Nummer 319 - Januar 2001 | Peru

Brot und Wasser für Peru

Alberto Fujimori wegen permanenter moralischer Unfähigkeit abgesetzt

Die Menschen tanzten nach dem Ende des Montesinos-Fujimori-Regimes auf der Straße. Doch die Euphorie könnte schnell verfliegen, wenn die Vergangenheit nicht gründlich aufgearbeitet wird.

Rolf Schröder

Der Abgeordnete Miguel Velit verließ seine Fraktion „Perú 2000“ umgehend, als er aus dem fernen Japan die Nachricht vom Rücktritt des peruanischen Staatschefs erhielt. „Präsident Fujimori handelt nicht im Einklang mit den japanischen Traditionen“, erklärte er und fügte hinzu, dass er von einem echten Japaner ein Harakiri erwartet hätte. Velit war verbittert über das Verhalten seines Präsidenten. Denn der Mann, der Peru über zehn Jahre mit eiserner Hand regierte, war ins Land seiner Vorfahren geflüchtet. Und er hatte stets verschwiegen, dass er seit seiner Kindheit japanischer Staatsbürger ist.
Fujimoris Regierungsbündnis „Perú 2000“ zerplatzte nach der Flucht des Präsidenten wie eine überreife Frucht: mit Velit traten acht Abgeordnete auf der Stelle aus, der Rest des Bündnisses steht vor der Spaltung. Der Kongress lehnte in einer historischen Abstimmung den Rücktritt Fujimoris ab und erklärte den Präsidentsessel wegen „permanenter moralischer Unfähigkeit“ des Amtsinhabers als vakant.
Das Regime wurde lebendig begraben, denn der Druck auf die Regierung war so groß, dass nach dem ersten Vizepräsidenten Francisco Tudela auch der zweite Stellvertreter Fujimoris, Ricardo Márquez, auf eine Nachfolge verzichtete. Als Totengesang stimmten die siegreichen Abgeordneten ein Lied von der Straße an: „Sie ist gestürzt, sie ist gestürzt; die Diktatur, sie ist gestürzt!“ Auf den Plätzen Limas und verschiedener Provinzstädte wurde ausgelassen gefeiert und getanzt.
Fujimoris Nachfolger wurde verfassungsgemäß der amtierende Parlamentspräsident Valentín Paniagua – zu Deutsch „Brot und Wasser“ – von der oppositionellen Acción Popular (AP). Der 64-jährige Verfassungsrechtler gilt als aufrechter Streiter einer parlamentarischen Demokratie und war erst eine Woche zuvor dank des stetigen Zerfalls des Regierungsbündnisses zum neuen Präsidenten des Kongresses gewählt worden. Paniagua ist die Regierungsarbeit vertraut: unter dem rechtspopulistischen Präsidenten Fernando Belaunde (AP) war er von 1965 bis 1968 und von 1980 bis 1985 Minister für Justiz und für Erziehung. Zum Ministerpräsidenten seiner Übergangsregierung ernannte Paniagua einen Mann, der auch außerhalb der Grenzen Perus bekannt ist: den mittlerweile 80-jährigen, ehemaligen UNO-Generalsekretär Javier Pérez de Cuellar.
Die Aufgabe der neuen Regierung ist es, zum ersten Mal seit 1990 am 8. April 2001 wieder saubere Wahlen in Peru zu organisieren und den von Vladimiro Montesinos aufgebauten Repressionsapparat zu entflechten. Die ersten Weichen stellte Präsident Paniagua kurz nach der Amtsübernahme. Er besetzte wichtige Schlüsselstellen in der Justiz neu und entließ elf zu Unrecht wegen Terrorismus verurteilte Gefangene aus der Haft. Unter ihnen der ehemalige Aktivist der Vereinigten Linken (IU) Yehude Simón, den das Regime über acht Jahre eingesperrt hatte. Hunderte weiterer politischer Gefangener, die nicht am bewaffneten Kampf teilgenommen haben, warten allerdings noch auf ihre Freilassung. Auch an der Armeespitze gab es Veränderungen: Zwölf Generäle, die zusammen mit dem Ex-Präsidentenberater Vladimiro Montesinos die Militärakademie besuchten, mussten ihren Hut nehmen. Es bleibt zu hoffen, dass die Anklage von Montesinos uniformierten Gefolgsleuten wegen illegalem Drogen- und Waffenhandel als zweiter Schritt folgt. Die von der Armee während des Bürgerkrieges an der Zivilbevölkerung verübten Massaker werden allerdings ein Tabuthema bleiben.
Dahingegen wird die staatliche Kontrolle der Medien definitiv beendet werden und die Unternehmer Baruch Ivcher und Genaro Delgado Parker werden ihre Fernsehkanäle zurückerhalten, die ihnen die Montesinos-Justiz entzogen hatte. Beide sind nach Beendigung ihres Exils in den USA inzwischen wieder in Lima eingetroffen. Von ihnen sind allerdings keine Wunderdinge zu erwarten: Sie hatten Fujimoris Putsch von 1992 unterstützt – bei dem er Panzer auffahren und den Kongress schließen ließ – und gingen erst später auf Distanz zum Regime. Dennoch werden Ivcher und Delgado auch wieder regierungskritische Sendungen in die öffentlich zugänglichen Fernsehprogramme aufnehmen.
Leider fand die neue Regierung nicht den Mut, erstmals in der peruanischen Geschichte einen Zivilisten zum Verteidigungsminister zu ernennen. Der Ex-General Walter Ledesma, der das Amt jetzt übernahm, ist eine glatte Fehlbesetzung: Als der General Rodolfo Robles 1993 die Verwicklung von hochrangigen Militärs in Morde und Massaker der Todesschwadron „Colina“ denunzierte, unterstützte Ledesma dessen Ausschluss aus der Armee. Und den Oberstleutnant Ollanta Humala, der im vergangenen November gegen das Montesinos-Fujimori-Regime rebelliert hatte, will Ledesma vor ein Militärgericht stellen.
Insgesamt soll das neue Kabinett verschiedene gesellschaftliche Strömungen repräsentieren. Doch während Vertreter von Unternehmensverbänden zu Ministerehren kamen, fehlen Gewerkschafter. Zu allem Überfluss gehört auch noch ein Ex-Minister Fujimoris der Regierung an. Der neue Innenminister, Polizeigeneral Ketín Vidal, war unter Montesinos Polizeichef und Direktor der Anti-Terror-Einheit DINCOTE und wurde durch die Verhaftung des Sendero-Führers Abímael Guzmán bekannt.
Die Demokratisierung der staatlichen Institutionen und Behörden ist eine schwierige Aufgabe. Ebenso dringend für die neue Regierung ist aber die Aufarbeitung der Verbrechen des Montesinos-Fujimori-Regimes. Wenn künftig nicht drastische Maßnahmen gegen Korruption und illegale Bereicherung von PolitikerInnen ergriffen werden, kann die jetzige Aufbruchstimmung schnell in politisches Desinteresse und Resignation umschlagen. Natürlich hofft die Bevölkerung außerdem auf einen wirtschaftlichen Aufschwung – auf Zeiten, in denen sie nicht von Brot und Wasser leben muss.

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