Brasilien | Nummer 429 - März 2010

Beton und Fluten

Umweltbehörde IBAMA gibt grünes Licht für Megastaudamm am Amazonas

Die Ausmaße werden gigantisch sein. Brasilien lässt am Xingu-Fluss im Amazonasbundesstaat Pará den nach dem Drei-Schluchten-Damm in China und Itaipú zwischen Brasilien und Paraguay drittgrößten Staudamm der Welt bauen: Belo Monte. Die Lösung brasilianischer Energieproduktion verspricht die Regierung – „Chaos und Tod“ sehen die KritikerInnen für die Region voraus.

Thomas Fatheuer

Anfang Februar traf die brasilianische Umweltbehörde IBAMA eine historische Entscheidung: Der Großstaudamm Belo Monte, am Xingu Fluss mitten im Amazonasgebiet, erhielt die Umweltlizenz. Damit steht dem Baubeginn kein größeres Hindernis mehr im Weg, bis spätestens Ende April soll entschieden werden, welche Baufirma den Zuschlag erhält.
Mit einer Maximalleistung von 11.233 Megawatt wird Belo Monte das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt. 512 Quadratkilometer Amazonaswald werden überschwemmt. 210 Millionen Kubikmeter Erde müssen ausgebaggert werden – fast die gleiche Menge wie beim Bau des Panama-Kanals. Die brasilianische Bundesregierung schätzt die Baukosten auf 20 Milliarden Reais (etwa elf Milliarden US-Dollar), die interessierten Bauunternehmen gehen von 30 Milliarden aus (etwa 16 Milliarden US$) (siehe LN 418).
Angesichts dieser Dimensionen kann es nicht überraschen, dass der Baugenehmigung eine lange Auseinandersetzung vorangegangen war. Mehr als zwanzig Jahre geht das Ringen um den Staudamm, Ende der achtziger Jahre sang der Rocksänger Sting in Altamira, der größten Stadt im Baugebiet. Damals zog die Weltbank ihren Kredit zurück und das Bauvorhaben wurde zunächst aufgegeben. Es ist bittere Ironie, dass dieses Projekt nun ausgerechnet in der Lula-Regierung durchgesetzt wird. Umweltminister Minc argumentiert, dass das neue Projekt erheblich besser geworden ist. Tatsächlich werde eine viel kleinere Fläche überschwemmt als ursprünglich vorgesehen. Die Regierung sprach von einem „Unentschieden zwischen Umweltschützern und dem Energiesektor“.
Die KritikerInnen des Staudamms sind mit diesem angeblichen Unentschieden allerdings überhaupt nicht zufrieden. Viele befürchten, dass Belo Monte nur der erste Schritte von weiteren Baumaßnahmen ist. Die Maximalleistung von 11.233 Megawatt kann tatsächlich nur während der Regenzeit erreicht werden. Über das ganze Jahr ist nur eine Leistung von 4.428 Megawatt garantiert. Dies könnte durch eine Regulierung des Flusslaufes ausgeglichen werden, was allerdings den Bau von drei weiteren Staudämmen in Gebieten, die zu 40 Prozent indigenen Völkern gehören, notwendig machen würde.
Aber auch die Konsequenzen des jetzigen Projektes sind gravierend: „Ich bin davon überzeugt, dass das Wasserkraftwerk unvorhersehbare und nicht korrigierbare Folgen für die Region bringt. Da helfen keine Bauauflagen”, erklärt Erwin Kräutler, Bischof von Altamira und einer der entschiedensten Kritiker des Bauvorhabens. Er sieht “Chaos und Tod” auf die Region zukommen.
So wird erwartet, dass die Bauarbeiten etwa 100.000 Menschen in die Region locken werden – Altamira hat zur Zeit etwa 110.000 Einwohner. Für Marina Silva, ehemalige Umweltministerin und nun Kandidatin der Grünen Partei (PV) bei den Ende des Jahres anstehenden Präsidentschaftswahlen, ist das Fehlen einer umfassenden Regionalplanung einer der Hauptkritikpunkte: „Es ist unglaublich, dass ein Unterfangen mit solchen Auswirkungen auf die Umwelt ohne eine angemessene Planung in Hinsicht auf die Landnutzung umgesetzt werden soll. Die Lösung kann nicht einfach einem Unternehmen überlassen werden, das lediglich Energie erzeugen will.“
Es fehlt in Brasilien nicht an kritischen Stimmen. Der im Dezember verstorbene Vertreter vom International Rivers Network, Glenn Switkes, hatte ein alternatives Expertenpanel organisiert, das umfangreiche Kritik an dem offiziellen Umweltgutachten formulierte. Im Mai 2008 hatte ein großes Treffen indigener und lokaler Gruppen gegen den Staudammbau protestiert (siehe LN 409/410). Aber anders als vor zwanzig Jahren, formiert sich nun weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene eine sichtbare und wirksame Protestbewegung. Die Gründe dafür sind vielfältig: In Zeiten, in denen Umweltfragen dazu tendieren, zu Kohlendioxid-Fragen zu degenerieren, erscheinen Wasserkraftwerke leicht eher als Lösung, denn als Problem – trotz offener Fragen bezüglich der Methanbilanz von Großstaudämmen, die den Fäulnisprozessen der im Stausee gefluteten Biomasse zuzuschreiben ist. Methan gilt als noch klimaschädlicher als Kohlendioxid.
Noch vor zwanzig Jahren bot die Weltbank ein viel besseres Feindbild als heutige komplizierte Finanzierungskonglomerate, bei denen die brasilianische Entwicklungsbank BNDES die Federführung hat. Und nicht zuletzt konnten die sozialen Bewegungen in der Region kaum Wirkungskraft entfalten, weil Teile von ihnen nicht in Konflikt mit der Lula–Regierung treten wollen oder gar das Projekt offen als wichtig für das Wirtschaftswachstum begrüßen. Auch der Bundesstaat Pará, in dem der Staudamm gebaut werden soll, wird von der Partei des Präsidenten (PT) regiert. Die Gouverneurin Ana Julia wird zwar eigentlich dem eher linken Flügel der PT zugerechnet – ist aber auch eine leidenschaftliche Befürworterin des Großprojektes. Sie drängt darauf, dass möglichst schnell mit dem Bau begonnen wird, schließlich naht der Wahltermin: im Oktober werden der Präsident und die Gouverneure neu gewählt und rege Bautätigkeit – das heißt eben auch Arbeitsplätze – ist anscheinend immer noch für Stimmen gut.
Mit dem Insistieren auf Großprojekten wie Belo Monte zeigt die brasilianische Regierung, dass sie nach wie vor einem traditionellen Entwicklungsmodell anhängt. „Belo Monte bringt keine neuen Technologien, es bereitet das Land nicht für die Zukunft vor. Es ist ein Bau aus Zement und Eisen, typisch für das vergangene Jahrhundert”, resümiert der brasilianische Greenpeace-Chef Marcelo Furtado. Solange Brasilien Milliardenbeträge in den Ausbau von Großstaudämmen und Atomenergie steckt, haben alternative, dezentrale Energiequellen kaum eine Chance, über eine Nischenexistenz hinauszukommen.
Lokale Gruppen und nationale Organisationen haben die Hoffnung noch nicht ganz verloren. Tatsächlich ist die Erteilung der Umweltlizenz zwar ein entscheidender, aber noch nicht der letzte Schritt im Bauverfahren. Als nächstes steht die Entscheidung an, welche Firmen den Staudamm bauen werden. Bisher haben sich zwei Konsortien gebildet. Das erste wird von den brasilianischen Bauunternehmen Odebrecht und Camargo Correa formiert, beim zweiten sind neben dem Bauunternehmen Andrade Gutierrez auch der Bergbaukonzern Vale sowie Neoenergia beteiligt. Die spanische Iberdrola ist der größte Aktionär von Neoenergia. Vale ist der neue Name der Companhia Vale do Rio Doce, dem zweitgrößte Bergwerkskonzern der Welt, der unter der Regierung Fernando Henrique Cardoso privatisiert worden war. Investitionen der Vale haben in den letzten Jahren vielfache Proteste von UmweltschützerInnen und sozialen Bewegungen provoziert. Und auch die österreichische Andritz AG erhofft sich einen Anteil des Kuchens: Sie ließ in einer Pressemitteilung ihr Interesse an der anstehenden Ausschreibung verkünden.
Die Baugenehmigung wird versteigert, es gewinnt die Firma, die den günstigsten Energiepreis anbietet. Danach muss dann die endgültige Baugenehmigung beantragt und erteilt werden. Die Regierung will die Versteigerung noch im März, spätestens aber im April durchziehen.
Unterdessen bereiten sich Menschenrechtsgruppen auf eine letzte juristische Schlacht vor. Die Menschenrechtsorganisationen SDDH aus Belém und Justiça Global aus Rio de Janeiro wollen den Fall Belo Monte vor den internationalen Gerichtshof der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bringen. Andressa Caldas von Justiça Global sieht eine reale Chance, auf diesen Weg den Bau zu verhindern oder wenigstens zu verzögern. „Wir haben schon in anderen Fällen Erfolge erzielt.” Brasilien hat die Resolution 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) unterzeichnet, die weitgehende Einspruchsrechte von indigenen und traditionellen Völkern bei Bauvorhaben festlegt. Das zuletzt sehr hektisch durchgezogene Genehmigungsverfahren dürfte kaum den ILO-Anforderungen entsprechen.
Für Guilherme Carvalho von der brasilianischen Nichtregierungsorganisation Fase hängt hingegen alles von den indigenen Völkern ab: „Wenn diese sich zu einem entschlossenen und koordinierten Widerstand zusammenfinden, kann es für die Regierung noch kompliziert werden.”

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