Literatur | Nummer 419 - Mai 2009

Aufregung im Vorort

Sergio Olguíns Romandebut Zurück nach Lanús überzeugt nur teilweise

Olga Burkert

Adrián lebt eigentlich ein gemütliches Leben. Sein Alltag ist schnöde-eintönig: Morgens Zeitung lesen, ein bisschen arbeiten, wenn auch widerwillig für seinen ungeliebten korrupten Onkel, ein bisschen Sex, wenn auch mit seiner nervigen Ex-Freundin. Gelegentlich ist er etwas depressiv, aber im Grunde eher aus Langeweile, nicht wegen wirklicher Probleme.
Als plötzlich Francisco, ein alter Freund aus Kindertagen, eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter hinterlässt, gerät Adriáns Alltag jedoch aus den Fugen. Francisco hört sich seltsam ernst und besorgt an, macht aber nur Andeutungen. Er braucht dringend Adriáns Hilfe, nur das wird deutlich. Adrián beschließt trotzdem wieder einmal, sich morgen um die Angelegenheit zu kümmern. Denn erstmal hat er ein wichtiges Date mit seiner neuen Flamme Tatiana, der Sekretärin seines Onkels.
So präsentiert sich der Anti-Held von Sergio Olguíns Romandebut von 2002, das nun in deutscher Übersetzung erschienen ist. Mit seinem dritten Roman Die Traummannschaft (2006) wurde der argentinische Autor passend zur Weltmeisterschaft zumindest einem Fußball freudigen Publikum hierzulande bekannt. In Zurück nach Lanús, das in Argentinien momentan verfilmt wird, widmet er sich dem Genre des Kriminalromans und den Verwicklungen in Lanús, einem tristen Vorort der Millionenmetropole Buenos Aires, wo Kriminalität und Langeweile den Alltag prägen. Olguín stammt selber aus Lanús, ebenso wie Diego Maradona, Argentiniens lebender Fußballlegende. Auch in Zurück nach Lanús spielt Fußball eine wichtige Rolle. Im Zentrum des Geschehens steht jedoch eine Clique von neun Jungen, die zusammen in Lanús aufgewachsen sind: Gustavo, Claudio, Peque, Federico, Francisco, El Chino, Rafael, Santiago und eben Adrián. Dieser zog mit acht Jahren aus Lanús fort und verlor fortan den Kontakt zu seinen alten Freuden.

In Lanús, einem Vorort von Buenos Aires, ist der Alltag von Kriminalität und Langeweile geprägt.

Als Adrián am Tag nach Franciscos Anruf die Zeitung aufschlägt und zunächst wie immer den Sportteil durchgeblättert hat, liest er in den Polizeimeldungen zufällig die Nachricht von einem Kiosk-Überfall in Lanús. Einer der Täter wurde bei dem Überfall von der Polizei erschossen. Ungläubig starrt Adrián auf den Namen Franciscos in der Zeitung. Wirre Gedanken schießen ihm durch den Kopf und er denkt an die Nachricht von Francisco auf seinem Anrufbeantworter. Nun ist es jedoch zu spät, helfen kann er Francisco nicht mehr. Und das obwohl sie sich damals als kleine Jungs einen Schwur geleistet hatten, immer füreinander da zu sein. Francisco hatte seinen Teil gehalten, indem er Adrián vor acht Jahren das Leben rettete, als dieser von Hooligans fast zu Tode geprügelt wurde. Zwar kann sich Adrián nicht mehr revanchieren, doch sein Gewissen treibt ihn zurück nach Lanús. Er beschließt, zu Franciscos Beerdigung zu fahren und heraus zu finden, warum dieser seine Hilfe brauchte.
Damit beginnt die Kriminalgeschichte von Zurück nach Lanús. Auf der Beerdigung trifft Adrián erstmals nach vielen Jahren wieder auf seine alte Clique sowie auf Rafael, der sich mittlerweile Vanesa nennt, und zahlreiche alte Erinnerungen werden wach. Er lernt Franciscos Freundin Mariela kennen, die in ihm den Stachel des Misstrauens sät, ob Francisco wirklich so starb, wie es in der Zeitung zu lesen war. Denn darüber, was wirklich geschah, kursieren in Lanús viele verschiedene Versionen.
Adrián erfährt, dass Mariela schwanger war, und sie und Francisco Geld brauchten, um eine Abtreibung durchführen zu lassen. Außerdem, dass Mariela vor Francisco mit Gustavo zusammen war und Francisco sich seit der Beziehung mit ihr von den anderen Jungs immer mehr entfernt hatte. Und dass Don Tito, Dreh- und Angelpunkt aller (krummen) Geschäfte im Viertel, der Arbeitgeber und Schutzpatron der Freunde ist und mit Sicherheit seine Finger bei Franciscos Tod mit im Spiel hatte. Die offizielle Geschichte, an der auch die Jungs aus der Clique hartnäckig festhalten, lautet, dass Francisco die 1.000 Peso, die er für die Abtreibung gebraucht habe, bei Tito geklaut habe anstatt ihn um Hilfe zu bitten und einen seiner Kioske überfiel. Doch wem er glauben soll, weiß Adrián nicht und jedes neue Detail macht alles nur noch komplizierter. Erschwerend kommt hinzu, dass er sich immer mehr zu der verwirrend schönen Mariela hingezogen fühlt und diese plötzlich spurlos verschwindet.
Zwischen Adriáns Nachforschungen sind immer wieder lange Passagen eingestreut, in denen der Protagonist sich zurück erinnert, an seine Kindheit und die gemeinsam mit seinen Freunden verbrachten Tage in Lanús, in denen sie alles teilten: die Straßen ihres Blocks, die Raufereien mit den „Tinchos“ und vor allem die große Leidenschaft aller, den Fußball. Dabei kommt der Roman nicht so Recht in Gang, liest sich eingangs eher schleppend. Das Geschehen ist nicht spannend genug, um als LeserIn ständig am Ball zu bleiben. Teilweise mag dieser Eindruck auch an der etwas holprigen Übersetzung liegen. Was im Original wahrscheinlich als typischer Slang von Buenos Aires angelegt war, klingt im Deutschen oftmals seltsam. Wenn dann auch noch immer wieder typisch argentinische Begriffe wie die Anrede „Che“ im deutschen Text auftauchen, ist der Bruch komplett.
Im letzten Drittel gelingt es Sergio Olguín schließlich doch noch, die LeserInnen ins Geschehen zu ziehen. Adrián verstrickt sich immer tiefer in die Strukturen von Lanús und findet sich plötzlich selber im Zentrum des Geschehens und der Gefahren wieder. Besondere Stärke beweist der Roman gegen Ende mit der Wandlung des Protagonisten Adrián. Durch seine wieder erstarkte Freundschaft zu dem Transvestiten Rafael alias Vanesa wird sich der bürgerliche Adrián plötzlich über seine eigenen Vorurteile und stereotype Weltsicht bewusst. Er merkt, dass Vanesa, auch wenn er/sie noch so verschieden sein mag, ihm am nächsten von allen steht. Er beginnt, dieses Anderssein zu akzeptieren. Und in der Szene, in der Adrián zwischen Vanesa und Vanessa – eine Prostituierte, zu der er im Laufe des Romans eine leise, aber ehrliche Beziehung aufgebaut hat – im Bett liegt und glücklich ist, ist er einem das erste Mal wirklich sympathisch. Ein schönes Ende, doch leider hört das Buch hier nicht auf. Im letzten Kapitel nimmt die Geschichte und ihr Protagonist nochmal eine Wendung, die das vorher Geschehene wieder aufhebt. Diesen letzten Dreh hätte sich der Autor lieber sparen sollen.

Sergio Olguín // Zurück nach Lanús // Suhrkamp Taschenbuch Verlag // Frankfurt a. M. 2008 // 285 Seiten // 10 Euro

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