Ecuador | Nummer 488 - Februar 2015

China und Correa gefährden Indigene

Kommentar aus Ecuador über die Kooperation zwischen Peking und Quito

Noch sind die USA Lateinamerikas wichtigster Handelspartner, doch der Handel mit China wächst rasant. Für einzelne Länder wie Brasilien, Chile und Peru ist China bereits wichtigster Absatzmarkt. Um seine Versorgung mit Rohstoffen wie Soja oder Kupfer zu sichern, engagiert sich China mit Krediten und Investitionen in Bereichen wie Infrastruktur, Energie und Bergbau. In Ecuador führt die immer intensivere Kooperation mit der asiatischen Wirtschaftsmacht zu Spannungen zwischen Staat und Gesellschaft. Insbesonders die indigene Bevölkerung sieht dabei ihre Rechte bedroht.

Juan Cuvi, Übersetzung: Lea Fauth, Caroline Kassin

Der berühmte Satz von Deng Xiao Ping, dass es nicht auf die Farbe der Katze ankommt, solange sie Mäuse jagt, hat sich als Prophezeiung herausgestellt. Es scheint, als wusste der ehemalige Premierminister Chinas ganz genau, wovon er sprach, als er die Fähigkeit des asiatischen Riesen voraussagte, sich langfristig in eine wirtschaftliche Weltmacht zu verwandeln. Die chinesische Expansion in den vergangenen drei Jahrzehnten war so schwindelerregend wie unaufhaltsam. Sie sprang von Kontinent zu Kontinent und seit einigen Jahren ist auch Latein­amerika an der Reihe; auch hier sollen die Märkte und Rohstoffe unter chinesische Kontrolle gestellt werden. Zuletzt wurde über Investitionen in Höhe von 250 Milliarden US-Dollar in den nächsten zehn Jahren entschieden. Bis jetzt liegen chinesische Kredite in der Region bei etwa 100 Milliarden US-Dollar.
In Ecuador hat diese Entwicklung entscheidende Auswirkungen auf die indigene Bevölkerung und ihren Kampf gegen die Regierung Rafael Correas – ein Konflikt, der sich in der letzten Zeit verschärft hat. Die vom Weltmarkt am meisten begehrten Rohstoffe finden sich hauptsächlich in indigenen Gebieten. Die Kämpfe der indigenen Bewegungen für den Erhalt und Schutz ihrer Kultur und der Natur sind deshalb untrennbar mit natürlichen Rohstoffen wie Öl, Mineralien, Holz, Wasser und der Artenvielfalt verbunden. Aber auch Ecuador hat kürzlich Abkommen mit China geschlossen, die die Kooperation der Länder bezüglich der Infrastruktur, Energie und Technologie vertiefen sollen. Chinesische Banken sollen sich demnach an verschiedenen Projekten beteiligen und Ecuador Kredite in Höhe von 7,5 Milliarden US-Dollar gewähren.
Das Verhalten der ecuadorianischen Regierung in dieser Angelegenheit steht jedoch in strukturellem Widerspruch zu einem anderen politischen Vorhaben: Der Emanzipation und Plurinationalität Ecuadors. Dem setzt Präsident Correa nun die Homogenität der nationalen Prioritäten und Dringlichkeiten entgegen. Der offiziellen Logik zufolge müssen die in indigenen Gebieten liegenden Rohstoffe genutzt werden, um die nationale Agenda zu finanzieren. Damit werden ebendie indigenen Rechte überfahren werden, die in der Verfassung von 2008 verankert sind. Deren Anwendung stehen laut dem correa’schen Diskurs im Widerspruch zum „höhergestellten Interesse der Nation”.
Es ist überflüssig, auf die kolonialistische Einstellung hinzuweisen, die diese Haltung impliziert. In Lateinamerika war eine der Missionen, mit der die Nationalstaaten beauftragt wurden, die Vollendung des Kolonialisationsprozesses. Dieser war von den Europäer*innen, insbesondere in den fern abgelegenen und schwer zugänglichen Gebieten, unvollendet gelassen worden. Die Strategien, zum Beispiel Amazonien zu besetzen, unterscheiden sich zwischen den jeweiligen verschiedenen Regierungen der Region kaum, ob diese Regierungen nun rechte oder progressive sind – schließlich ist das Ziel dasselbe: finanzielle Einnahmen aus dem Abbau von Rohstoffen einzufahren, um die nationale Entwicklung zu finanzieren.
So ist es auch in Ecuador nicht der Staat, sondern die territoriale Kontrolle durch die Indigenen, die sich dem Angriff der kapitalistischen Globalisierung in den Weg stellt. Der Nationalstaat erfüllt indes die Aufgabe der innenpolitischen Kontrolle, um die Umsetzung von transnationalem Kapital zu ermöglichen, mit dem es immer engagiertere Abkommen trifft. Das erklärt auch die Hartnäckigkeit der ecuadorianischen Regierung in dem Versuch, den indigenen Dachverband CONAIE zu neutralisieren, zu schwächen und unterzuordnen. Immerhin hat die Hauptorganisation der Indigenen im Land die soziale Kraft zum Widerstand gegen die soziale, kulturelle und ökologische Plünderung durch die Globalisierung. Das Kalkül hinter dem aktuellen Versuch der Regierung Correas, dieser Organisation ihren Sitz zu entreißen, den sie seit mehr als 30 Jahren in Quito belegt, ist in diesem Kontext wohl klar.
Der erste geschlossenen Aufstand verschiedener indigener Gruppen hat das Land 1990 erschüttert. Ecuador wurde dabei nicht nur mit der Existenz eines politischen Akteurs konfrontiert, der in der Vergangenheit von den weiß-mestizischen Institutionen unsichtbar gemacht wurde. Der Aufstand hat die ecuadorianische Gesellschaft vor allem zu einer aufrüttelnden Reflexion über die Demokratie gezwungen. Am Ende des Jahrzehnts war es unvermeidlich, eine konstituierende Versammlung einzuberufen. Ihre Aufgabe war es, Antworten auf die neuen Konflikte und Forderungen zu finden und eine Verfassung zu erarbeiten, die das erste Mal in der Geschichte Ecuadors die Plurinationalität und die Rechte der Indigenen miteinbezog. Von da an konnte Ecuador nicht mehr dasselbe Land bleiben. Die Errungenschaften der indigenen Bewegung waren im Wesentlichen Triumphe der Demokratie.
Aus dieser Perspektive ist die Offensive der Regierung Correa gegen die CONAIE ein unerhörter Fehltritt. Sie löst Empörung und Zurückweisung der ganzen Gesellschaft aus, die die Errungenschaften der indigenen Kämpfe um die Demokratisierung der nationalen Politik insgesamt hoch schätzt und anerkennt. Die Menschen verurteilen die Untreue und Inkonsequenz eines politischen Vorhabens, das sich auf die indigenen Kämpfe und deren Forderungen stützte, um an die Macht zu kommen. Daran erinnern diverse Funktionär*innen im correa’schen Kader, die den Reihen der indigenen Bewegung entstammen und die ihr heute aus rein persönlichen Zwecken den Rücken kehren.
Durch den nun beschlossenen Aufschub der Räumung des CONAIE-Sitzes hat die Regierung Correas die erste Runde in seiner Offensive gegen die indigene Bewegung verloren. Die angeführten gesetzlichen Rechtfertigungen sind unzureichend, um den Eindruck von Ungeschicklichkeit und Schwäche aufzuhalten, den die Machthaber*innen dabei hervorgerufen haben. Es ist offenkundig, dass die Regierung nicht weiß, wie sie aus dem absurden Labyrinth wieder herauskommen soll, in das sie sich begeben hat. Dennoch bedeutet das nicht, dass sie nun von ihrem Vorhaben, die indigene Bewegung zu schwächen, absehen würde. Der Bedarf ist zu dringend, jetzt wo die Ölpreise drastisch gesunken sind und die Steuerkasse leer ist. Die einzige Möglichkeit zum politischen Überleben und zur Aufrechterhaltung des Regimes besteht in der Verfügbarkeit von reichlich öffentlichen Geldern. Die chinesische Gefräßigkeit zu befriedigen, indem man natürliche Rohstoffe aufs Geratewohl verkauft, ist eine Option; aber dafür müssen die Indigenen aus ihren Gebieten gerissen werden.

Juan Cuvi
war einer der Anführer der marxistisch orientierten, linksextremen Stadtguerrilla Alfaro Vive, die zwischen 1980-1990 in Ecuador aktiv war. Heute leitet er die entwicklungspolitische Stiftung DONUM in Cuenca.

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