Literatur | Nummer 273 - März 1997

Ankläger argentinischer Absurditäten

Zum Tod des Schriftstellers Osvaldo Soriano

Am 29. Januar dieses Jahres starb Osvaldo Soriano, der populärste Gegenwartsschriftsteller Argentiniens, an den Folgen einer Lungenkrebsoperation. Von offizieller Seite ignoriert, im Volk beliebt – Osvaldo Sorianos Leben und Werk spiegelt in perfekter Weise die Wirren der argentinischen Geschichte wider.

Gitta Grashorn

“Er schrieb nicht für die Schriftstellerzirkel, für die Kritiker oder den literarischen Hühnerstall. Er schrieb für die Menschen und handelte nicht mit Populismus”, resümiert der Publizist José Pablo Feinmann über Soriano. Er war der Komplize der LeserInnen und sie vertrauten ihm. In den Contratapas, der Rückseite der von ihm mitgegründeten Tageszeitung Página /12, kommentierte er die Absurdität der tagespolitischen Vorfälle in Argentinien, mit besonderer Vorliebe die lokale Fußballszene oder schrieb über seinen Vater: Ein Don Niemand, wie Soriano erklärte, ein Angestellter bei den städtischen Wasserwerken, den schließlich alle LeserInnen liebten. Nichts war nicht tiefsinnig, jede kleine Begebenheit konnte er in eine Geschichte verwandeln.
Durch Soriano sei das Leben der Antihelden heroisch geworden, formulierte der Drehbuchautor Antonio Skármeta treffend. Soriano brachte das Leben von Marginalisierten der Gesellschaft und den Gescheiterten aufs Papier. Bezeichnenderweise war der Argentinier ein großer Fan von Stan Laurel und Oliver Hardy, dem er wohl seinen Spitznamen El Gordo – Dicker zu verdanken hat. Beide Darsteller von “Dick und Doof” sind als White Trash, als arme verachtete Weiße gestorben. Soriano, der Laurels Geschichten schätzte, weil sie die Gesellschaftsordnung und das Eigentum angriffen, brachte die beiden 1973 in seinem ersten Roman, Triste, solitario y final unter. Diese urkomische und eigenartige Geschichte des Scheiterns war von Anfang an ein Bestseller. “Heute scheint es einer der großartigsten und begrüßenswertesten Momente jener verkrampften Epoche zu sein”, blickt Sorianos Kollege von Página/12, Juan Forn, zurück. Der in der lateinamerikanischen Literatur neuartige Stil dieses Buches begründete das Género menor.
Soriano verstand die argentinische Seele wie kein anderer. Er beherrschte die Umgangssprache der Leute, kannte ihre Sitten und ihren Humor, den Tango und die Politik. Argentinien bedeutete für ihn eine leicht verrückte Heimat, auf die man sich keinen Reim machen kann. Der Journalist Jacobo Timmerman erklärt: “Soriano verstand diese Nation gut, die in vielen Aspekten absurd erscheint, weil er mit dem Absurden umzugehen wußte. Er hatte Symbole, Ausdrücke, Figuren, Gespenster geschaffen, und das war die Weise, in der er uns die Schwierigkeit, in Argentinien zu leben, verständlich machte. Und die Sehnsucht, in Argentinien zu leben.”

Diktatur, Exil, Rückkehr

Soriano wurde am 6. Januar 1943 in Tandil, einer Stadt in der Provinz Buenos Aires, geboren. In seinem Geburtsort hatte er als Sportreporter bei dem Blatt “El Eco” angefangen und war mit 26 Jahren zum Schreiben nach Buenos Aires gezogen. Primera Plana, die Zeitung, die er zunächst aufsuchte, wurde kurze Zeit später von der Militärregierung Juan Onganías verboten. Bei der linken Zeitung La Opinión wurde er bald darauf zum Starredakteur für gesellschaftliche Angelegenheiten. Für seine Historias de la vida wählte er die Kolumnenform, damit ihm niemand reinreden konnte. 1978, zwei Jahre nach dem Militärputsch, zog Soriano über Brüssel nach Paris. Dort lernte er seine spätere Frau Catherine kennen.

Die Zeit im Exil

Während seines Exils arbeitete er unter anderen für Le Monde, Libération, Le Canard Echaine, Panorama und für Il Manifesto. Soriano war ein “Sozialist ohne Partei”, wie ihn sein Freund Pasquini Durán nannte. Er verteidigte die Freiheit und die Utopie einer glücklichen Gesellschaft, die ihn vor Zynismus bewahrte. Die Menschenrechte sah er als unerläßliches Fundament des Zusammenlebens.
Aus dem Exil heraus klagte er die Verbrechen der Militärregierung in Argentinien an. Sin Censura hieß die Exilzeitung, in der Soriano mit anderen politischen Flüchtlingen wie Carlos Gabetta und dem Schriftsteller Julio Cortázar über die Verbrechen von General Videla aufklärte. Wenn vor argentinischen Botschaften demonstriert wurde, war Soriano dabei, Flugblätter trugen seine Unterschrift.
Sein Einsatz gegen die Grausamkeit der argentinischen Politik spiegelt sich auch in seinen Werken wider. Er war der erste, der diese literarisch darstellte, besonders in No habrá mas penas ni olvido und Cuarteles de Invierno. Ersteres hatte er noch in Argentinien beendet, konnte es jedoch erst 1980 in Madrid veröffentlichen. Darin thematisiert Soriano die politischen Auseinandersetzungen zwischen Links- und Rechtsperonisten in den 70er Jahren. Der auf diesem Buch beruhende Film von Héctor Olivera erhielt den Silbernen Bären auf der Berlinale.
“Mit Soriano sterben die Träume einer Generation, die auf ein gerechteres und würdigeres Argentinien vertrauten”, schrieb der Schriftsteller Tomas Eloy Martinez.
Soriano trug wesentlich zur Veränderung der argentinischen Presselandschaft in der Demokratie bei. 1984 kehrte er nach Buenos Aires zurück und gründete die inzwischen wieder eingegangene Wochenzeitung El Periodista und später die Tageszeitung Página/12. Schließlich zählte Soriano zu denen, welche die Vereinigung zur Verteidigung des Unabhängigen Journalismus, PERIODISTAS, ins Leben riefen. An dem Tag, an dem Soriano starb, stand seine Unterschrift neben 22 weiteren unter einer Erklärung an die argentinische Regierung. Darin versicherte PERIODISTAS, daß die argentinische Presse den vor kurzem ermordeten Fotografen José Luis Cabezas nicht vergessen wird und dessen Mörder zur Verantwortung gezogen werden müssen.

Sorianos literarisches Werk

Seit seiner Rückkehr beglückte Soriano seine Fangemeinde mit vier weiteren Romanen. Für A sus plantas rendido un león, die Geschichte über einen argentinischen Konsul, der zur Zeit des Malvinenkriegs in Afrika steckt und in dessen Verlauf die afrikanischen Soldaten Gardel mit dem argentinischen Präsidenten verwechseln, erhielt der Autor eine in Argentinien unübertroffene Vorauszahlung von 120.000 US-Dollar. Es folgten Una sombra ya pronto serás (1990), El ojo de la patria (1992) und La hora sin sombra (1995). Auch brachte er vier Bücher mit gesammelten Zeitungsartikeln heraus.
Ob Buch oder Artikel – Soriano fiktionalisierte die Wirklichkeit, humorvoll und übertrieben, das Imaginäre stand nicht im Gegensatz zur Wahrheit.
In Argentinien wurde Soriano, jedenfalls von offizieller Seite, so gut wie ignoriert. Doch gestraft fühlte er sich wegen ausbleibender Preise nicht: “Es ist besser so. So ein Preis kompromittiert Dich. Du gehst hin, um ihn zu empfangen und mußt wer weiß welcher unerwünschten Gestalt die Hand geben.”

Anerkennung im Ausland

Dafür fand der Argentinier im Ausland umso mehr Anerkennung. Seine Bücher wurden in 15 Sprachen übersetzt. Besonders in Italien und Deutschland ist man von ihnen begeistert. 1993 erhielt der Raymond Chandler Verehrer Soriano die in Europa höchste Anerkennung für Kriminalautoren, den Raymond Chandler Preis. Für seine Artikelsammlung Cuentos de los años felices überreichten ihm die Italiener den Scanno Preis. Auf die Frage, was er mit den gewonnen drei Kilo Gold gemacht habe, erklärte der Geehrte: “Was in solchen Fällen angebracht ist: Ich habe sie auf einer Insel vergraben.” Erfolg und Geld interessierten ihn nicht. Während seines Exils erhielt Soriano lukrative Angebote von vielen großen italienischen Zeitungen, um ihn von Il Manifesto abzuwerben. Erfolglos, er blieb bei der linken Zeitung.
Osvaldo Sorianos Fan-Gemeinde würdigt seine unvergleichliche Art zu erzählen, von den einfachsten Dingen, stundenlang. Ein Mensch, der, wie Stan Laurel, andere zum Lachen bringen konnte, während er anklagte.

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