Clinton versprach nicht nur eine an­dere Behandlung der haitianischen Flüchtlinge in den USA, sondern auch wirksame Aktionen für die Rückkehr Ari­stides.
Es dauerte Monate, bis die Clinton-Admi­nistration sich der Putschistenbefürworte­rInnen im Weißen Haus, im Außenmini­sterium und in der US-Bot­schaft in Haiti entledigen konnte. Folge dieser Wühlar­beit der AristidegegnerInnen in den ersten Monaten, als sie noch im Appa­rat saßen, waren offene Rüffel von Clin­ton gegen Aristide, daß dieser sich gefäl­ligst konzili­anter zu verhalten habe, er dürfe die haitianischen Militärs nicht be­drohen, sonst würde die aus Angst nicht die Macht abgeben. Als die Aristidegeg­ner aus den Haiti-policy-making Instanzen (außer CIA und Pentagon, dort haben sie sich bis heute halten können) verdrängt waren, gingen sie zum offenen Angriff über. Da sollte per Gesetzesinitiative eine Invasion in Haiti an die Zustimmung des Kongres­ses gebunden werden, da wurden CIA-Be­amte beauftragt, in Anhörungen des Par­lamentes ein Bild von Aristide als Mord­brenner zu verbreiten.

Pentagon versus Clinton

Das US-Kriegsschiff Harlan County, das die UN-Soldaten am 11. Oktober in Haiti absetzen sollte, drehte nach erstem Wider­stand im Hafen von Port-au-Prince Rich­tung Guantanamo ab. Obwohl das Schiff Soldaten transportierte, die unter UN-Kommando standen, lag die Befehlsge­walt über den Kurs des Schiffes einzig bei den USA beziehungsweise beim Penta­gon. Der vorschnelle Abzug kann als of­fener Affront gegen Clinton gewertet wer­den, der seine Autorität in Frage stellte. Die UN wurden nicht konsultiert und erst im nachhinein informiert.
Als der Weltsicherheitsrat Anfang No­vember schärfere Maßnahmen gegen die Putschisten diskutierte, publizierte ein “Bevölkerungsinstitut der Harvarduniver­sität” ein Gutachten, demzufolge monat­lich 1000 Kinder mehr an den Folgen des Embargos sterben. Das Embargo war nicht einmal eine Woche alt. Der Sicher­heitsrat setzte die Debatte ab und ent­sandte eine Mission, die die humanitären Folgen des Embargos prüfen sollte.

Putschisten auf der Söldnerliste: Die Geschichte von CIA und SIN

Tatsächlich ist die Zusammenarbeit zwi­schen US-Rechten und haitianischen Mi­litärs überhaupt nichts neues. 1986 begann die CIA mit dem Aufbau eines haitiani­schen Geheimdienstes mit dem Namen Service Intelligence National (SIN). Offi­zielles Ziel des SIN sollte die Bekämp­fung des Kokainschmuggels sein. Prak­tisch aber bekämpfte der SIN politische Gegner mit terroristischen Maßnahmen, und viele Mitarbeiter gelten selbst im Drogenschmuggel verwickelt. Drei frü­here Chefs dieser Organisation, Oberst Ernst Proundhomme, Oberst Diderot Syl­vai und Oberst Leopold Clerjeue, stehen auf der Liste des US-Finanzministeriums, deren Guthaben in den USA auf­grund der Sanktionen gegen die führenden Putschi­sten in Haiti eingefroren sind.
Der CIA selbst bezahlte bis zum Putsch im September 1991 Schlüsselfiguren der haitianischen Putschisten, die jetzt an der Macht sind, für politische und militärische Informationen.
Die USA investierte in die Organisation SIN mehrere Millionen Dollar, die offizi­ell zur Drogenbekämpfung dienen sollten. Die Informationen, die SIN allerdings hierzu lieferte, blieben recht dürftig. Nachgewiesen ist vielmehr, daß führende Mitarbeiter dieser Organisation an politi­schen Terroraktionen gegen Aristide-Un­terstützerInnen beteiligt waren. So etwa am 2. November 1989, als der SIN-Chef Oberst Ernst Proundhomme das Verhör und die Folter gegen den jetzigen demo­kratisch gewählten Bürgermeister von Port-au-Prince, Evas Paul, leitete. Bei den Folte­rungen war ebenfalls Oberst Cler­jeue, der spätere SIN-Chef, anwesend. Evas Paul erlitt fünf Rippenbrüche und Nieren-Ver­letzungen.
Schon 1988 gerieten die Beziehungen zwischen CIA und SIN in eine kritische Phase, dauerten aber auf jeden Fall bis zum Putsch 1991 an. Die US-Drogenbe­hörde DEA beschreibt die SIN in einem Bericht von 1992 so: “SIN ist eine Dro­genbekämpfungseinheit, die häufig mit der CIA zusammenarbeitet.” Ein Mitar­beiter der US-Botschaft in Port-au-Prince klassifiziert den SIN folgendermaßen: “SIN ist eine militärische Organisation, die Drogen in Haiti verbreitet. SIN hat nie Informationen über den Drogenhandel ge­liefert. Die Gelder zur Drogenbekämpfung wurden eingesetzt, um politische Gegner zu bekämpfen.”

Die Militärs: Geschäftemacher und Duvalieristen

In Haitis Militär werden die Offiziere fast ausschließlich auf der Basis von Famili­enbeziehungen und politischer Orientie­rung ausgewählt. Diese streng kontrol­lierte Vetternwirt­schaft hat ein tief kon­servatives Offiziers­corps hervorgebracht. Der clanartige Cha­rakter der Militärfüh­rung hat auch das Wiederaufblühen der Duvalier-Ideologie in der Armee begün­stigt.
Der exilierte Offizier Ker Delice weist nach, daß die haitianische Armee alle Aspekte des öffentlichen und politischen Lebens in Haiti kontrolliert. Die Beispiele sind zahlreich: Zunächst hat General Ce­dras zivile Marionettenregime installiert, die ihn als Kommandanten der Armee be­stätigten. Cedras reintegrierte sodann sei­nen alten Freund, General Biamby gegen die Bestimmungen des Militärkodex in die Armee und ernannte ihn zum Stabschef. Biamby war nach einem Putschversuch 1988 gegen General Avril in die USA ge­flohen, wo er wegen Verletzung der Ein­reisebestimmungen acht Monate inhaftiert war. Cedras und Biamby sind Söhne der Duvalierfamilie, und ihre Qualitäten er­gänzen sich: Cedras hat keine Truppener­fahrungen, er gilt eher als Planungsarchi­tekt, Biamby führt die Idee aus und kon­trolliert die Truppe.
Biamby wird mit zahlreichen politischen Morden in Haiti in Zusammenhang ge­bracht und gilt als Hintermann der bewaf­feten Zivilbanden. Viele dieser Mitglieder sind Söhne der alten Tonton Macoutes. Damit ist Biamby auch Bindeglied zwi­schen Armee und Tonton Macoutes. Der dritte starke Mann der haitianischen Ar­mee ist der Polizeichef von Port-au-Prince, der sich nach dem Putsch selbst beförderte.

Beherrschung des ganzen Landes

Auf dem Land gibt es seit der Unabhän­gigkeit vor 200 Jahren keine Regierungs­strukturen. Allgegenwärtig ist einzig die Armee: Jedes Departement wird von ei­nem Militärkommandeur regiert. Für die Bauern sind die “Attachés” Militär, Poli­zei, Regierung, Steuereintreiber, Richter, Staatsanwalt und Verteidiger in einer Per­son. Politische Veränderungen in der Hauptstadt haben wenig Auswirkung auf diese Machtstrukturen. Nur in der Regie­rungszeit Aristides wurden diese soge­nannten “Chefs de section” entmachtet. Die Armee verschlingt 40 Prozent des knappen Staatshaushaltes von Haiti.
Der öffentliche Sektor ist vor allem unter der Kontrolle von Menschen, die von Po­lizeichef Francois kontrolliert werden. Er selbst kontrol­liert Teleco – die Tele­fon­ge­sellschaft, die enorme Gewinne abwirft -, den Hafen von Port-au-Prince sowie die Zement- und Wei­zenmehlimporte. UN-Men­schen­rechts­beob­ach­terIn­nen sahen, wie Teleco-Mit­arbeiterInnen während ihrer Arbeits­zeit Pinochets Buch “Der entscheidende Tag” lasen, offenbar politische Schulung und Vorbereitung weiterer Aktionen von Poli­zei- und Teleco-Chef Francois.
Bis vor kurzem wurde in diplomatischen Kreisen häufig die Meinung verbreitet, daß die Abneigung gegen Aristide und die Angst vor der Rache seiner AnhängerIn­nen die Armee und die bewaffeten Zivil­banden zusammenhalten würden. Neuer­dings häufen sich die Gerüchte, daß die Risse stärker werden – die Gründe sind vielfältig: Jüngere Offiziere befürchten, daß die Zivilisten zunehmend die Macht übernehmen. Außerdem sind sie unzufrie­den mit der Besoldung und der Verteilung der Gewinne.

Das Rückkehr-Abkommen von “Governors Island”

In den vergangenen Monaten hat General Cedras bewiesen, daß er in der Lage ist, viele Tricks anzuwenden, um seine Macht zu verlängern. Vor allem hat er die Schwäche im Text des Abkommens zur Rückkehr von Aristide (“Governors Is­land”) ausgenutzt.
Governors Island unterscheidet sich sub­stantiell von anderen UN-ausgehandelten Friedensabkommen, zum Beispiel in El Salvador. Die Militärs als Konfliktpartner hatten und haben kein Interesse an einer Veränderung der Situation. Der Text von Governors Island wurde nur Aristide und Cedras zur Unterschrift vorgelegt, der Text war nicht Produkt von Verhandlun­gen, die – wie im Falle El Salvadors – ja auch ständig mit der Basis rückgekoppelt wurden.
Auf diese Weise wurden verschiedene Fallstricke unterschrieben. Zum Beispiel fehlt ein Datum, bis wann die von Aristide zu gewährende und vom Parlament zu be­schließende Amnestie gelten soll. Imma­nent kann die Amnestie natürlich nur für Verbrechen bis zur Unterzeichung des Abkommens ausgesprochen werden, also bis zum 3. Juli. Die Militärs forderten aber Mitte Oktober eine Amnestie für Verbre­chen bis zum Tag der Rückkehr Aristides, also für künftig noch zu begehende Ver­brechen.
Jonassait, ein Richter im Ruhestand, war gegen alle Bestimmungen von den Mili­tärs zum obersten Richter ernannt worden. Der Justizminister Guy Malary setzte ihn ab. Da die Militärs diese Entscheidung nicht respektierten, war sie ohne prakti­sche Wirkung. Andere Regelungen muß­ten das Parlament ausführen. Da die “Attachés” teilweise verhinderten, daß überhaupt ordentliche Sitzungen durchge­führt werden konnten, konnte der Zeitplan nicht eingehalten werden.

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