Nicaragua | Nummer 341 - November 2002

Das Ende des Arnoldo Alemán

Nicaraguanische Parlamentarier entmachten den Ex-Präsidenten

Es herrscht politisches Tauwetter in Nicaragua, denn der ehemalige Präsident Arnoldo Alemán besitzt nicht mehr den politischen Einfluss der Vergangenheit. Der neue Präsident Bolaños bekämpft erfolgreich die Korruption der alten Machtclique um Arnoldo Alemán, was ihm bei der Bevölkerung hohe Beliebtheitswerte beschert. Aber ob die Abwahl Alemáns als Parlamentspräsident die nicaraguanische Demokratie festigt, bleibt abzuwarten.

Ralf Leonhard

Die plötzliche Abreise von María Dolores Alemán am 18. Juli wurde in Managua als Zeichen des bevorstehenden Zusammenbruchs ihres Vaters Arnoldo gedeutet. Über Costa Rica reiste sie in die Dominikanische Republik, wo Daddy sich einen Palast als Alterssitz gebaut hat. Wenige Tage später folgte ihr die Ehefrau María Fernanda mit den beiden Stiefsöhnen. Ob Arnoldo Alemán, dem vorgeworfen wird, während seiner Präsidentschaft ein Vermögen zusammengestohlen zu haben, bald nachkommt oder doch einen Prozess in Nicaragua riskiert, ist Gegenstand von Wetten und Spekulationen. Entscheiden muss er sich bald.
Am 19. September wurde er als Parlamentspräsident abgesetzt. Seine Auslieferung an die Justiz ist nur mehr eine Frage der Zeit. Hipólito Mejía, der Präsident der Dominikanischen Republik, hat jedenfalls bereits wissen lassen, er würde seinem alten Freund gerne Asyl gewähren.
Es war nie ein Geheimnis, dass die wundersame Reichtumsmehrung des cholerischen Kaffeepflanzers nicht nur legale Wurzeln hat. Arnoldo Alemán soll vor seiner Wahl zum Bürgermeister von Managua im Jahre 1990 nichts weiter besessen haben als eine sieben Hektar große Kaffeeplantage und einen auf Pump gekauften Pritschenwagen. Vor seiner Angelobung als Präsident im Januar 1997 deklarierte er eine Million US-Dollar Privatvermögen. Fünf Jahre später wurde es auf 240 bis 250 Millionen US-Dollar geschätzt. Nur die konservative Unternehmerfamilie Pellas ist noch reicher. Allerdings wuchs bei ihr das Vermögen über mehrere Generationen.

Alemán glaubte sich abgesichert zu haben

Alemán wusste, dass man früher oder später auf die Idee kommen würde, seine Geschäfte zu untersuchen. Aber er hatte ja vorgesorgt. Dank eines politischen Paktes mit seinem Erzrivalen Daniel Ortega erfreut er sich eines lebenslangen Abgeordnetenmandats und daher immer währender Immunität. Auch in Nicaragua kann die Nationalversammlung allerdings die Immunität ihrer Abgeordneten aufheben, wenn diese dringend verdächtig sind, Straftaten begangen zu haben, die nichts mit ihrer Amtsführung zu tun haben. Auch dagegen meinte sich Alemán versichert zu haben. Die Mandatsträger der Liberalen Allianz sind fast ausnahmslos enge Vertraute oder Verwandte, die mehrheitlich selbst im Korruptionssumpf stecken und daher persönliches Interesse haben, einen Prozess zu verhindern.

Blau-weiß-blaue Dissidenten

Die liberalen Abgeordneten wählten ihren Chef auftragsgemäß zum Parlamentspräsidenten und blockierten jede Initiative zu dessen Auslieferung an die Justiz. Eine kleine Gruppe von fünf Dissidenten, die sich bald als blau-weiß-blaue (nach den Nationalfarben) Fraktion formierte und zur Politik von Präsident Enrique Bolaños bekannte, reichte nicht aus, um gemeinsam mit den oppositionellen Sandinisten eine neue Mehrheit zu schaffen. Bolaños, der Alemán jahrelang als Vizepräsident zur Seite gestanden hatte und als Vorsitzender einer Antikorruptionskommission wenig Initiative gezeigt hatte, wurde als Präsident plötzlich zum Saubermann. Schon in seiner Antrittsrede sagte er der Korruption den Kampf an und tatsächlich unternahm er in der Folge nichts, um die Ermittlungen der Justiz zu behindern. Applaus erntete er dafür von den Organisationen der Zivilgesellschaft und der internationalen Gemeinschaft, die sich erleichtert zeigte, dass Wirtschaftshilfe nun ohne Zehnten an die Privatschatulle des Staatschefs geleistet werden konnte. Selbst die USA entzogen Alemán ihre schützende Hand. Zuletzt hielten nur noch die Katholische Kirchenhierarchie unter Kardinal Obando y Bravo, die an den abgezweigten Staatsgeldern mitnaschen durfte, und die Parlamentsfraktion zu Alemán. Und die erodiert zusehends unter dem öffentlichen Druck.

Shoppen mit der Kreditkarte der Zentralbank

Im August ging Bolaños in die Offensive und machte öffentlich, wie sein Vorgänger gewirtschaftet hatte. Gemeinsam mit 13 Angehörigen, von den Brüdern über die Tochter bis zu den Schwägern und Neffen, soll Alemán mindestens 97 Millionen US-Dollar aus öffentlichen Geldern veruntreut und über ausländische Banken reingewaschen haben. Dazu kamen noch Enthüllungen über die Repräsentationsspesen: sein Verlobungsfest in Miami, das stolze 46.000 US-Dollar kostete, die Shopping Liste der First Lady in Ägypten samt Parfums und Teppichen – immerhin 22.530 US-Dollar, eine Rechnung vom Hotel Taj Mahal in Indien – 30.878 US-Dollar und Kleinigkeiten wie 12.549 US-Dollar für Juwelen oder 6749 US-Dollar für eine Schneiderin wurden mit der Kreditkarte der Zentralbank beglichen.
Kurz nachdem die Presse derartige Details genüsslich ausgebreitet hatte, wuchs die blau-weiß-blaue Fraktion schließlich auf neun Abgeordnete an. Darunter Jaime Morales Carazo, der Patenonkel und langjährige Vertraute von Arnoldo Alemán. Dieser sah sich gezwungen, einer Forderung der Opposition nachzugeben und eine Untersuchungskommission einzusetzen. Allerdings sorgte er gleichzeitig für deren Scheitern indem er sieben Vertrauensleute in das elfköpfige Gremium entsandte. Das war selbst einigen Freunden unter den Abgeordneten zu viel und erstmals gab es im Parlament eine knappe Mehrheit gegen den umstrittenen Caudillo. Da der Parlamentspräsident die Aufhebung seiner Immunität auch gegen eine Mehrheit mit taktischen Manövern verhindern könnte, führte der einzig erfolgversprechende Weg über den Austausch des Vorsitzes. Dem versuchten sich die Alemánisten mit immer groteskeren Mitteln zu widersetzen. Sie boykottierten nicht nur die Plenarsitzung am 19. September sondern verriegelten auch das Parlamentsgebäude. Die zur entscheidenden Abstimmung erschienenen Abgeordneten mussten einen Schlosser kommen lassen. Das Parlament fanden sie dann ohne Wasser und Strom vor. Die Klos waren verriegelt. Ohne Klimaanlage und mit einem einzigen Saalmikrophon wählten sie Alemán und seine Getreuen wegen Gesetzesbruchs und verfassungswidriger Akte ab und besetzten den Vorsitz durch sandinistische und regierungsloyale Mitglieder. Auch der einzige konservative Abgeordnete bekam einen Sekretärsposten.
Anschließend wurde eine neue Untersuchungskommission eingesetzt. Alemán selbst blieb der Sitzung fern. Einigen Abgeordneten soll er Reisen in die Schweiz oder ganze Liegenschaften in Nicaragua versprochen haben, um sie umzustimmen. Für ihn handelte es sich um einen „nichtigen und terroristischen Akt“, gegen den er den Obersten Gerichtshof anrufen wolle.
Vor dem Parlament hatte sich inzwischen im strömenden Regen eine Menschenmasse angesammelt, die die Debatte live im Radio verfolgte und schließlich in Jubel ausbrach. Der 19. September glich einem 19. Juli der sandinistischen Zeit, als der Jahrestag des siegreichen Volksaufstandes gegen Diktator Somoza begangen wurde. Angeführt wurde die Menge von Sandinistenchef Daniel Ortega, der durch seinen Pakt mit Alemán, dessen lebenslange Immunität als Abgeordneter erst ermöglicht hatte. Die Abstimmung in der Nationalversammlung wird als großer Sieg im Kampf gegen Korruption und Straflosigkeit betrachtet. Nichtregierungsorganisationen hatten mehr als 900.000 Unterschriften gesammelt und am Tag vor der Abstimmung besetzten Demonstranten die Kathedrale von Managua, um die Auslieferung Alemáns zu erzwingen.

Alte Seilschaften

Ob die Demokratie durch den Sturz Alemáns nachhaltig gestärkt wird, bleibt abzuwarten. Denn wenn es um politische Posten geht, werden Alemán und sein sandinistisches Pendant Daniel Ortega immer noch handelseins. Anfang Oktober einigten sie sich gemeinsam mit Kardinal Obando y Bravo auf den umstritttenen Roberto Rivas als Vorsitzenden des Zentralen Wahlrats. Rivas, von den Medien höflich als „Schützling des Kardinals“ tituliert, laut vox populi aber ein leiblicher Sohn des Kirchenfürsten, war maßgeblich am Fluss von Schwarzgeldern an die Bischöfe beteiligt. Aus dem Kriminaldelikt machten die drei starken Männer einvernehmlich ein Verwaltungsvergehen womit der Ernennung nichts im Wege steht. Die Sandinisten wurden mit anderen Schlüsselposten und einer Reorganisation des Wahlrats belohnt.
Für Präsident Enrique Bolaños ist die bevorstehende Auslieferung seines Vorgängers ein wichtiger Etappensieg. Denn seine hohen Popularitätswerte trotz wirtschaftlicher Misere hat er fast ausschließlich der Korruptionsbekämpfung zu verdanken. Bolaños hofft, dass diese Politik auch Investoren anlocken kann. Denn er erbte ein Land am Rande des Bankrotts. Die Hälfte der Bevölkerung lebt in einem Korridor der Trockenheit, wie das Welternährungsprogramm jene Zonen definiert, „die immer wieder Naturkatstastrophen ausgesetzt sind und in denen große Teile der Bevölkerung regelmäßig Hunger leiden.“ Gegenwärtig sind etwa 6000 Kleinkinder am Verhungern. Allein 15 Kinder verhungerten während der jüngsten Blockaden arbeitsloser Kaffeearbeiter. Davon unbeeindruckt bleibt der Internationale Währungsfonds, der im jüngsten Sanierungspaket verfügte, dass Nicaragua fast zwei Drittel seiner Einnahmen – internationale Wirtschaftshilfe eingeschlossen – zur Schuldentilgung aufwenden muss. Für den Wirtschaftswissenschaftler Adolfo Acevedo sind das unhaltbare Zustände, die eine wirkliche Entwicklung des Landes nicht zulassen.

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