Nummer 495/496 – September/Oktober 2015 | Peru

Befreiung nach 25 Jahren

Polizei und Militär befreiten 54 Menschen aus der Gefangenschaft der Guerillaorganisation Sendero Luminoso

Insgesamt 54 Gefangene der Guerillaorganisation Leuchtender Pfad befreite die peruanische Polizei im Juli aus Lagern in der zentralperuanischen Bergregion. Die Lager dienten dazu, Lebensmittel und Nachwuchs für die Guerillagruppe zu produzieren. Einige der befreiten Frauen befanden sich mehr als 25 Jahre in Gefangenschaft.

Eva Tempelmann

Eigentlich galt der Leuchtende Pfad schon wenige Jahre nach der Festnahme seines Gründers und Anführers Abimael Guzmán 1992 als zerschlagen. Doch verschiedene Einheiten der Guerillaorganisation überdauerten in der weitläufigen Region um die Flüsse Apurimac, Ene und Mantaro (VRAE-Region). Die unzugänglichen Täler und Berglandschaften boten ihnen lange Schutz vor der Verfolgung durch die peruanischen Armee. Seit den 1980er besetzen sie einige Teile dieses Gebietes. Über lange Jahre ging diese Rechnung auf. Nun aber hat ein ehemaliger Gefangener der Guerilla eines ihrer Verstecke aufgedeckt. Der Mann war im vergangenen Juni aus einem Lager geflohen. Seine präzisen Angaben halfen der Polizei, eines der Lager ausfindig zu machen und die Entführten zu befreien. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums verlief die Militäroperation „Wiedersehen 2015“ friedlich. Es sei kein Schuss gefallen, sagte der kommandierende General José Baella der Tageszeitung La República. Die Gefangenen hätten sich unter der Aufsicht eines einzigen Guerilleros befunden. Dieser entschied sich, keinen Widerstand zu leisten und sich von den Streitkräften festnehmen zu lassen.
Sinn des Gefangenenlagers war es, Nahrungsmittel und Nachwuchs für die Guerillatruppe zu produzieren. „Viele junge Frauen sind entführt, vergewaltigt und missbraucht worden, um dann ihre Kinder an die Guerilleros zu übergeben“, sagte Vize-Verteidigungsminister Iván Vega. Manche Frauen hätten mehr als 25 Jahre in diesem und anderen Lagern der Guerilla gelebt, darunter auch 70-jährige Nonnen, die vor Jahren aus einem Kloster in Puerto Ocopa, in der Region Atalaya, entführt worden waren. Laut eigenen Aussagen wurden die Gefangenen zur Arbeit in der Landwirtschaft gezwungen. Die Kinder wurden politisch indoktriniert und als Halbwüchsige in die Reihen der Guerilla integriert. Einige der befreiten Kinder im Alter von ein bis vierzehn Jahren sollen bei Vergewaltigungen durch die Guerilleros gezeugt worden sein, andere sind aus naheliegenden Dörfern verschleppt worden. Die Eltern haben diese Taten aus Furcht von den Rebellen getötet zu werden, niemals angezeigt, so Vega.
Bei der Befreiung waren viele von den Kindern in einem erbärmlichen Gesundheitszustand, sie litten an Hautkrankheiten und deutlichen Zeichen von Mangelernährung. Kinder und Erwachsene wurden in Begleitung der Staatsanwaltschaft und des Ministeriums für Bildung, Gesundheit und Frauen nach Lima gebracht und dort ärztlich und psychologisch behandelt. Ruth Buendía, indigene Anführerin der Asháninka, die im letzten Jahr mit dem Goldman-Umweltpreis ausgezeichnet wurde, warnte jedoch davor, die Opfer längerfristig in Lima unterzubringen. „Für die Betroffenen bedeutet das eine krasse Entwurzelung“, sagte sie der Tageszeitung El Mundo und verwies auf eine vergangene Befreiung von sechs Frauen und drei Kindern im August 2014. Diese hätten sich nichts sehnlicher gewünscht als in den Regenwald zurückzukehren, wo sie sich zuhause fühlten. Buendía plädierte dafür, die Menschen in indigenen Gemeinschaften in der Region unterzubringen, bis sie ihre Familienangehörigen wiedertreffen können.
Die einst maoistische Guerilla-Organisation Sendero Luminoso ist für die Mehrheit der fast 70.000 Toten des peruanischen Bürgerkriegs zwischen 1980 und 2000 verantwortlich. Es war vor allem die indigene Landbevölkerung, die Opfer von Zwangsrekrutierungen, Zwangsarbeit und Massakern wurde. Die peruanische Wahrheits- und Versöhnungskommission schätzt, dass von etwa 55.000 Asháninka in Junín rund 6.000 ums Leben kamen, 10.000 aus ihren Dörfern vertrieben und etwa 5.000 in Lagern gefangen gehalten wurden. Auch ein Großteil der nun Befreiten gehört den indigenen Asháninka an.
„Den heutigen Mitglieder des Sendero Luminoso und ihrem Befehlshaber Palomino geht es nicht mehr darum, den Staat zu stürzen“, sagt der peruanische Soziologe Jaime Antezana, der den Kontext von Drogenhandel und Guerilla erforscht. Im Fokus stehe heute die Kontrolle über Anbau, Besteuerung und Verarbeitung von Kokablättern in den entlegenen Zonen des peruanischen Bergregenwalds. Das VRAE-Tal ist eines der größten Kokaanbaugebiete des Landes. Die Palomino-Gruppe soll mit kolumbianischen und mexikanischen Kartellen zusammengearbeitet haben.
Die Befreiung der 54 Gefangenen sei ein harter Schlag für die Guerillagruppe, so Vize-Verteidigungsminister Vega. „Der Rebellenführer José Quispe Palomino muss akzeptieren, dass die Zivilbevölkerung nicht als Sklaven missbraucht werden darf. Das wird die Regierung nicht zulassen“. Gleichzeitig warnte er davor, allzu optimistisch zu sein. „Wir wissen, dass sich im Gebiet Vizcatán immer noch Feiglinge wie Palomino verstecken und Kinder in ihrer Gewalt haben“. Die Regierung vermutet, dass sich noch immer zwischen 60 und 80 Minderjährige in den Händen der Guerillagruppe befinden. Oftmals würden sie als menschliche Schutzschilder missbraucht, so der peruanische Vizeminister. Der Kampf ist also auch nach über 30 Jahren noch nicht abgeschlossen und der Einfluss durch die Fragmente des Leuchtenden Pfads weiterhin deutlich spürbar.

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