Mexiko | Nummer 488 - Februar 2015

BMW – Auftakt in San Luis Potosí

Der deutsche Automobilkonzern eröffnet eine Produktionsstätte im strukturschwachen Bundesstaat

Wenn Konzernmanager*innen mit einem zufriedenen Lächeln an die Öffentlichkeit treten, dann in der Regel, weil sie gute Verkaufszahlen oder ambitionierte Geschäftspläne zu verkünden haben. So auch BMW-Chef Harald Krüger, als er Anfang Juli 2014 im Beisein von Mexikos Präsidenten Enrique Peña Nieto die Eröffnung eines neuen Werkes in Mexiko ankündigte. Doch Krüger hatte noch einen ganz anderen Grund zum Lachen.

Andreas Knobloch

Für BMW sind es traumhafte Bedingungen. Der deutsche Autokonzern soll für den Bau seines neuen Werkes im nordmexikanischen Bundesstaat San Luis Potosí insgesamt rund 3.500 Millionen Mexikanische Pesos (rund 235 Millionen US-Dollar) an Zahlungen, (Steuer-)Vergünstigungen, Konzessionen und sonstigen Hilfen aus dem Haushalt von San Luis Potosí erhalten. Im Gegenzug verpflichte sich der Autobauer, bis 2024 „bis zu 1.500 Arbeitsplätze“ zu schaffen und in den kommenden 15 Jahren eine Milliarde US-Dollar zu investieren. BMW könne die Vereinbarung jedoch jederzeit kündigen, ohne Strafen zahlen zu müssen, berichtete die mexikanische Tageszeitung La Jornada Mitte Dezember. Das diesbetreffende Abkommen, dessen Inhalt erst in sieben Jahren öffentlich gemacht werden muss, also erst nach Ende der Amtszeit der derzeit verantwortlichen Politiker*innen war der Zeitung von anonymer Seite zugespielt worden.
La Jornada kritisierte die Höhe der Beihilfen auf bundesstaatlicher Ebene, vor allem aber, dass diese ohne Zustimmung des Parlaments zugesagt wurden. Auch hätte die Vereinbarung öffentlich gemacht werden sollen. Gouverneur Fernando Toranzo Fernández sei somit seiner Rechenschaftspflicht nicht nachgekommen. Auch wenn das Vorgehen letztlich sogar rechtens ist, so seien die Vergünstigungen für ein Privatunternehmen angesicht knapper öffentlicher Mittel für Bildung, Gesundheitswesen und öffentliche Sicherheit zumindest unmoralisch, wenn nicht skandalös, schimpfte das linke Blatt. „Die Vereinbarungen zwischen dem schwachen Bundestaat und dem mächtigen ausländischen Unternehmen (…) stellen ein genaues Abbild dessen dar, wie multinationale Konzerne gewisse lokale öffentliche Verwaltungen ausnutzen“, schrieb La Jornada.
Das BMW-Werk soll im Jahr 2019 die Produktion aufnehmen. „Mexiko ist ein idealer Standort für die BMW-Gruppe”, sagte Krüger. „Der gesamte amerikanische Kontinent ist einer der wichtigsten Wachstumsmärkte für die BMW-Gruppe.“ Zuvor hatten bereits Audi und Daimler (gemeinsam mit Nissan) neue Werke in Mexiko angekündigt. Audi will bereits 2016 die Produktion starten, Daimler-Nissan im Jahr darauf. Nach Konzernangaben planen BMW und Audi, jeweils 150.000 Neuwagen pro Jahr zu fertigen, Daimler-Nissan sogar 300.000. Mexiko entwickelt sich damit immer mehr zu einem Fertigungsstandort für die deutsche Autoindustrie.
Die Beziehung Mexikos zu deutschen Autoherstellern begann vor 50 Jahren mit der Fertigung günstiger Kleinwagen. Ikone dieser Entwicklung war der VW-Käfer – die zahlreichen Käfer-Taxis prägten bis vor Kurzem das Straßenbild von Mexiko-Stadt. Volkswagen baute den Kleinwagen von 1964 bis 2003 in seinem Werk in Puebla und wurde zum Wegbereiter für andere Hersteller.
Allein seit 2012 haben internationale Autokonzerne 32 neue Projekte in Mexiko im Wert von rund 13 Milliarden US-Dollar angekündigt. „Mexiko ist zum Drehkreuz des Autohandels in der westlichen Hemisphäre geworden“, sagte Michael Robinet von der Unternehmensberatung IHS Automotiv gegenüber Bloomberg. „Mexiko hat gezeigt, dass es Wagen aller Art fertigen kann.“
Mittlerweile ist Mexiko zum achtgrößten Autobauer und viertgrößten Autoexporteur der Welt aufgestiegen. Im Jahr 2014 wurden mehr als 3,2 Millionen Autos in dem lateinamerikanischen Land gefertigt, laut der Vereinigung der Mexikanischen Automobilindustrie (Asociación Mexicana de la Industria Automotriz, AMIA) ein Zuwachs von beinahe zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. Mehr als 2,6 Millionen Autos wurden exportiert, davon mehr als 70 Prozent in die USA. Ähnliche Wachstumsraten erwartet AMIA-Präsident Eduardo Solís auch für das laufende Jahr. Im Jahr 2020 könnte Mexiko fünf Millionen Autos produzieren, so Solís´ Prognose.
In den vergangenen Jahren haben gerade höherwertige Marken das Land für sich entdeckt. Die erwähnten Pläne von BMW, Audi und Daimler-Nissan sprechen Bände. „Es war eine recht einfache Entscheidung“, sagte Bernhard Eich, BMW-Direktor für das Werk in San Luis Potosí zur Wahl des Produktionsstandorts. „Wir sind sicher, ausreichend ausgebildete Mitarbeiter zu finden. Außerdem gibt es viele Zulieferer in Mexiko.“ Als Absatzmarkt spielt Mexiko allerdings bislang nur eine untergeordnete Rolle, vor allem wegen der geringen Einkommen der Bevölkerung und der jährlichen Einfuhr von Hunderttausenden Gebrauchtwagen aus den USA. 2013 verkaufte BMW gerade einmal knapp 14.000 Fahrzeuge in Mexiko, weltweit waren es fast zwei Millionen. Die USA waren dagegen nach China der zweitgrößte Absatzmarkt für den deutschen Autokonzern. Rund 376.000 Autos lieferte BMW in den USA aus. Durch das Freihandelsabkommen NAFTA ist Mexiko als Standort für Autobauer mit Blick auf den US-Markt äußerst interessant, hinzu kommen, wie von Eich erwähnt, qualifizierte Arbeitnehmer*innen und erfahrene Zulieferer.
Unerwähnt blieb ein möglicherweise ebenso gewichtiger Grund. In kaum einem anderen Land sind die in der Autoindustrie gezahlten Stundenlöhne so niedrig wie in Mexiko. Laut einer von Alex Covarrubias Valdenebro und der Friedrich-Ebert-Stiftung in Mexiko veröffentlichten Studie sanken die Stundenlöhne in Mexikos Autoindustrie zwischen 2008 und 2012 um mehr als zehn Prozent – von 8,69 US-Dollar auf 7,80 US-Dollar pro Stunde. Den Arbeiter*innen am Fertigungsband wurde sogar nur zwischen 3,60 und 3,90 US-Dollar gezahlt. Mexiko verwandele sich in ein „westliches China“ – mit hohen Investitionen in der Autoindustrie, attraktiv vor allem wegen der günstigen Arbeitskraft, hieß es in der Studie. Während die Löhne sanken, nahm die Produktivität jährlich um 4,3 Prozent zu und der Wert der Produktion stieg um fast 40 Prozent. In der Konsequenz heißt das: die Gewinne der Unternehmen stiegen auf Kosten der Arbeiter*innen. Deshalb, so Covarrubias, „müssen wir den Arbeitsmarkt und die Einkünfte der Arbeiter im Automobilsektor neu beleben und stärken, denn in der Geschichte hat es noch keinen Binnenmarkt gegeben, der robuster geworden wäre ohne die Lebensqualität seiner Arbeitnehmer zu erhöhen.“

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