Nummer 373/374 - Juli/August 2005 | Regionale Integration

Das Abkommen rückt näher

Überwiegende Ablehnung von CAFTA in Guatemala – aber nur verhaltener Widerstand

Die Länder Zentralamerikas, die USA und die Dominikanische Republik werden sich, die Ratifizierung duch die USA vorausgesetzt, wohl schon Ende des Jahres in einer gemeinsamen Freihandelszone wiederfinden. Im März dieses Jahres hat auch der guatemaltekische Kongress das Abkommen ratifiziert. Dagegen läuft die soziale Bewegung bis heute Sturm. Ihrem Widerstand fehlt allerdings die Durchschlagskraft.

Markus Plate

“No al TLC“ („Nein zum Freihandelsabkommen“) scheint auf jede zweite Mauer oder Häuserwand Guatemalas gesprayt zu sein. Auch wer die Menschen des Landes befragt, spürt gewaltiges Misstrauen oder offene Ablehnung gegenüber dem Freihandelsabkommen mit den USA: Der kleine Ladenbesitzer in der Zone sechs von Guatemala Stadt, einem verarmten ehemaligen Mittelschichtsbezirk, glaubt, dass es mit seinem Viertel weiter bergab gehen wird, wenn billige US-Produkte und Supermarktketten den heimischen Erzeugnissen und Läden verstärkt Konkurrenz machen werden. Die TextilarbeiterInnen fürchten eine weitere Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen, wenn neben dem Freihandelsabkommen auch die geplanten „Programme zur Steigerung der guatemaltekischen Wettbewerbsfähigkeit“ in Kraft treten. Für den Ex-Guerillero Fito, der heute im Menschenrechtszentrum CALDH arbeitet, wird mit dem CAFTA-Vertrag das Rad der Geschichte in die Kolonialzeit zurückgedreht.
Doch so überwältigend die Skepsis gegenüber dem Freihandelsabkommen auch ist, der Widerstand dagegen ist überraschend zahnlos. Die zentrale Großdemonstration gegen CAFTA im April dieses Jahres brachte höchstens 3000 DemonstrantInnen auf die Straße, obwohl es sich um ein Wirtschaftsprojekt handelt, das nach Ansicht des Vorsitzenden des Kleinbauerndachverbandes CNOC, Daniel Pascual, „hunderttausend Familienexistenzen vernichten wird“. Ein Projekt, das aus Sicht der Gewerkschaften „die Rechte von Arbeitern und Angestellten massiv beschneiden“ wird. Auch Ileana Alamilla, Chefin der alternativen guatemaltekischen Nachrichtenagentur CERIGUA, wendet sich gegen ein Abkommen, das „entgegen der Verfassung und den Geist des Friedensabkommens von 1996 hinter verschlossenen Türen und ohne Beteiligung der Gesellschaft verhandelt wurde“. Doch trotz vieler Wortmeldungen gegen CAFTA, vom Rektor der staatlichen Universität San Carlos über den Bischof von San Marcos, Alvaro Ramazzini, bis zu Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen hat das Abkommen mit überwältigender Mehrheit den guatemaltekischen Kongress passiert – über 90 Prozent der Abgeordneten stimmten dafür.

Schlüssige Argumente

Dabei sind die Argumente der sozialen Bewegung schlüssig. Man verweist auf die Erfahrungen, die das Nachbarland Mexiko mit dem vor zehn Jahren beschlossenen NAFTA-Vertrag mit den USA und Kanada gemacht hat. Hunderttausende Kleinbauern mussten auf Grund hochsubventionierter US-Agrarimporte aufgeben. Auch Bischof Ramazzinis Kritik, der Freihandel werde die ungerechte sozioökonomische Struktur Guatemalas zementieren, scheint berechtigt: Vom freien Marktzugang für guatemaltekische Agrarprodukte würde ausschließlich die Latifundienwirtschaft profitieren. Schon heute hätten ganze Landstriche mit Mangelernährung zu kämpfen, weil große Anbauflächen für den Export reserviert seien. Würden sich die Exportmöglichkeiten weiter öffnen, würde dies direkt zu Lasten der Ernährungssicherheit gehen, prognostiziert Kirchenmann Ramazzini.
Während die Großgrundbesitzer profitieren, könnte der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, von der 70 Prozent der Bevölkerung leben, ein ähnliches Schicksal blühen wie in Mexiko. Die Bäuerinnen und Bauer fürchten, durch das CAFTA-Abkommen einer übermächtigen Konkurrenz aus den USA gegenüber zu stehen. Auch die Gewerkschaften laufen wortreich Sturm gegen den geplanten Abbau von Arbeitnehmerrechten und gegen Pläne des Unternehmerverbandes CASIF. Dieser hält Guatemala für nicht wettbewerbsfähig, weil die Lohnkosten im Schnitt doppelt so hoch lägen wie in China – und fordert vor allem für die Textilindustrie eine Absenkung der ohnehin dürftigen Gehälter. Rigoberto Morales, Vizegeneralsekretär des guatemaltekischen Gewerkschaftsdachverbandes CGTG, sieht darin einen Anschlag auf die Rechte der ArbeitnehmerInnen in einem Land, in dem schon heute der Durchschnittslohn von etwa 100 Dollar kaum zum Überleben reiche, das aber einer Minderheit einen verschwenderischen Lebensstil garantiere.

Reformen auf
Kosten der Armen

Um als Land konkurrenzfähig zu werden, will die Regierung Berger mit dem so genannten „Konzessionsgesetz“ die ineffektiven Staatsbetriebe produktiver machen. Das Gesetz erlaubt es zukünftig, staatliche Dienstleistungen in langfristiger Konzession von Privatunternehmen managen zu lassen. In Frage kommen die staatliche Infrastruktur von Häfen über Straßen bis Flughäfen, staatliche Versorgungsunternehmen, aber auch das Bildungs- und Gesundheitssystem. Man erhofft sich Effektivitätssteigerungen bei geringeren Ausgaben. Der Analyst Luis Carrillo vom Wirtschaftsforschungsinstitut asies hofft auf eine Eindämmung der ausufernden Korruption, „so dass trotz des berechtigten Gewinninteresses der Unternehmer die Kosten sinken könnten“. Das bestreiten die sozialen Organisationen wie der Gewerkschaftsverband CGTG oder das CALDH vehement und verweisen auf Erfahrungen in anderen Ländern Lateinamerikas. Die Privatisierung der Wasser- und Stromversorgung etwa hätte genau gegenteilige Auswirkungen: höhere Gebühren bei schlechter Qualität. Es ginge Präsident Oscar Berger nur darum, seiner Klientel weitere Gewinne zu ermöglichen, auf Kosten der Bevölkerung, schimpfen die Gewerkschaften.
Die Nachteile durch das CAFTA-Abkommen für die Mehrheit der Guatemalteken scheinen erdrückend, auch wenn Berger den freien Handel mit den USA als Weg aus der Armut anpreist und über 50.000 neue Arbeitsplätze verspricht. Doch warum ist der Widerstand gegen CAFTA nicht schlagkräftiger, massiver? Im guatemaltekischen Kongress findet Opposition derzeit kaum statt. Linke und linksliberale Parteien stellen derzeit nur einen Bruchteil der Abgeordneten und sind sowohl untereinander wie in sich zerstritten. Erst Mitte Mai trat Nineth Montenegro zusammen mit zwei weiteren Abgeordneten aus der Linkspartei ANN aus und kündigte die Gründung einer sozialdemokratischen Sammlungspartei an. Zu weit habe sich die ANN von ihrer Basis entfernt und zu selbstherrlich sei ihre Führung.

Ungeeignete Opposition

Die ehemalige Guerilla URNG erlitt bei den Wahlen Ende 2003 eine herbe Schlappe und ist derzeit nur noch mit zwei Abgeordneten vertreten. Die Scharmützel innerhalb der URNG während der letzten Wahlperiode und ein diffuses Wahlprogramm haben sie in die Bedeutungslosigkeit fallen lassen. Da auch die anderen linken Gruppierungen diese Lücke nicht zu füllen vermochten, steht Guatemala heute ohne ernstzunehmende politische Alternative da. Auf der anderen Seite sind zwar auch die neoliberalen und konservativen Kräfte alles andere als geeint: Oscar Berger von der Unternehmerpartei PAN gründete vor den letzten Wahlen das Wahlbündnis GANA und gewann mit ihm die Präsidentschaftswahlen. Seine Regierungskoalition fiel jedoch schon vier Monate nach den Wahlen auseinander. Und das Lager des ehemaligen Militärdiktators und Völkermörders Rios Montt die Vorgängerregierungspartei FRG ist nach wie vor der große politische Rivale der bürgerlichen Eliten. Aber im Falle des Freihandelsabkommen demonstrieren sie seltene Eintracht. Und auch die Partei des Hoffnungsträgers der fortschrittlichen und gemäßigten Kräfte, Álvaro Colom, stimmte einheitlich für das Vertragswerk.
Bliebe die „außerparlamentarische Opposition“, die Gewerkschaften, Bauernverbände, Menschenrechts- und Indígenaorganisationen. Doch so stichhaltig ihre Argumente sind, ihr Rückhalt ist begrenzt. Die Arbeiterbewegung ist bereits seit der gewerkschaftsfeindlichen Regierungszeit von Álvaro Arzú 1996-2000 geschwächt. Indígena- und Kleinbauernvertretungen haben so gut wie keine finanziellen Mittel für eine große Mobilisierung. Da die Friedensabkommen von 1996 nie in die Tat umgesetzt wurden, ist das Bildungsniveau in ländlichen Gegenden nach wie vor erschreckend niedrig. Über die Hälfte der Bevölkerung kann weder lesen noch schreiben und ist weitgehend von Kommunikationsmöglichkeiten abgeschnitten. Zudem ist gerade auf dem Land immer noch das schwere Erbe des 35-jährigen Bürgerkrieges zu spüren. Apathie und Resignation regieren und Paramilitärs setzen die Dorfgemeinden weiter unter Druck. Unabhängige JournalistInnen, AktivistInnen oder liberale Geistliche werden nach wie vor bedroht und Staat und Unternehmer haben das Informationsmonopol im Land. Über gewaltigen Zulauf freuen sich nicht linke politische Alternativen, sondern evangelistische Sekten, die ihre Anhänger sehr erfolgreich auf einen erzkonservativen und ansonsten unpolitischen Kurs einschwören. Dagegen krankt die soziale Bewegung an ihrer eigenen Zersplitterung. Weder Gewerkschaften noch Kleinbauern und Menschenrechtsorganisationen sprechen mit einer Stimme.
„Wären die Friedensverträge von 1996 umgesetzt worden, dann wäre die Bevölkerung Guatemalas heute besser gerüstet für den Freihandel mit den USA“, sagt Ileana Alamilla von CERIGUA. Dem pflichtet der Ex-Guerillero Fito zwar bei, ist sich aber auch sicher, dass genau das der Grund ist, warum sie von allen nachfolgenden Regierungen ignoriert wurden: „In Guatemala geht es immer noch darum, wie eine kleine reiche Schicht am besten das Land ausbeuten kann – seien es die traditionellen Eliten vom Unternehmerverband CASIF und seine Regierung Berger, die Ex-Generäle der FRG oder die Evangelikalen.“ Ihnen, sagt Fito, ginge es nicht um eine Entwicklung des Landes im Sinne der Friedensabkommen. Diese würden „nur ihre Macht beschneiden. Das CAFTA-Abkommen dagegen wird sie auf lange Zeit sichern.“ Aber auch mit der Ex-Guerilla und den linken Parteien geht Fito ins Gericht: „Wir haben die Militärdiktatur nicht stürzen können, weil wir als URNG nie wirklich geeint waren. Es gab immer zu viele Personen, die ihre eigenen Wege gingen und ihre eigenen Interessen durchsetzen wollten. Diese Interessen waren längst nicht immer dieselben wie die der Bevölkerung. Daran hat sich innerhalb der Linken bis heute nur wenig geändert. Und das rächt sich jetzt im Kampf gegen CAFTA“.

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