Nummer 510 – Dezember 2016 | Peru

ALS OB MAN ES BEFOHLEN HÄTTE

Chronologie der folgenlosen Morde der Polizei an Bäuerinnen und Bauern

Die LN veröffentlichen diesen Beitrag von Wilfredo Ardito Vega aus dem traurigen Anlass, dass es bei einem Polizeieinsatz gegen protestierende Bäuer*innen wieder zu einem Todesopfer infolge Schusswaffeneinsatzes kam. Die Proteste richteten sich gegen die Auswirkungen eines Bergbauprojektes. Soziale Konflikte und hier vor allem Umweltkonflikte, die in Bezug zum Bergbau stehen, haben in den vergangenen Jahren in Peru 267 Menschenleben und mehr als 4.500 Verletzte gefordert. Unter den umstrittenen Bergbauprojekten und -operationen finden sich auch solche, die Rohstoffe an bundesdeutsche Unternehmen liefern.

Von Wilfredo Ardito Vega, Übersetzung: Mathias Hohmann

Peru wird nicht im 21. Jahrhundert ankommen, solange weiterhin das Denken fortbesteht, für Bäuerinnen und Bauern würden keine Menschenrechte gelten. Das Innenministerium hat ein Video mit einer Botschaft über den Tod des Bauern Quintino Cereceda veröffentlicht, das sich sehr deutlich von der Haltung der Vorgängerregierungen unterschied. Darin wurde anerkannt, dass Cereceda am vergangenen Freitag (14. Oktober 2016, Anm.d.Red.) in Cotabambas (Apurimac) durch einen Schuss in die Stirn ermordet wurde. Das Ministerium wies darauf hin, dass es mehrere Irregularitäten im Polizeieinsatz gab. Ein Polizeieinsatz, der die Menschenrechte nicht berücksichtige, sei inakzeptabel, das Verbrechen werde aufgeklärt und sanktioniert.
Bisher konnten peruanische Polizisten davon ausgehen, dass sie straflos bleiben würden, wenn sie einen Bauern getötet haben. Ungefähr so, wie es in ähnlicher Weise in den USA geschieht, wenn ein Polizist einen unbewaffneten Afroamerikaner tötet. Diese Straflosigkeit hatte Bestand bei allen Morden an Bauern, die von der Nationalen Polizei Perus unter den Regierungen von Alejandro Toledo (2001-2006), Alan García (2006-2011) und Ollanta Humala (2011-2016) begangen wurden.
Der erste Mord ereignete sich in 2002, als Marcelino Sulca zu Tode kam. Die Polizei schoss ihm eine Tränengasgranate auf den Oberkörper. Der Innenminister jener Epoche, Fernando Rospigliosi, stärkte der Polizei den Rücken und während der folgenden Jahre der Regierung Toledo wurden weitere zehn Bauern ermordet. Lediglich unter der kurzen Amtszeit von Gino Costa als Innenminister gelang es, der Polizeigewalt Einhalt zu gebieten.
In der Regierungszeit von Alan García gab es noch mehr Morde an Bauern. Es traf vor allem jene, die an Protesten teilnahmen. Während des nationalen Bauernstreiks 2008 tötete die Polizei Julio Rojas in Barranca sowie Emiliano García und Rubén Pariona in Ayacucho. Merkwürdig war: Obwohl die Morde in unterschiedlichen Regionen geschahen, wurden alle drei durch Schüsse in den Kopf getötet – als ob die Polizei einen Befehl von oben erhalten hätte. In jenem gewalttätigen Jahr stand die Nationale Polizei Perus unter dem Kommando von Octavio Salazar, der in der aktuellen Legislaturperiode Kongressabgeordneter der rechtsgerichteten Fujimori-Fraktion ist.
Unter der Regierung von Alan García war Puno eine der Regionen, wo die heftigste Polizeigewalt ausgeübt wurde. Am „Tag des Bauern” 2011 kam es zum Massaker von Juliaca: Die Polizei erschoss Félix Vircanota, Antonio Campos, Raúl Chacchata, Petronila Coa Huanca und Gregorio Huamán. Sie protestierten gegen die Verschmutzung des Flusses Ramis.
In jener Regierungszeit ermordeten auch die Streitkräfte mehrere Bauern, wie Franklin Estalla, der anfänglich als Mitglied der Terrorgruppe „Leuchtender Pfad” dargestellt wurde. Das Militär mordete auch am Río Seco, wo Félix Canchanya, Maximiliano Pichardo, Alejandro Pichardo und Rosa Chávez Sihuincha ums Leben kamen. Sehr wahrscheinlich wurden auch die Kinder Moisés (sechs Jahre) und Rosa Linda (ein Jahr) ermordet, die bis zum heutigen Tag als verschwunden gelten.
Zudem gibt es viele Fälle, in denen Bergbauunternehmen Verträge mit der Nationalen Polizei Perus abgeschlossen haben, die dadurch zu einem privaten Dienstleister wird. Dabei agieren die Polizeieinheiten scheinbar nicht einmal wie private Sicherheitsunternehmen, sondern wie Gruppen brutaler Söldner (siehe dazu auch die fortwährenden Angriffe und Attacken auf Máxima Acuña und ihre Familie, siehe LN 489, Anm.d.Red.). In Piura ermordete die Polizei im Dienste des Bergbauunternehmens Majaz-Monterrico Metals die Bauern Reemberto Herrera (2004) und Melanio García (2005). In letzterem Fall wurden zudem viele protestierende Bauern auf dem Gelände des Unternehmens festgehalten und gefoltert. Monterrico Metals wurde vor einem britischen Gericht verklagt, vermied jedoch einen Prozess und eine Schuldanerkennung durch die außergerichtliche Zahlung einer Entschädigung. In der Regierungszeit von García, nachdem das chinesische Unternehmen Zijin Monterrico Metals aufgekauft hatte, tötete die Polizei die Bauern Castulo Correa Huayama und Vicente Romero Ramírez (2009).
Während der Regierungszeit von Ollanta Humala nutzte die Polizei das Betriebsgelände des Schweizer Bergbauunternehmens Xstrata als illegales Gefangenenlager während der gewalttätigen Auseinandersetzungen in 2012, bei denen Rudencindo Manuelo Puma, Walter Sencia und der Greis Félix Yauri getötet wurden. Nur Wochen später kam es zu Protesten in Cajamarca gegen das Projekt Conga – die Polizei tötete Joselito Vásquez in Bambamarca sowie in Celendín die Bauern Eleuterio García, José Faustino Silva, José Antonio Sánchez sowie César Medina, der nur 18 Jahre alt war.
Angesichts des wiederkehrenden Panoramas der Straflosigkeit ist die Reaktion des jetzigen Innenministers Carlos Basombrío, der verfügte, dass beteiligte Polizisten auf Spuren untersucht werden, um herauszufinden, wer Quintino Cereceda ermordete, eine präzise Botschaft an die Polizei, dass das Leben eines Bauern respektiert werden muss. Es ist ebenfalls eine Botschaft an das chinesische Unternehmen MMG, dessen Willkür bereits vier Tote in Apurimac gefordert haben. Von daher sollte diese Gelegenheit auch genutzt werden, um die Verträge zwischen Bergbauunternehmen und der nationalen Polizei einer Revision zu unterziehen, denn diese haben die Polizei in den Augen der Bevölkerung delegitimiert.

Wilfredo Ardito Vega ist peruanischer Rechtsanwalt, Schriftsteller, Professor und Menschenrechtsaktivist. Er war unter anderem zuständig für das Programm der Friedensrichter beim Instituto de Defensa Legal in Lima. Aktuell lehrt er in Lima an den Rechtsfakultäten der Päpstlichen Katholischen Universität und der Nationalen Universität San Marcos. Ardito Vega betreibt seit mehr als zehn Jahren den Blog „Reflexiones Peruanas“ (https://reflexionesperuanas.lamula.pe/), über den er in wöchentlichen Kommentaren und Analysen der peruanischen Wirklichkeit auf den Puls fühlt. Darunter fallen auch die zahlreichen ungestraften Morde, die von der peruanischen Polizei begangen wurden.

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