Guatemala | Nummer 312 - Juni 2000

Bilanz: verwackelt

Alfonso Portillo regiert seit Mitte Januar – ohne klare Linie

Die neue guatemaltekische Regierung hat die in sie gesetzten Hoffnungen bislang nicht erfüllt, ebenso wenig haben sich allerdings die mit einer neuen Rechtsregierung verbundenen Ängste bewahrheitet. Präsident Alfonso Portillo macht vielmehr einen stets lavierenden Eindruck.

Ina Hilse, LN

Die schlimmsten Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Die Regierung unter Präsident Alfonso Portillo von der rechtsradikalen Republikanischen Guatemaltekischen Front (FRG), seit einem knappen halben Jahr im Amt, ist nicht in die Fußstapfen des Parteichefs und Ex-Diktators Efraín Ríos Montt getreten. Allem Anschein nach kann Ríos Montt auch nicht ungehindert aus dem Hintergrund die Fäden ziehen. Im Wahlkampf waren er und Portillo noch in trauter Eintracht aufgetreten, bald nach dem Sieg in der Stichwahl vom 26. Dezember 1999 setzte sich Portillo jedoch deutlich ab. Seither haben sich mit den portillistas und den unter Ríos Montts Fuchtel stehenden FRGistas zwei Lager innerhalb der FRG herauskristallisiert, was das rechtslastig-aggressive Potenzial der Partei etwas bindet.
Ríos Montt, der vom FRG-beherrschten Kongress zum Parlamentspräsidenten gewählt wurde, ist durch eine Klage vor dem spanischen Obersten Gerichtshof zusätzlich unter Druck geraten. Ende März erklärte Ermittlungsrichter Guillermo Ruiz Polanco die Klage der guatemaltekischen Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchú gegen Ríos Montt und andere Verbrecher für zulässig. Die Untersuchungen gegen ihn wurden bereits aufgenommen. Ríos Montt hat daraufhin vorsichtshalber zwei für Mai geplante Reisen in die USA und nach Frankreich abgesagt, um nicht Gefahr zu laufen, wie Pinochet festgenommen zu werden.
Alfonso Portillo seinerseits hatte in seiner Antrittsrede vom 14. Januar 2000 mit einigen Überraschungen aufgewartet und sich damit von Ríos Montts Ideologie etwas abgesondert. Er werde die Empfehlungen des Berichtes der Wahrheitskommission Guatemalas (CEH) als Staatsnorm anerkennen und eine Gesetzesinitiative zur Einrichtung eines Entschädigungsfonds für die Opfer der Gewalt starten. Der Mord an Bischof Gerardi (vgl. LN 287 und 299) sollte rasch aufgeklärt und strafrechtlich verfolgt werden. Weiterhin kündigte er die Auflösung des berüchtigten Generalstabs des Präsidenten (EMP) an, der für besonders viele Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist, – eine von Menschenrechtsorganisationen lange geforderte Maßnahme.
Tatsächlich sind konkrete Schritte gefolgt. Der EMP wurde abgeschafft. Als Ersatz schuf Portillo zwei neue Institutionen: das „Sekretariat für administrative Angelegenheiten des Präsidenten“ (SAP) und das „Sekretariat für strategische Analysen“ (SAE). Das SAP baut eine zivile Leibgarde für den Präsidenten auf und wird von Ricardo Marroquín Rosada geleitet, der bis 1985 in der Guerilla Revolutionäre Nationale Guatemaltekische Einheit (URNG) kämpfte. Durch das SAE sollen die Geheimdienste in einen zivilen Nachrichtendienst unter Kontrolle der Staatsanwaltschaft umgewandelt werden.
Die hohe öffentliche Bedeutung des Berichtes der Wahrheitskommission hat sich Portillo zu Nutze gemacht und unter anderem vorgeschlagen, den Bericht in den normalen Schullehrplan zu integrieren. Im Falle des Mordes an Juan Gerardi sind eine Woche nach Portillos Amtsantritt mit Byron Disraeli Lima Estrada, Byron Lima Oliva und José Obdulio Villanueva drei hauptverdächtige Militärs festgenommen worden; am 25. April wurde gegen sie Anklage erhoben, Mitte Mai der Prozess eröffnet. Da der Mord und seine verschleppte Aufklärung unter der vorigen Regierung heftige Proteste im In- und Ausland ausgelöst hatte, ist die rasche Bearbeitung eine willkommene Gelegenheit, das Image aufzubessern. Die drei Angeklagten sind jedoch nur Militärs der mittleren und unteren Dienstgrade und ein pensionierter Oberst; die oberen Ränge und die anstiftenden Entscheidungsträger bleiben unangetastet.

Überraschender Verteidigungsminister

Für große Aufregung hatten einige der Personalentscheidungen Portillos gesorgt. Er ernannte Oberst Juan de Dios Estrada Velásquez zum Verteidigungsminister und brüskierte damit die Armeespitze: Nach militärischem Reglement darf ein rangniedriger Oberst einem ranghöheren General keine Befehle erteilen. Estradas Ernennung hatte daher zu Folge, dass alle 19 Generäle der alten Garde in den Ruhestand versetzt wurden.
Anfang Mai hat Portillo gegen Ríos Montt dann noch einmal punkten können. Mit Eduardo Arévalo Lacs machte er einen ihm Loyalen zum Chef des Generalstabs der Nationalen Sicherheit und entließ Ruiz Morales, ein Vertrauter Ríos Montts. Die Spekulationen, die dieser und einige andere Wechsel innerhalb der Reihen der Militärs hervorgerufen haben, reichten so weit, dass Portillo einem Putsch habe zuvorkommen wollen. Wie auch immer, die Machtfrage in dem militärdominierten Land ist offenbar noch nicht geklärt.
Im nichtmilitärischen Bereich gelang es Portillo, einige namhafte Persönlichkeiten aus Menschenrechtsorganisationen und aus der linksrevolutionären Bewegung davon zu überzeugen, in seiner Regierung mitzuwirken. Zu ihnen zählt Edgar Gutiérrez, ehemaliger Leiter des REMHI-Projektes, das die Menschenrechtsverletzungen während des Krieges in Guatemala untersuchte und diese überwiegend dem Militär zuordnete. Er übernahm die Leitung des neugeschaffenen Geheimdienstsekretariats SAE. Auch Otilia Lux de Coti, ehemaliges Mitglied der Wahrheitskomission, wechselte als Ministerin für Sport und Kultur in die Reihen der FRG-Exekutive. Pedro Palma Lau, vorher als Comandante Pancho aus der URNG bekannt, gesellte sich Anfang März als Direktor der Präsidialkomission für Rechtshilfe und Konfliktlösung in Landfragen zu dieser Gesellschaft.
Portillo hat mit seinen Entscheidungen einige politische Erfolge einfahren können. Zum einen ist die internationale Zurückhaltung gegenüber seiner Regierung deutlich gesunken und seine Legitimation gestiegen. Zum anderen hat er für einige Zeit die progressiven Kräfte in Guatemala irritieren können, da nicht klar war, was diese personelle Öffnung nach links bewirken würde. Die Ratlosigkeit und das Abwarten ist mittlerweile jedoch heftiger Kritik gewichen. Da die politisch entscheidenden Ressorts fest in FRG-Hand sind und die FRG auch unter Portillo sich in der politischen Praxis nicht von ihren rechten Grundsätzen verabschiedet, wird die Rolle der linksbesetzten Posten als Aushängeschilder und Imageaufpolierer immer deutlicher. Mittlerweile hat Alvaro Colóm, der 99er Präsidentschaftskandidat des Linksbündnisses Allianz Neue Nation (ANN), die im Kongress drittstärkste Kraft wurde, alle diejenigen, die sich auf den Pakt mit der FRG eingelassen haben, zum Rücktritt aufgefordert. Nur dies könne einen würdevollen Abgang hergeben, andernfalls würden sie zwangsläufig „zu Rechten konvertieren“.

Dubioser Militär als Chef der Leibgarde

Dass Alfonso Portillo kein verkappter linker Menschenrechtsaktivist ist, machte er durch andere sehr umstrittene Personalentscheidungen deutlich. So nahm er in das bereits erwähnte Sekretariat für administrative Aufgaben der Präsidenten (SAP), die neugebildete Leibgarde, auch den völlig diskreditierten Oberst Jacobo Salán Sánchez in einer leitenden Position auf. Salán Sánchez war als hochrangiger Militärstratege Mitte der 80er Jahre direkt in den Bürgerkrieg involviert. 1996 war er Mitverdächtiger in einer Schmuggel- und Korruptionsaffäre, 1998 wurde er wegen des „Verschwindenlassens“ von 11 StudentInnen angeklagt. Außer Salán Sánchez sind über ein Dutzend Militärs und Polizeileute in die Leibgarde übernommen worden, die Portillos Vorgänger lvaro Arzú wegen Korruption entlassen hatte.
Die Regierungsarbeit der ersten vier Monate zeichnet sich durch große Versprechungen und wenig Taten aus. Portillo hat als nicht ungeschickter Redner immer wieder populäre Maßnahmen angekündigt, aber kaum etwas eingelöst. Eine langfristige Programmatik ist nicht erkennbar. Beispielsweise sagte er zu, dass die Löhne der ArbeiterInnen um 200 Quetzales (etwa 28 US-Dollar) angehoben werden sollten. Dies stand aber nicht in Zusammenhang mit irgendeinem ökonomischen Konzept und wurde von keinen flankierenden Maßnahmen begleitet. So nimmt es nicht weiter wunder, dass die Löhne nach einigem Hin und Her letztlich um nicht mehr als 80 Quetzales stiegen. In vielen Unternehmen wird allerdings nicht einmal diese Erhöhung ausbezahlt.
Die Bilanz der ersten Regierungsmonate lautet also: keine klare Linie. Viele wichtige Wahlkampfthemen wie Arbeit oder Innere Sicherheit sind bisher kaum angegangen worden, und ob die zivile Anbindung der bewaffneten Organe gelingt, ist noch längst nicht sicher. Allein in Menschenrechtsfragen zeichnet sich im Vergleich zur Vorgängerregierung eine Besserung ab. Und noch ein Hoffnungsschimmer: Rigoberta Menchú hatte ihre Klage gegen Ríos Montt und Co. in Spanien damit begründet, dass die Justiz in Guatemala selbst nicht zur juristischen Aufarbeitung der Verbrechen bereit sei. Daraufhin reichten Ende April 48 Überlebende von Dörfern, in denen im Krieg Massaker verübt worden waren, bei der guatemaltekischen Staatsanwaltschaft Klage gegen drei Hauptverantwortliche der Gräuel ein, darunter gegen den Ex-Diktator Romeo Lucas García (1978-82). Ähnlich wie in Chile könnte die internationale Strafverfolgung auch die gerichtliche Aufarbeitung im Lande selbst endlich in Gang bringen.

Ina Hilse (Infostelle Guatemala) / LN (Quelle: Fíjate)

KASTEN:
Permanente Bedrohung gegen MenschenrechtsaktivistInnen

Am 25. Mai 2000 berichteten namhafte guatemaltekische MenschenrechtlerInnen auf einer Pressekonferenz über anhaltende Morddrohungen und Sabotageaktionen. Nach Meinung von Rigoberta Menchú ist die Regierung über die Vorfälle informiert. Sie selbst erhält wiederholte Morddrohungen per Telefon. Auch die Richterin im Mordfall Gerardi, Flor de María García Villatoro, und der Staatsanwalt Leopoldo Zeissig, sowie GewerkschafterInnen sind von Morddrohungen betroffen. In das Büro der Menschenrechtsorganisation CalDH wurde in der Nacht zum 25. Mai eingebrochen, drei Computer mit Daten über Menschenrechtsfälle und über Landrechtsfragen wurden gestohlen, einige neuere Computer aber stehen gelassen, was den Schluss nahelegt, dass es sich nicht um einen normalen, sondern um einen politisch motivierten Einbruch handelt.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren