Ecuador | Nummer 418 - April 2009

Bürgerrevolution ohne BürgerInnen?

Staatliche Umstrukturierung zeigt progressive, aber auch bedenkliche Elemente

Ecuador befindet sich im Umbruch. Nachdem im vergangenen September per Plebiszit die neue Verfassung gültig wurde, wird die gesamte Architektur des Staates umgebaut und neue Gesetze werden erlassen. Am 26. April werden von den Gemeinden über das Parlament bis hin zum Präsidenten alle politischen Ämter neu gewählt. In dieser Konjunktur des ständigen Wandels hat nicht viel Bestand. Nur eines scheint sicher zu sein: Dass Rafael Correa weitere vier Jahre regieren wird. Doch auch wenn Correa nach über zwei Jahren immer noch sehr populär ist, ist in Ecuador innenpolitisch nicht alles so fortschrittlich, wie es scheint.

Leonie Fuhrmann

„Die Bürgerrevolution ist im Gang“, heißt es jeden Montag am Ende der offiziellen Fernsehsendung, die auf allen Kanälen die Erfolge von Correas Politik aus der vorherigen Woche zeigt. Die Bürgerrevolution ist scheinbar nicht zu bremsen. Rafael Correa und seine Partei Alianza País werden im April die fünfte Wahl in Folge gewinnen, zumindest auf nationaler Ebene. Den rechten Parteien haftet der Ruch des Ewiggestrigen an. Expräsident Lucio Gutiérrez (2003 bis 2005) darf zwar wieder kandidieren, liegt aber in den Umfragen bei nur um die 9 Prozent. Álvaro Noboa, Correas Widersacher in den Wahlen von 2006, ist mit circa 14 Prozent auch derzeit sein stärkster Konkurrent.
Die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) hat Ecuador für 2008 ein Wirtschaftswachstum von 6,5 Prozent attestiert, allerdings auch eine Inflationsrate von 9,9 Prozent. Nachdem die Regierung die internationalen Erdölkonzerne seit 2007 per Dekret gezwungen hatte, in neu verhandelten Verträgen 90 Prozent der Mehreinnahmen durch hohe Ölpreise auf dem Weltmarkt an den Staat zu zahlen, ging die private Ölproduktion angeblich nur um 4,2 Prozent zurück. Vor kurzem erst lenkte die spanische Repsol ein, die des Landes verwiesen werden sollte, weil sie 444 Millionen US-Dollar solcher Steuern schuldig geblieben war. Diese sollen jetzt in Raten abbezahlt werden.
Dennoch sagen ExpertInnen voraus, dass die weltweite Wirtschaftskrise das Land am Äquator noch hart treffen wird. Die Überweisungen von MigrantInnen aus den USA und Europa sind bereits stark zurückgegangen und der niedrige Ölpreis hat die gesamte Haushaltsplanung der Regierung empfindlich getroffen. Sie hatte ihr Budget auf einer Grundlage von 85 US-Dollar pro Barrel kalkuliert, in den letzten Monaten liegt der Preis aber bei 40 bis 50 US-Dollar. Umso verbissener will die Regierung nun den Bergbau im Land forcieren. Im Januar wurde vom Übergangsparlament, in dem Alianza País die Mehrheit hat, ein neues Bergbaugesetz verabschiedet. Ungeachtet der derzeitigen Tiefstpreise auch für Kupfer und andere Erze auf dem Weltmarkt war man bemüht, wieder Rechtssicherheit für ausländische InvestorInnen zu schaffen, wobei diese sich eher zurückhaltend zeigen.
Laut dem ehemaligen Bergbauminister Alberto Acosta verstößt das neue Bergbaugesetz in mehreren Punkten gegen die neue Verfassung. Unter die Räder kommen dabei die indigenen Gemeinden. In den meisten Fällen soll in traditionell indigenen Gebieten abgebaut werden. Nachdem Correa in der Verfassung bereits durchgesetzt hatte, dass die Ergebnisse der international vorgeschriebenen Vorabbefragung der AnwohnerInnen über Entwicklungsprojekte und Ausbeutung von unterirdischen Naturressourcen für die Regierung nicht bindend sein müssen, hat er jetzt nur noch Worte der Verachtung übrig für die Indigenen und UmweltschützerInnen, die seinem Vorhaben im Weg stehen. Mit Vorliebe nennt er sie „infantil“. Als die größte indigene Organisation, die Konföderation Indigener Nationen Ecuadors (CONAIE) und Umweltnetzwerke am 20. Januar landesweit gegen das neue Gesetz mobilisierten, schickte er die Polizei, um die Straßenblockaden gewaltsam zu räumen – eine Repression, die bisherige Regierungen sich in Ecuador politisch nicht so einfach leisten konnten. Dieser Vorfall versinnbildlicht, dass sich am Entwicklungsmodell, welches in der Verfassunggebenden Versammlung so leidenschaftlich diskutiert wurde, nichts verändert hat. Es geht nach wie vor um das „extraktive Modell“, also um den Ausverkauf von Naturressourcen. Neu ist, dass die Einnahmen daraus nun etwas gerechter verteilt werden.
Die international anerkannte Umweltorganisation Acción Ecológica wurde Anfang März von der Regierung in Kenntnis gesetzt, dass ihr der Vereinsstatus und damit die rechtliche Grundlage für ihr Tun aberkannt worden sei. Die Organisation ist eine der wenigen, die sich grundsätzlich gegen jegliche In-Wert-Setzung des amazonischen Regenwalds ausspricht, auch in Form von Naturschutzgebieten. Die Regierung ließ eilig verlautbaren, es handle sich dabei lediglich um einen administrativen Vorgang, da die Organisation beim Gesundheitsministerium registriert war, aber Umweltthemen bearbeite und deshalb beim Umweltministerium angesiedelt sein müsse. Dennoch liefen viele AktivistInnen und Nichtregierungsorganisationen (NRO) Sturm gegen diese Maßnahme. Als Acción Ecológica in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre gegründet wurde, existierte in Ecuador noch kein Umweltministerium. Die Aktion wurde als Ausdruck dafür angesehen, dass die Regierung, anstatt mit den sozialen Bewegungen, denen sie letztlich die Macht verdankt, den Austausch zu suchen und neue Impulse von ihnen aufzunehmen, diese nur noch als missliebige Opposition bekämpft. Zwei Wochen später musste die Maßnahme allerdings zurückgenommen werden, Acción Ecológica hat nun wieder einen provisorischen Rechtsstatus, bis in knapp zwei Monaten gerichtlich entschieden werden soll.
Nach der Implosion der organisierten Rechten ist es vor allem eine linke Opposition, die sich in Ecuador zu Wort meldet. Auch sie ist jedoch schwach und zersplittert. „Bürgerrevolution ohne Bürger?“ parodierte vor einigen Wochen das Politik-Magazin Vanguardia den offiziellen Slogan und stellte die These auf, die sozialen Bewegungen seien seit dem Amtsantritt Rafael Correas empfindlich geschwächt worden. Wo früher in den Medien Indigene, Frauenbewegte oder Jugendliche sich in Debatten um Lösungen einbrachten, sei heute fast ausschließlich die Meinung des Präsidenten vertreten.
Diese These ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Rafael Correa zieht mit seinem Charisma, seiner provokanten Eloquenz, aber auch seinem Regierungsstil, der durchaus etwas Autokratisches hat, einen Großteil der öffentlichen Aufmerksamkeit auf sich. Linke OppositionskandidatInnen wie Martha Roldós, die Tochter des Expräsidenten Jaime Roldós (1979 -1981), haben es schwer, aus Correas Schatten zu treten, und wirken in ihrer Kritik schnell hölzern und negativ. Roldós bewegt sich je nach Umfrage zwischen 1,5 und 7,7 Prozent der Wahlabsichten.
Die CONAIE-nahe Partei Pachakutik schickt diesmal gar nicht erst einen Präsidentschaftskandidaten ins Rennen und konzentriert sich auf lokale Kandidaturen. Bis zum letzten Moment wartete sie auf Alberto Acosta als ihren Spitzenkandidaten, obwohl dieser bereits mehrfach geäußert hatte, nicht gegen Correa antreten zu wollen, und ging so ganz leer aus. Nachdem Pachakutik auf nationaler Ebene politisch irrelevant geworden ist, demontiert die Regierung auch die anderen Einflusssphären, die CONAIE sich seit 1990 im Land aufgebaut hatte. So hat sie vor Kurzem das Amt für interkulturelle Bildung DINEIB, das bisher institutionell autonom, politisch aber stark von der CONAIE kontrolliert worden war, in die Hierarchie des Erziehungsministeriums eingebunden und damit unter Correas politische Kontrolle zurückgeführt.
Ein weiterer Angriff der Correa-Regierung auf die indigene Institutionalität war Ende Januar gegen den Nationalen Rat für die Entwicklung der Nationalitäten und Völker Ecuadors (CODENPE), gerichtet, der staatlichen Instanz für indigene Angelegenheiten, dessen Existenz erst 2007 per Gesetz konsolidiert worden war. Nachdem Lourdes Tibán, die damals amtierende Direktorin des CODENPE, öffentlich die CONAIE-Proteste gegen das Bergbaugesetz am 20.Januar unterstützt und die Regierung kritisiert hatte, strich letztere dem CODENPE seinen kompletten Jahreshaushalt und verdammte ihn damit zur Untätigkeit. In der neuen Architektur der staatlichen Institutionen sollen nun sowohl CODENPE als auch CONAMU, der nationale Frauenrat, degradiert werden, indem ihnen nur noch Kompetenzen bei der Beratung anderer Ministerien zugestanden werden. Ein Budget zur Durchführung eigener Projekte oder Politiken bekommen sie nicht mehr. Das kommt, historisch betrachtet, in beiden Fällen der faktischen Abschaffung von wichtigen Errungenschaften sozialer Bewegungen Ecuadors gleich. Denn beide Räte waren Instanzen, deren Direktorien paritätisch von Zivilgesellschaft und Regierung besetzt waren, und insofern echte Orte der Mitbestimmung.
Auch in Sachen Mitbestimmung wird der Staat umgebaut: Die neue Verfassung schreibt eine sogenannte fünfte Gewalt vor (neben Exekutive, Legislative, Judikative und der Wahlbehörde), den Rat für Bürgerbeteiligung und soziale Kontrolle (CPCCS). Es handelt sich um ein siebenköpfiges Gremium mit ebenso vielen StellvertreterInnen, das unter anderem Bürgerkomitees zusammenstellen soll, um verschiedene Ämter zu besetzen, die Kontrollfunktionen ausüben sollen: Ombudsstelle für Menschenrechte, Generalstaatsanwalt oder -anwältin, Bankenüberwachung, Wahlgericht. Derzeit gibt es einen provisorischen CPCCS, der vor allem ein Gesetz über die Modalitäten der Mitbestimmung entwerfen soll. Die fünf Jahre lang amtierenden endgültigen Mitglieder sollen ebenfalls am Superwahltag 26. April gewählt werden. Als im Februar die Mitglieder des provisorischen CPCCS per öffentlicher Ausschreibung und anschließendem Auswahlverfahren in einer von Alianza País dominierten Parlamentskommission bestimmt wurden, gab es so viele Unstimmigkeiten, dass einige Mitglieder von vornherein wieder von ihrem neuen Amt zurücktraten, und andere gerichtlich angefochten wurden und ebenfalls gehen mussten. Kein guter Auftakt für ein Gremium, bei dem es in erster Linie um Transparenz und BürgerInnenvertrauen gehen soll. Das Verfassungsmandat des CPCCS ist zwar auf mehr BürgerInnenbeteiligung und weniger Parteienfilz in öffentlichen Ämtern zugeschnitten ist. Dennoch bleibt abzuwarten, ob das Gremium nicht am Ende von der Regierung dazu genutzt werden wird, andere Formen von zivilgesellschaftlicher Partizipation, die nicht diesen offiziellen Weg beschreiten, sondern beispielsweise mehr auf öffentlichen Protest und Widerstand setzen, zu diskreditieren und zu kriminalisieren. Mit „sozialer Kontrolle“ (control social) ist diese Doppeldeutigkeit bereits im Namen der fünften Gewalt angelegt.
Im Prozess der staatlichen Umstrukturierung schwingt viel Progressives mit. Viele FunktionärInnen der Regierung Correa sind bemerkenswert jung und experimentieren mit Visionen von sozialer Gerechtigkeit. Doch von einer Tendenz zur Vergesellschaftung der Produktionsmittel, also zur Stärkung kollektiver, kooperativer oder traditionell indigener Eigentumsformen, ist trotz der offiziellen Rhetorik vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts in Ecuador wenig zu spüren. Vielmehr ist eine progressive Verstaatlichung der Gesellschaft zu beobachten, und die Entscheidungen über den künftigen Kurs des Landes werden nicht zwischen verschiedenen progressiven Kräften ausgehandelt, sondern kommen aus dem Politbüro von Alianza País.
// Leonie Fuhrmann

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