Nummer 317 - November 2000 | Venezuela

Angriff von der Anklagebank

Unter der Führung des venezolanischen Staatschefs Hugo Chávez setzten sich die Staaten der OPEC Ende September gegen die Industrienationen zur Wehr

Mit neuem Selbstbewusstsein trafen die elf Staaten der Organisation Erdöl exportierender Staaten (OPEC) Ende September in der venezolanischen Hauptstadt Caracas zusammen. Bei dem Gipfel handelte es sich um die zweite Zusammenkunft dieser Art seitdem die Organisation vor 40 Jahren im irakischen Bagdad ins Leben gerufen wurde. Von der Konferenz berichteten über 1500 Journalisten, der Einladung folgen auch Delegationen der Nicht-Mitgliedsstaaten Angola, Mexiko, Oman, Russland und Norwegen.

Harald Neuber

Die zentrale Figur des politisch und wirtschaftlich folgenschweren Ereignisses war der venezolanische Staatschef Hugo Chávez, dessen Land die diesjährige Präsidentschaft des Öl-Kartells inne hat. Zwei Monate nach seiner Wiederwahl gab der 47-Jährige mit dem Treffen der Ölstaaten sein Debüt auf internationalem Parkett. Im Gegensatz zur jüngeren Geschichte der Organisation brach diesmal jedoch kein Streit über die Höhe der Förderung und die Einhaltung der Quoten aus. Auf der Tagesordnung stand vielmehr ein Gedankenaustausch über die heutige und künftige Rolle der OPEC in der Weltpolitik. Gerade an der Einbringung politischer Inhalte hatte der venezolanische Präsident einen erheblichen Anteil. Auch die ungewohnte Einheit war sein Verdienst: Noch Mitte August reiste Chávez durch die elf Mitgliedstaaten, um für die Teilnahme zu werben. Auch hier kam seine politische Eigenwilligkeit zum Ausdruck, denn auf dem Programm stand unter anderem die irakische Hauptstadt Bagdad. Die Sensibilität des Westens war aber weniger dieser Tatsache geschuldet. Vielmehr zog Caracas die Aufmerksamkeit der Ersten Welt auf sich, weil die Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs in eine Zeit fiel, zu der in Europa Fernstraßen und Tankstellen von Transportarbeitern aus Protest gegen hohe Benzinpreise besetzt wurden. In den Sprachorganen der Industrienationen waren die Schuldigen indes schnell ausgemacht: die „Ölscheichs“, die dem Weltmarkt das schwarze Gold aus wirtschaftlichem Kalkül vorenthielten.

OPEC zeigt Dialogbereitschaft

Dieser Kolonialton provozierte in Caracas scharfe Reaktionen: Mit deutlichen Worten wiesen Vertreter der OPEC-Staaten die Forderung nach einer Steigerung der Förderquote zurück. OPEC-Generalsekretär Rilwanu Lukman erklärte, das Öl-Kartell habe „hinreichend bewiesen, dass derart hohe Preise, wie sie im Moment bestehen, in keiner Weise in unserem Interesse liegen“. Aus diesem Grund habe die Organisation einer Erhöhung der Förderquote um 800.000 Barrel pro Tag zugestimmt. Nun seien die Industrienationen gefordert.
Die Erdöl exportierenden Staaten gingen damit erstmals seit den 80er-Jahren auf Konfrontationskurs zu den Großmächten, ließen dabei aber durchaus Dialogbereitschaft erkennen. Für die europäischen Mächte ist das eine denkbar unbequeme Situation, besonders, weil die überraschende Freigabe von 30 Millionen Barrel aus den strategischen Reserven der USA den Handlungsdruck auf die Europäische Union (EU) wachsen ließ.
„Das letzte Mal“ so Lukmann, „als wir dem politischen Druck nachgegeben haben, fiel der Preis für einen Barrel Rohöl (159 Liter) auf zehn Dollar“. Damals habe sich niemand für die wirtschaftlichen Schäden der ölproduzierenden Staaten interessiert. Diese Erfahrung motivierte die Elfer-Gruppe, den aktuellen Forderungen der Großmächte standzuhalten.»Und mehr noch: Man ging in die Offensive. Von jedem in den Grenzen der EU verkauften Barrel Rohöl streiche der Fiskus im Durchschnitt 68 Prozent ein, so eine Studie des Öl-Kartells. Die restlichen 32 Prozent flössen zu gleichen Teilen an die Raffinerien oder Vermarkter und an die exportierenden Länder. In Anbetracht dieser Zahlen überzeugt die These der G-7 (führende Industrienationen) kaum, die OPEC schade mit den hohen Ölpreisen der Weltwirtschaft. Zumal diese Tendenz auch in internationalen Maßstäben unverändert bleibt: In den Ländern der G-7 kommen dem Fiskus im Durchschnitt 49 Prozent des Ölgeldes zugute, in der OECD (Industrie- und einige Schwellenländer) sind es noch immer 48 Prozent. Diese von der OPEC am Anfang der Woche veröffentlichten Zahlen wurden von den Industrienationen nicht widerlegt.
Die Reaktion war die alte: Pünktlich zum Auftakt des Gipfels ließen die Vertreter der G-7, die in Prag im Rahmen der Jahrestagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds zusammenkamen, erwartungsgemäß Kritik an der Politik der OPEC-Staaten anklingen. In einem Schreiben an die Vertreter der Ölstaaten fordern die Industrienationen von der Elfer-Gruppe „verantwortungsvolles Handeln“ ein, um die Preise für Rohöl auf dem Weltmarkt zu senken und das Niveau dauerhaft zu stabilisieren.
Lukman forderte die in Prag von Demonstranten belagerten Wirtschaftsmächte auf, gemeinsam mit den ölproduzierenden Staaten zu handeln. „Sie (die industrialisierten Nationen) verschlimmern die Krise nur noch, wenn die Schuld durchweg auf die OPEC geschoben wird“, erklärte der Nigerianer während einer Pressekonferenz. Schließlich habe es die OPEC lange Jahre hindurch vollbracht, den Ölpreis stabil zu halten. Die derzeitige Entwicklung sei jedoch Ursachen geschuldet, die außerhalb des Einflusses der Organisation lägen.

EU auf Konfrontationskurs

Bei den Diskursen der Ölstaaten in Caracas stand die Konfrontation nicht im Vordergrund, vielmehr ging es um die gemeinsame Verantwortung von Entwicklungsländern und Industriestaaten im. Der nigerianische Präsident Olusegun Obasanjo appellierte an die Industriestaaten: „Ein hoher Ölpreis schädigt die Wirtschaft aller Länder“. Daher dürfe die Verantwortung nicht nur einer Seite zugeschoben werden. Der OPEC-Präsident und stellvertretende Energieminister Venezuelas, Ali Rodríguez, erklärte gegenüber Journalisten im venezolanischen Parlament, das Kartell sei bereit, Gespräche mit der EU über die Situation des Ölmarktes zu beginnen. Ein solcher Dialog könne aber nicht unter Druck geführt werden. „Wir (die Produkteure und Konsumenten) sind gleiche Partner“, so Rodríguez. Der Politiker verkündete, dass der venezolanische Präsident Hugo Chávez im Rahmen des OPEC-Gipfels mit seinem französischen Amtskollegen Lionel Jospin die Möglichkeiten eines solchen Dialoges bereits erörtert habe. Frankreich stellte sich damit klar gegen die konfrontative Linie der restlichen Staaten der EU. In einem Dialog zwischen der OPEC und der EU soll nach Auskunft von Obasanjo eine gemeinsame Agenda erarbeitet werden. Und auch dabei drängen die Ölstaaten auf eine Reduzierung der Steuern. „Natürlich können wir keinem Land seine Steuerpolitik vorschreiben, wir werden aber nicht die Verantwortung für die Folgen tragen“, meinte der Nigerianer am Rande des Gipfels.
Die Stimme der OPEC wird im Westen nach dem Gipfel von Caracas sicherlich deutlicher vernommen werden als zuvor; dies ist auch ein Ergebnis der bislang erfolgreichen Bündnispolitik von Chávez. Eine triministeriale Konferenz von Außen-, Energie- und Finanzministern der elf Mitgliedsstaaten legte den Grundstein für die Zukunft der Organisation, die sich künftig, wie die G-77 (Gruppe der Entwicklungsländer), auch „politischen“ Themen wie Armut, Entwicklung und der staatlichen Souveränität widmen will. Besonders in Anbetracht des OPEC-Mitglieds Irak ist das ein beachtlicher Schritt.

Fairer Ölpreis

Der Außenminister des Gaststaates Oman, Bin Hamad Al-Rumhy bekräftigte den Willen, an der „gemeinsamen Sache“ zu arbeiten. Und auch Russlands Energieminister Alexander Gavrim sieht die Beziehungen zu der Organisation auf „Respekt, Kooperation und Verständnis“ basierend. Die Abschlusserklärung des Gipfels orientierte sich an dieser Entwicklung. Mit einer stärkeren Rolle der OPEC auf dem internationalen Parkett, engeren Bindungen zwischen den Mitgliedsstaaten und einem auf dieser Basis geführten Dialog wollen die Ölstaaten einen fairen Ölpreis garantieren, von denen nicht nur die Konsumenten, sondern auch die Förderstaaten profitieren.

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