Mexiko | Nummer 235 - Januar 1994

Bahn frei für NAFTA

Die “demokratische” Verabschiedung des Freihandelsabkommens

Das Timing von Präsident Salinas de Gortari war perfekt: Nachdem der US-amerikanische Kongreß das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA, in Mexiko mit der spanischen Abkürzung TLC bezeichnet, gebilligt hatte, folgte postwendend am 22. November das bedingungslose Ja des mexikanischen Senates. “Es droht die Isolation mit Inflation und ohne Wachstum”, so das offizielle Gutachten des mexikanischen Senats, “Ungerechtigkeit wird gefördert, die Gesellschaft gespalten und unsere Souveränität geschwächt.” Grund genug für die überwältigende Mehrheit der Regierungspartei PRI im Senat, den Vertrag in größter Eile unter großzügiger Umgehung der demokratischen Spielregeln zu verabschieden.

Übersetzungen und Bearbeitung: Enrique Greiner, Ulrich Goedeking

Eigentlich sollte Wirtschaftminister Serra Puche die Vertragsverhandlungen mit den USA und Kanada im Senat erläutern. Die PRI-Mehrheit hielt das allerdings für unnötig. Der Auftritt Serra Puches wurde ebenso abgesagt wie die landesweite Direktübertragung der Debatte und der Abstimmung des TLC durch das Fernsehen und das Radio. Typisch für die Stimmung unter dem Senatoren des PRI war die Reaktion des PRI-Politikers Miguel Alemán auf die Forderung von Porfirio Muñoz Ledo von der oppositionellen PRD, der Wirtschaftsminister möge bitte doch erscheinen: “Der Minister wird nicht kommen, nur weil Sie das möchten, Herr Senator!”, so Alemán.
Es ging um die wichtigste Entscheidung im Bereich der Außenwirtschaftspolitik seit der Verstaatlichung des Erdöls, aber die Mehrheit der Senatoren hatte kaum noch Interesse an den Diskussionen und Verhandlungen. In der letzten Woche vor der Verabschiedung war gerade noch eine Kommission von nur sechs Senatoren ernannt worden, weil Klauseln des Vertrages noch mit der Verfassung unter einen Hut gebracht werden mußten.
Am Tag nach der Verabschiedung des Vertrags in Washington sollte das Gutachten des mexikanischen Senats vorgestellt werden. Letzlich fand aber nur ein kleines freiwilliges Treffen weniger Senatoren statt, denen das Gutachten von Senatsbeirat Carlos Cabezas erläutert wurde. Für die Handelskomission, die das Gutachtengenehmigen musst, gab es nichts zu tun. Tatsächlich war das Dokument schon seit Ende Dezember 1992 fertig, als der Senat den Textentwurf für das Abkommen erhalten hatte. Wäre es nach der mexikanischen regierung gegangen, wäre der TCL schon damals verabschiedet worden, nur bremsten der Regierungswechsel in den USA und die Verhandlungen der Parallelabkommen die Eile der Regierung.
Glaubt man dem Gutachten, dann gab es eine
Trotzdem behauptet der Ausspruch, es hätte eine “gewissenhafte Analyse und Studie”, aus der hervorgeht, daß das Abkommen mit der Verfassung übereinstimmt hinsichtlich “der Außenpolitik, der Souveränität bezüglich der natürlichen Ressourcen der Nation, in Staatsangelegenheiten und in den Mexikanern vorbehaltene Aktivitäten, der Legalitätsprinzipien und Garantien und Rechte der Bürger.”
Den Abkommen zu verabschieden, ist, so die Senatoren, zu einer strategischen Option für die mexikanische Wirtschaft geworden. Durch diesen Pakt “versuchen wir, unsere Kapazitäten und produktiven Ressourcen optimal auszunutzen und außerdem durch die Förderung nationaler und fremder Investitionen, die Bildung von strategischen Allianzen und den Transfer fortschrittlichster Technologie, das Entstehen internen Kapitals zu erhöhen” und das ganze auch noch “ohne denen, die wenig haben, noch mehr Opfer abzuverlangen”.

Die Unternehmer im Nebenraum

Profirio Muñoz Ledo dagegen gab eine pikante Schilderung der Rolle des Senats im Prozeß der Debatte und Billigung des TLC. Der Senat sei “der Exekutive völlig untergeordnet”, so Muñoz Ledo, “es gab ein Senat innerhalb des Senats, eine vom Wirtschaftsministerium bezahlte Fraktion. Man gab ihr Unsummen, um zum Schein Anhörungen zu organisieren. Kein Komma haben sie im Abkommen verändert. Kein Senator der PRI hat an den Verhandlungen teilgenommen. Die Unternehmer kamen und sagten uns, sie seien “im Nebenraum”, während der Senat zu einer Bühne für leere Worte verkam. Anschließend wurde im Tempo der Regierung gearbeitet.”
Und nicht nur in Mexiko wurde bei der Verabschiedung des TLC nachgeholfen. Auch in den USA wurde die PRI aktiv. So versprach Generalstaatsanwalt Carpizo einem US-Abgeordneten die schnelle Auslieferung eines Gefangenen im Tausch für seine Stimme.

Dem Wohle Mexikos verpflichtet

Der Filz zwischen Regierung und Senat funktioniert. “Carlos Cabezas”, so Muñoz Ledo, “ist ein Berater von serra, bezahlt von Serra, er hat mit vier oder fünf Senatoren zusammengearbeitet, aber der Text wurde im Ministerium geschrieben”
Cabezas reagierte pikiert auf die Kritik: Das Gutachten sei die detaillierteste Analyse über den TLC, die es in Mexiko gibt und gehe weit über die Positionen einzelner Parteien hinaus. ER sei kein Angestellter im Ministerium, so Cabezas, sondern verdiene sein Geld beim Senat,
hier sei das Gutachten entstanden. Die Aussagen Muñoz Ledos seien “bedauerlich und beleidigend… Mich bewegt weder der Opportunismus, noch das Geld, sondern mein Engagement für das Land. Ich könnte in besser bezahlten Stellungen sein… Ich kann meine Hände aufs Feuer legen, es gibt unzählige Versionen des Gutachtens, mehr als elf. Die Senatoren haben dieses Gutachten erstellt. Natürlich, es gibt Leute, die sie unterstützten, und bueno, das waren halt wir.”
Und so wurde der Vertrag halt kurz und bündig verabschiedet.

Quelle: Proceso Nr. 890, 22.11.92

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