Kolumbien | Nummer 307 - Januar 2000

Brennpunkt Medien

Ein Plädoyer für Engagement und Einmischung

Nach Todesdrohungen der Paramilitärs mußte der kolumbianische Journalist Hernando Corral im September 1999 ins Exil gehen. Er glaubt nicht mehr, daß Kolumbien den jahrzehntelangen Konflikt alleine lösen kann, und spricht sich zur Unterstützung des demokratischen Engagements von KolumbianerInnen für eine Einmischung der internationalen Gemeinschaft aus – nicht durch Militärhilfe, sondern durch Vermittlung.

Hernando Corral G.

Wenn es das größte Verlangen einer Gesellschaft – wie der kolumbianischen – ist, mit der langen und nutzlosen Gewalt, in der wir seit vielen Jahren leben, Schluß zu machen, dann haben JournalistInnen die Aufgabe, dieses gesellschaftliche Begehren zu unterstützen. Dennoch ist dies nicht immer der Fall – aus Angst vor Kompromissen, aus Skepsis oder schließlich auch, so traurig dies ist, weil einige JournalistInnen zu simplen Kriegstreibern geworden sind.
Die wiedergekäute These vom objektiven Journalismus ist für viele Professionelle der Medienlandschaft zum Vorwand geworden, ihre Rolle als Anwälte der Gesellschaft und Wortführer der großen Mehrheiten zu vernachlässigen – jener, die in unserem Land nicht gehört werden und dabei im Kreuzfeuer zwischen Militär, Guerilla und Paramilitärs die tagtäglichen Opfer der Gewalt sind.
Ich halte diese Einleitung für notwendig, damit verständlich wird, warum ich das Land verlassen mußte. Seit vielen Jahren habe ich unterschiedlichen Friedenskomitees angehört, die sich dafür eingesetzt haben, daß sich sowohl die Regierung wie auch die Guerilla an den Verhandlungstisch setzen und zu einer endgültigen Einigung gelangen. In letzter Zeit haben wir uns dafür, zusammen mit Persönlichkeiten der unterschiedlichsten politischen Überzeugungen, eingesetzt, daß die Guerilla-Gruppe Ejército de Liberación Nacional (ELN) in Kontakt mit einem Delegierten des Präsidenten tritt und über die Freilassung von mehr als hundert Entführten verhandelt wird. In einigen Fällen wurde die Freilassung auch tatsächlich erreicht. Dann wurde einer unserer Mitstreiter, der Fernseh- und Radiojournalist und Komiker Jaime Garzón, ermordet (vgl. LN 303/304). Wenige Tage zuvor war in der Nachrichtenredaktion des Senders, bei dem wir beide arbeiteten, per Telefon eine an uns beide gerichtete Drohung eingegangen. Dank der Solidarität der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte konnte ich Kolumbien verlassen, um mich für ein Jahr in Hamburg niederzulassen.

Journalismus unter Zensur

Der kolumbianische Journalismus ist in den verschiedenen Etappen der diversen Gewaltwellen, die das Land im ausgehenden Jahrhundert durchlebt hat, immer wieder das Ziel von Attacken gewesen: Während der langen bewaffneten Konfrontation zwischen den beiden traditionellen Parteien, Konservativen und Liberalen, die das Land schon immer regiert haben, wurden zuerst die Tageszeitungen angezündet, geschlossen oder zensiert. Danach gab es eine Zensur gegen die Presse der Opposition, Bombenattentate oder Sabotage, damit kritische Zeitschriften nicht in Umlauf kommen konnten, so wie im Fall der Wochenzeitschrift Alternativa, die der Schriftsteller Gabriel García Márquez herausgegeben hat und bei der ich das Glück hatte, Reporter sein zu dürfen. Anschließend folgte die Verfolgung durch die Drogenhändler, die Journalisten wie Guillermo Cano, Direktor der Tageszeitung El Espectador und ein Beispiel von einem Pressemenschen, einfach umbringen. Rund hundert KollegInnen verschiedener Medien des Landes, unter ihnen Journalisten, Kameraleute und Fotografen, wurden in letzter Zeit ermordet.
Unglücklicherweise sieht es nicht so aus, als ob sich diese Situation in nächster Zeit ändern würde, und zwar aus den folgenden Gründen:
1) Der Friedensprozeß, der mit der Guerilla-Gruppe Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) begonnen wurde, kann viele Jahre dauern – wenn er nicht sogar bald scheitert, so wie es einige scharfsinnige Analytiker voraussagen. Sollte dies tatsächlich eintreten, dann erwartet Kolumbien unweigerlich eine noch blutigere Polarisierung des Konfliktes.
2) Die Vereinigten Staaten haben entschieden, eine aktivere Rolle in dem Konflikt einzunehmen, mit dem Argument, daß die Guerilla-Gruppen auf die eine oder andere Weise mit dem Kokain- und Heroinhandel in Verbindung stehen. Ihre Beteiligung bedeutet mehr Mittel für militärische Zwecke und eine Intensivierung der bewaffneten Konfrontation.
3) Die paramilitärischen Gruppen wie auch die FARC-Guerilla scheinen eher daran interessiert zu sein, das Niveau der bewaffneten Auseinandersetzung zu erhöhen: Sie erwerben nicht nur immer modernere Waffen im Ausland, sonderen bauen auch ihre Stützpunkte aus und dringen in neue Gebiete vor, um neue Kriegsfronten zu eröffnen.
4) Die einflußreichsten Unternehmer haben sich auf egoistische Weise gegen einen Friedensprozeß ausgesprochen, indem sie die umstrittene These vertreten, sie bräuchten keine ökonomischen Opfer zu bringen, da sie ihr Geld ja ehrlich verdient hätten. Und das in einem Land, in dem die sozialen Ungleichheiten jeden Tag zunehmen und Unternehmer und Bänker im Vergleich zu den bescheidenen Einkünften der Bevölkerungsmehrheit über skandalös hohe Gewinnspannen verfügen.

Politische Gewaltkultur

In- und ausländische Experten sind sich einig, daß Kolumbien eine demokratische Revolution seiner Institutionen benötigt, eine bürgerliche und modernisierende Revolution, die die rückständigen Strukturen in den ländlichen Gegenden durchbricht und die freie Partizipation neuer politischer Kräfte erlaubt. Eine Revolution, die mit der alten herrschenden Klasse – korrumpiert durch das Geld der Drogenhändler und zu weiten Teilen morsch und verdorben – aufräumt.
Kolumbien muß weiterhin eine ebenso alte und traditionsreiche politische Kultur der Gewalt überwinden, ein Erbe der bewaffneten Konfrontation zwischen Liberalen und Konservativen. Die diversen Guerilla-Gruppen übernahmen diese Parteien-Tradition und verstärkten sie noch mit der marxistischen These, daß Gewalt die Geburtshelferin der Geschichte sei. Nicht umsonst nimmt auch García Márquez in “Hundert Jahre Einsamkeit” Bezug auf diese gewalttätige Tradition: ein Arzt aus Macondo, Alirio Noguera, überzeugt viele der jungen Leute im Dorf, liberal zu wählen, um ihnen klarzumachen, daß Wahlen ein Farce sind und das einzig Effiziente die Gewalt sei.
Um diese neuen Bedingungen zu schaffen, die es Kolumbien erlauben, zu einem modernen Land ohne Gewalt zu werden, ist es notwendig, einen weiteren Brennpunkt der Gewalt zu eliminieren: den Drogenhandel. Zu Recht meinen einige Analytiker, die Drogenhändler hätten am wenigsten ein Interesse daran, daß die Guerilla den bewaffneten Kampf aufgibt, da sie von der Präsenz der FARC als der wichtigsten Guerilla-Gruppe in den Anbau- und Verarbeitungszonen von Kokain und Heroin profitieren. Insofern hat das Friedensabkommen mit den bewaffneten Aufständischen doppelte Wichtigkeit: es geht nicht nur darum, einen Gewaltfaktor zu beseitigen, sondern auch darum, einen Weg im Kampf gegen die Drogen-Kartelle freizumachen.

Internationale Aktivität ist nötig

Für einen dauerhaften Frieden muß Kolumbien die soziale Ungerechtigkeit beenden: der Mindestlohn liegt in unserem Land bei umgerechnet 230 DM im Monat, die Arbeitslosigkeit erreichte im ersten Halbjahr 1999 20 Prozent, während weitere ArbeiterInnen aufgrund der Schließung von Unternehmen entlassen wurden. Von sechs Millionen KolumbianerInnen mit Arbeit bekommen 25 Prozent den Mindestlohn, und nur sechs Prozent erhalten mehr als sechs Mindestlöhne pro Jahr. Öffentliche Krankenhäuser werden wegen Geldmangel geschlossen, und die Bildung – sei es an den Grundschulen, weiterführenden Schulen oder Universitäten – befindet sich in einer tiefen Krise. Die schwierige Lage in Kolumbien erfordert den Beistand der internationalen Gemeinschaft, nicht nur als Beobachterin des Konfliktes, sondern auch als Vermittlerin.
Europa, und vor allem die Europäische Union, sollte sich mit unserer schrecklichen Realität intensiver beschäftigen und ihre Erfahrungen und Weisheiten aus eigenen befriedigend gelösten Konflikten einbringen. Anders als viele andere bin ich der Meinung, daß wir KolumbianerInnen mit unseren Problemen nicht mehr alleine fertig werden und deshalb internationale Aktivität brauchen. Keine militärische, sondern Beratung und internationalen Druck, damit die, die nicht an einer friedlichen Lösung des Konfliktes interessiert sind, dazu gebracht werden, ihre radikale Position aufzugeben. Das Schlimmste, was uns passieren könnte, ist, daß Europa und die Welt uns aufgeben.

Übersetzung: Elisabeth Schumann-Braune

KASTEN

Die Biographie eines bedrohten Friedensstifters

Der 57jährige Hernando Corral ist seit dem 13. Oktober Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte. In Kolumbien steht der Journalist auf der Todesliste paramilitärischer Gruppen. Mehrfach wurde er bereits mit dem Tode bedroht. Der Grund: Seit Jahren vermittelt Corral im Friedensprozeß zwischen Regierung und den Guerillaorganisationen. Er ist einer der wenigen kolumbianischen JournalistInnen, die sich noch kritisch mit den Zuständen in Kolumbien auseinandersetzen.
Bereits 1978 gab es den ersten Bombenanschlag auf sein Büro. Bis 1989 arbeitete er als Redakteur der linken Zeitschrift Alternativa und als Reporter und Nachrichtensprecher für den kolumbianischen Fernsehsender TV-Mundo. Zwischen 1989 und 1990 ging er das erste Mal ins Exil nach Spanien, nachdem er ständigen Todesdrohungen ausgesetzt war.
Von 1992 bis 1999 war er stellvertretender Direktor und Chefredakteur des kolumbianischen Fernsehkanals Tele 7, sowie Koordinator zweier Gruppen, deren Aufgabe es war, den Friedensprozeß zu analysieren. Im September 1999 erhielt er mit dem Simon Bolívar-Nationalpreis den höchsten zu vergebenden Journalistenpreis in Kolumbien. Kurz danach mußte er wiederum ins Exil gehen.
Die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte vergibt jährlich fünf bis acht Stipendien an Menschen, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen und deswegen verfolgt werden. Sie sollen hier – frei von Bedrohung – politisch arbeiten können. Die Stiftung übernimmt die gesamten Kosten für den Aufenthalt und bittet Personen, die ähnliche Fälle kennen, sich mit der Stiftung in Verbindung zu setzen.
Kontaktadresse: Martina Bäuerle, Osterbekstraße 96, 22083 Hamburg, Tel: 040-42863-5757, Hamburger-Stiftung@t-online.de

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