Literatur | Nummer 240 - Juni 1994

Bridge of Courage

Lebens-Geschichten guatemaltekischer Compañeras und Compañeros

Die Erhebung der EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional) Anfang diesen Jahres im Süden Mexikos hat weltweit die Aufmerksamkeit auf die Maya-Indígenas, die grausame Unterdrückung und sozialen Mißstände unter denen sie in Chiapas leben, gelenkt. Ironischerweise hat dieser Aufstand den unabhängigen, aber weitaus blutigeren Freiheitskampf ihrer (Leidens-) GenossInnen im benachbarten Guatemala in den Schatten gestellt, der in den vergangenen 34 Jahren schätzungsweise 140.000 Tote gefordert hat.

Robert Collier, San Francisco Chronicle, Freie Übersetzung: Birgit Kolboske

In dem Buch “Bridge of Courage” wirft die US-Rechtsanwältin Jennifer Harbury einen sehr persönlichen Blick auf das Innere dieses Konflikts, in dessen Mittelpunkt die URNG (Unidad Revolu­cionaria Nacional Guatemalteca) steht. Dabei entsteht ein sachliches, ausdrucks­starkes Porträt eines Krieges, der weit über den Kampf der Mayas hinausgeht. Deshalb wird das Buch zweifellos seinen Platz unter den bemerkenswertesten Bü­chern über den bewaffneten Konflikt im Trikont einnehmen.
Bedauerlicherweise gibt das Buch nur wenig politischen Aufschluß. Es beant­wortet keine der klaffenden Fragen über die guatemaltekische Guerilla: was ist ihre gegenwärtige Strategie, wie sieht ihre der­zeitige militärische Stärke aus oder wieso wurden sie, im Gegesatz zu beispielsweise ihren salvadorianischen KollegInnen der FSLN, Anfang der 80er Jahre beinahe zer­stört, als sie außerstande waren, sich wirk­sam der (Militär-) Regierungskampagne der “Verbrannten Erde” und der Raserei der Todesschwadrone zu widersetzen.
Dafür bietet “Bridge of Courage” aller­dings etwas weitaus Bezwingenderes – eine Sammlung von testimonios der Guerilleros/as.
Diese Selbstporträts reichen vom Kurio­sen (Bericht eines Guerilleros über die Eskapaden eines Eichhörnchens, das seine Truppe adoptiert hatte) über das nachdenkliche Sinnieren Gaspar Iloms, einem der Generalkommandanten der URNG, bis zu den dunkel inspirierenden Sa­gen verschiedener Mitglieder der breiten Masse des Guerillaheeres.
Dies sind tatsächlich Stimmen aus dem tiefen Untergrund einer Guerilla, die An­fang der 80er Jahre am Abgrund der Ver­nichtung entlangwankte und erst nach ei­nigen Jahren wieder erstarkte.
Harbury präsentiert die Lebensberichte als Transkription von Monologen, deren Di­rektheit eloquent, aber auch beunruhigend ist. Das Buch beginnt mit Anita, einer Guerilla-Ärztin: “Hör jetzt auf, sei nicht schüchtern. Ich sehe ja, daß du die Narben in meinem Gesicht anstarrst. Eine große Kugel hat mir vor fast fünf Jahren bei ei­nem Gefecht mit den Militärs mein halbes Kinn weggerissen….Komm, setz dich hin und nimm was von diesem Kaffee und ich erzähl dir die ganze Geschichte.”
Zwei Seiten später beschreibt Anita ganz nüchtern, wie eine Ärztin, mit der sie in Guatemala-Stadt zusammengearbeitet hatte, von den Todesschwadronen der Re­gierung verschleppt wurde. “Ich fand sie schließlich im Leichenschauhaus, wie so viele andere auch. Sie war nackt und böse zugerichtet, ihr Gesicht bläulich von der Strangulation, kleine Schnitte mit der Ra­sierklinge und Zigarettenbrandmale über­säten ihre Arme und Beine.” Ihre Be­schreibung der Leiche fährt noch minu­tenlang fort und wird noch wesentlich grauenhafter, bevor sie dann weitererzählt, wie sie Vollzeit-Guerillera wurde und in die Berge ging.
Der persönliche Ton von “Bridge of Cou­rage” ist nicht verwunderlich – Harbury ist mit dem URNG-Kommandanten Efraín Bamaca Velasquez (“Everardo”) verhei­ratet, den sie während ihrer Materialre­cherche 1991 kennenlernte. Bamaca ver­schwand im Mai 1992 während eines Ge­fechts und wird Zeugenaussagen zufolge in wechselnden geheimen Militärgefäng­nissen festgehalten und gefoltert.
Auf diesem Hintergrund ist ebensowenig verwunderlich, daß das Buch idealistisch, aber überwältigend traurig ist. Für die Re­bellInnen hören die Opfer nie auf. In ei­nem anderen Kapitel des Buches über ihre Zeit als Guerillera im Landesinneren, be­schreibt Anita, wie sie in einem Militär­hinterhalt verletzt wurde und dann, mit ih­rem zerfetzten Kinn, zehn Tage durch die Berge taumeln mußte und dabei noch half, andere verwundete GefährtInnen zu tra­gen, um in Sicherheit zu gelangen. Schließlich wurde sie in ein Sicherheits­haus (d.h. ein geheimes Haus der URNG) gebracht, wo sie auch operiert wurde.
Aber der Alptraum endete noch nicht dort: Das sichere Haus wurde vom Militär ent­deckt, und Anita schaffte es gerade eben noch auf die Straße und in eine Bar zu entkommen, wo sie, in eine dunkle Ecke gekauert, in einer Liveübertragung im Fernsehen sah, wie das Sicherheitshaus von Armeekugeln durchsiebt und bis auf die Grundmauern abgebrannt wurde.
Während Anita beschreibt, wie sie in jener Nacht durch die Straßen irrte, auf der Su­che nach einem neuen Zufluchtsort, stößt sie eine kräftige und traurige Klage aus, die nicht nur für die URNG zutrifft, son­dern für all diejenigen, die versuchen, das Übel herauszureißen, das so fest in Gua­temala verankert ist: ” Das ist schwer, so schwer zu erzählen. All diese wunderba­ren Menschen in dem Haus, ich bin die einzige Überlebende…Der schlimmste Schmerz für mich ist zu denken, daß sie vielleicht eines Tages vergessen wer­den…Weiß irgendwer, wieviel diese Men­schen für ihr Heimatland gegeben haben?”
Jennifer Harbury widmet derzeit ihre ganze Kraft dem Bemühen, die Freilas­sung ihres Mannes zu erreichen. Unge­achtet ihrer Anstrengungen ist es ihr bis­lang nicht gelungen seinen Aufenthaltsort zu erfahren und ob er überhaupt noch lebt.
Wo ist Everardo?

Jennifer Harbury: Bridge of Courage, Common Courage Press, P.O.Box 702, Monroe ME 04951, 265 Seiten, 14.95 US-$

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