Dossier | Gewerkschaften | Nummer 495/496 – September/Oktober 2015

„An unserem Widerstand haben sie sich die Zähne ausgebissen“

Interview mit María Miranda und Liroy Pérez Pérez von der Hafengewerkschaft SINTRAJAP über den Kampf gegen Scheingewerkschaften und Privatisierungen

In Puerto Limón an der Karibikküste liegt Costa Ricas größter Hafen, unerlässlich für die Exportwirtschaft. Doch die vorwiegend afrocosta-ricanische Bevölkerung der Region ist arm. Die Gewerkschaft der Beschäftigten der Hafengesellschaft JAPDEVA (SINTRAJAP) kämpft daher auch für die soziale Verantwortung ihres Arbeitsgebers. Die LN sprachen mit María Miranda und Liroy Pérez Pérez über die Repression ihrer Arbeitskämpfe und die Verteidigung der erkämpften sozialen Errungenschaften.

Interview: Torge Löding

Costa Rica genießt international einen sehr guten Ruf. Auch „Schweiz Zentralamerikas” genannt, handele es sich um ein stabiles, demokratisches Land mit hohem Umweltbewusstsein. Wie sieht denn die Realität bei den Rechten der Gewerkschaften aus?
Liroy Pérez Pérez: Die Realität sieht leider anders aus. Im Bereich der Privatwirtschaft gibt es kaum gewerkschaftliche Organisierung. Wenn überhaupt, dann haben wir in Costa Rica starke und unabhängige Gewerkschaften im öffentlichen Dienst. Dies ist auch der einzige Sektor, in denen es echte Tarifverträge gibt. Und obwohl Costa Rica internationale Vereinbarungen unterzeichnet hat, welche das Recht auf die Organisierung freier und demokratischer Gewerkschaften gewährleisten und das auch in unserer Verfassung garantiert ist, werden insbesondere im privaten Sektor wahre Hexenjagden auf Gewerkschafter organisiert. Das Arbeitsministerium hat die Unternehmer dabei sogar immer wieder unterstützt. Aber auch im öffentlichen Dienst leiden die Gewerkschaften unter der Regierungspolitik.

Was bedeutet das? Welche Regierungspolitik beschädigt die Gewerkschaften?
LPP: In den vorherigen Regierungen gab es Unterstützung für den sogenannten “Solidarismus”. Das ist eine Art parallele Scheingewerkschaft, die Unternehmer seit den 1970er Jahren gegründet haben, um die Gewerkschaften zu schwächen. Angefangen hat der “Solidarismus” auf den Bananenplantagen. Die gibt es jetzt aber auch in den Maquila-Betrieben und Callcentern. Diese Organisationen sind direkt von den Arbeitgebern manipuliert, ihre Vorstandsmitglieder sind leitende Mitarbeiter und anstatt gewerkschaftliche Aufgaben wahrzunehmen, organisieren sie soziale Aktivitäten oder vergeben Kleinkredite. Arbeitskampf ist für sie ein Fremdwort.

Der Prototyp der „gelben Gewerkschaften” ist also auf Costa Ricas Bananenplantagen entstanden. Seit 43 Jahren existiert SINTRAJAP – was ist denn das Besondere an dem Projekt, für das diese Gewerkschaft steht?
María Miranda: In der Karibikprovinz Limón gibt es für den costa-ricanischen Maßstab eine besonders große Vielfalt an Gewerkschaften und es ist auch die Provinz mit den besten Tarifverträgen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch die strukturschwächste Provinz des Landes ist und die Zentralregierung in San José sich herzlich wenig um die Entwicklung kümmert. Stattdessen sind es die Gewinne der öffentlichen Hafengesellschaft JAPDEVA, die bei uns in den Bau von Schulen, Straßen und Brücken investiert werden. Das ist nicht unerheblich, denn über 80 Prozent aller Waren, die nach Costa Rica kommen, erreichen uns über die beiden Karibikhäfen.
LPP: Und unsere Gewerkschaft wird mit dieser sozialen Umverteilungspolitik der Hafengesellschaft identifiziert. Deshalb ist Limón die einzige Provinz in Costa Rica, in der „Gewerkschaft” kein Schimpfwort ist. In den 43 Jahren ihrer Existenz war unsere Gewerkschaft immer ein Instrument des sozialen Kampfes mit klaren politischen Forderungen, mit denen es auf Seiten der Bevölkerung von Limón gestanden hat. Das sind die konkreten Dinge des alltäglichen Lebens, die María genannt hat, aber auch Auseinandersetzungen wie der zur Verhinderung der Ölforderung durch US-Konzerne im karibischen Meer vor unserer Küste.

SINTRAJAP wird von konservativen Massenmedien immer wieder als „Volksfeind” dargestellt. In den vergangenen Jahren gab es verstärkt Mobilisierungen und Streiks in Limón. Worum geht es da?
LPP: Wir verteidigen die öffentliche Hafengesellschaft JAPDEVA und ihre soziale Funktion.
MM: Diese soziale Funktion bedeutet konkret, dass die Gesellschaft mindestens 15 Prozent ihrer Einnahmen in die erwähnten Struktur- und Entwicklungsmaßnahmen stecken muss. Das heißt, am Erfolg von JAPDEVA hängen nicht nur 1.200 Arbeitsplätze in den Häfen und zahlreiche weitere in deren Umfeld, sondern sie ist die einzige Organisation, die soziale Maßnahmen durchführt, weil die Zentralregierung sich nicht zuständig fühlt.
LPP: Die rechts-sozialdemokratischen Regierungen von Oscar Arías und Laura Chinchilla haben erfolglos versucht, die Häfen zu privatisieren. Die haben sich an unserem Widerstand die Zähne ausgebissen, es immer wieder mit allen Mitteln versucht. So haben sie ihre Polizei unsere Gewerkschaftszentrale besetzen lassen und versucht, den Gewerkschaftsvorstand abzusetzen. Mit dieser aggressiven Privatisierungsstrategie sind sie zwischen 2006 und 2010 gescheitert.
Aber es gibt seither eine neue Bedrohung, die heißt „Konzession”: Und zwar wurde dem Konzern APM Terminals, der mehrheitlich aus den Niederlanden gehalten wird, eine Konzession für ein Offshore-Terminal erteilt. Doch es geht weiter: Dieser Konzern soll nicht nur JAPDEVA Konkurrenz machen, sondern ihm wurde das Monopol für den Containerumschlag zugesagt – das entzieht uns die Lebensgrundlage.

Hierbei handelt es sich um einen zentralen sozialen Konflikt in Costa Rica. Wie gut ist SINTRAJAP denn organisiert?
MM: Wir organisieren mehr als 90 Prozent der Beschäftigten der Hafengesellschaft. Im Jahr 2012 haben wir außerdem die Statuten geändert. Seither gelten wir als Industriegewerkschaft und haben die Tore für andere Sektoren geöffnet, die mit dem Hafen etwas zu tun haben, aber nicht bei JAPDEVA beschäftigt sind. Wir gewinnen laufend neue Mitglieder.
LPP: Trotzdem leiden wir auf nationalem Maßstab unter der starken Medienkampagne, die gegen uns geführt wird. Leider hat diese auch bereits Auswirkung in Limón, wo die Lüge, dass wir uns gegen Fortschritt wehren, bereits von den manchen geglaubt wird. Ich sage klipp und klar: Wir sind für sozialen Fortschritt, eine zentrale Forderung von uns ist immer die nach öffentlicher Investition in die Hafenanlagen gewesen.
MM: Aber trotzdem sind wir effizient und gut. Puerto Limón gehört zu den drei effizientesten Häfen in Lateinamerika.

Eine Kritik an dem Hafenprojekt von APM Terminals ist, dass der Konzern keine Um­weltstudie vorgelegt hat. Kooperieren Sie mit den Umwelt­schützer*innen?
MM: Unbedingt, ja. Wir als Gewerkschafter haben in dieser Auseinandersetzung gelernt, auch Umweltaktivisten zu sein. Vor einem Jahr wurde der Umweltaktivist Jairo Mora an dem Strand getötet, an dem die Baula-Schildkröte ihre Eier legt. Dabei handelt es sich um einen der letzten Orte in Zentralamerika, an den diese Meeresschildkröte kommt. Jairo kümmerte sich um diese Schildkröten und wurde nachts brutal ermordet. Am gleichen Ort hat APM nun mit dem Bau ihres Zubringers zum Offshore-Terminal begonnen und nimmt den Schildkröten damit ihren Lebensraum. Mir zerreißt das das Herz.
LPP: Es gibt weitere vom Aussterben bedrohte Spezies in Limón, z.B. die Seekuh. Wie Maria schon sagte, das sind alles Dinge, die wir lernen müssen. Heute kämpfen wir Seite an Seite mit den Umweltschützern. Mich macht es wütend, wie Costa Rica international immer wieder sein Image als grünes und umweltfreundliches Land verkauft und gleichzeitig die Regierung die Rechte der Natur so mit den Füßen tritt.

Aber im Mai 2014 hat doch die Regierung gewechselt. Wahlgewinnerin war die Partei der Bürgeraktion (PAC), diese hat das alte Parteien-Duopol aufgebrochen und verfügt zumindest über Kontakte in die sozialen Bewegungen. Ist der neue Präsident Solís nicht dialogbereit?
LPP: Politisch stehen wir der Linkspartei Frente Amplio näher als der PAC. Aber in der Stichwahl zwischen Luis Guillermo Solís von der PAC und dem Kandidaten der rechts-sozialdemokratischen Partei der Nationalen Befreiung (PLN) haben wir alle die Kampagne für Solís unterstützt, dessen Partei keine Basis in Limón besitzt. Heute bereuen wir das. Denn entgegen seiner Aussagen im Wahlkampf verteidigt Solís nun die APM-Konzession. Er trägt die Verantwortung für den bisher brutalsten Polizeieinsatz gegen streikende Hafenarbeiter im Sommer 2014 – der versprochene Politikwandel ist ausgeblieben. Vielleicht kommen wir bei der aktuellen Regierung mit dem Thema Hafenmodernisierung weiter, aber das Privatmonopol für APM steht bei denen nicht zur Disposition. Ich vermute, die wollen sich nicht mit so einem mächtigen Konzern anlegen und fürchten sich vor Schadensersatzklagen.
MM: Solís gibt sich dialogbereit und im Moment haben wir unseren Streik ausgesetzt. Aber wie Liroy schon sagte: Die Enttäuschung ist groß. Und wenn die Regierung das Privatmonopol weiter unterstützt, dann müssen wir bald wieder in den Streik treten. Für uns ist Mobilisierung und Arbeitskampf das einzige Mittel, um die Zerstörung von JAPDEVA zu verhindern, deren Folge eine soziale Katastrophe in Limón wäre.

Über welche internationalen Kontakte verfügen Sie? Wer unterstützt den Kampf von SINTRAJAP?
LPP: Auf internationaler Ebene gehören wir zu Internationalen Transportarbeitergewerkschaftsföderation ITF und haben auch lange Zeit den ITF-Vorsitzenden für Lateinamerika gestellt. Über unseren Gewerkschaftsdachverband in Costa Rica haben wir Kontakt zum weltweiten Gewerkschaftsdachverband. Wir haben gute Kontakte zu einigen Hafengewerkschaften wie der ILWU, der Gewerkschaft der Häfen der Westküste der USA, genau wie zur Dockergewerkschaft IDC. Große Unterstützung haben wir in den vergangenen Jahren auch von der deutschen Rosa-Luxemburg-Stiftung erhalten.

María Miranda ist Finanzverantwortliche und Liroy Pérez Pérez Sekretär für Presse und Bildung im Vorstand der Gewerkschaft der Beschäftigten (SINTRAJAP) der Häfen Puerto Limón und Moín in der costaricanischen Karibik.

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