Entwicklungspolitik | Nummer 245 - November 1994

Das Handelsbein ist davongeeilt

Der Dritte-Welt-Handel tritt aus der Nische

Während überall sonst nur von der Krise die Rede ist, befindet sich der Dritte-Welt-Handel, so scheint es, stetig im Aufwind -zumindest in allen Belangen, die sich quantifizieren lassen. Nicht nur, daß die Zahl der Läden und Gruppen so-wie der Umsatzerlöse ständig steigt -sogenannte fair gehandelte Produkte, allen voran der Kaffee, treten auch einen kaum für möglich gehaltenen Siegeszug durch Kantinen, Mensen, Supermärkte und Parlamente an. Sogar Marktführer Jacobs sah sich gezwungen, einen eigenen Kleinbauernkaffee in Großverbraucherbereich auf den Markt zu bringen -~Kaffee fair in aller Munde… Die Idee, entwicklungspolitische Bewußtseinsbildung und Projektförderung durch “fairen Handel zu finanzieren, ist über zwanzig Jahre alt. Von diesem Ursprungskonzept hat sich der heutige alternative Handel” jedoch weit entfernt. Der folgende kritische Abgesang ist, leicht gekürzt, dem neuen ‘Aktionshandbuch Dritte Welt” entnommen.

Thorsten Lampe

Mit einer Anzahl von über 600 Dritte-, Eine-, Zweidrittel-oder einfach nur Welt- Läden sowie ungezählten Aktions- und Basargruppen dürfte die Aktion 3.Welt Handel (A3WH) nach wie vor die mit Ab- stand größte und am ehesten flächendekkend vertretene Einzelgruppierung im Gesamtspektrum der »Dritte-Welt-Bewegung” sein.
Bemerkenswert ist auch, daß die Aktionsform Dritte Welt Handel in kürzester Zeit ~Marktführer in der Ex-DDR geworden ist, während viele andere Bereiche der dortigen Dritte-Welt-und Solidaritätsarbeit Erosionstendenzen zeigen oder sich auf niedrigerem Niveau konsolidieren. Der Grund für die scheinbare KrisenresiStenz des Dritte-Welt-Handels ist darin zu sehen, daß er seine Krise bereits mit dem Ausklang der 80er Jahre hinter sich gebracht hatte und die Weichen für die zu- künftige Entwicklung bereits gestellt waren, als die Mauer fiel und die politische Dritte-Welt-, Soli-und Internationalismusbewegung in die Identitätskrise geriet. Hier zeigt sich, daß der Motor der Entwicklung des 3.Welt-Handels eben zu-erst wirtschaftlicher Natur ist und eher in- direkt mit der politischen Konjunktur zusammenhängt.
Das ursprüngliche Konzept
Dabei hatte es ganz anders angefangen. Die A3WH ist nämlich ein -vermutlich ungeplantes, wenn auch heute nicht mehr ungeliebtes -Kind der westdeutschen 68er-Protestbewegung. Die offizielle A3WH-Geschichtsschreibung datiert die »Geburtsstunde« (eigentlich genauer: den Zeugungszeitpunkt) der A3WH auf die Zeit der Hungernmärsche 1970. Allerdings war es weniger die Weltrevolution, die die Eltern der A3WH im Sinn hatten, als sie Forderungen wie 1 % des Bruttosozialprodukts für entwicklungspolitische Maß-nahmen, bessere wirtschaftliche Chancen für »Entwicklungsländer«, keine Subventionierung europäischer Produkte, wenn der Bezug aus »Entwicklungsländern billiger möglich ist erhoben. Nach intensiven Diskussionen mit Minister Eppler kam ihnen vielmehr die Idee, Projektförderung mit entwicklungspolitischer Bewußtseinsbildung zu kombinieren, und sie formulierten einen Zielkatalog in dieser Reihenfolge:
11. Die Aktion will über Probleme der Dritten Welt informieren und zugunsten der Dritten ,Welt motivieren durch das Mittel des Verkaufs von Waren aus der Dritten Welt (Hervorhebung von mir, T.L.).
22. Die Aktion will marginalen Gruppen einen Absatz auf dem europäischen Markt erschließen und dadurch den Zusammenschluß von Genossenschaften fördern
33. Mit den entstehenden Gewinnen sollen Entwicklungsprojekte gefördert werden.

Das Verhältnis zwischen der A3WH und der 68er-Bewegung läßt sich folgender- maßen umreißen: Die revolutionäre politische Perspektive der 68erInnen hatte sich als illusionär erwiesen, doch die theoretischen Analysen der »Entwicklung der Unterentwicklung“ hatten eine starke Ausstrahlung bis weit ins linksliberale Lager hinein. Dem neuen Aktionsvorschlag gelang es, den Diskurs von Ausbeutung, Unterdrückung und ungerechten Weltwirtschaftsbeziehungen auf-zunehmen und gleichzeitig eine politische Praxis anzubieten, die nicht die sofortige Abschaffung des ,Systems verlangte, sondern nachhaltige Änderungen durch kleine Schritte versprach. Die A3WH bekam einen Modellcharakter: nach ihrem Vorbild sei nach und nach das gesamte System zu reformieren, dann werde eine gerechtere Verteilung in der Welt auch ohne Aufhebung des kapitalistischen Systems möglich sein.
Diese Perspektive entspricht genau dem Geist der damaligen Zeit. Auf weltpolitischer Ebene findet diese Entwicklung ihr Pendant in einer Verschiebung der entwicklungspolitischen Diskussion zugunsten der Entwicklungsländer, institutionalisiert in den UNCTAD-Konferenzen.
UNCTAD im Großen und A3WH im Kleinen stellen die reformerische Antwort auf die veränderte politische Situation der beginnenden 70er Jahre und die verschobene entwicklungspolitische Diskussion dieser Zeit dar. Somit verfolgt die Gründung.der A3WH durchaus politische Zwecke, eingebettet in eine pädagogische Aktion: Der Handel ist lediglich Mittel zum Zweck; er transportiert die Informationen aber die nötigen und möglichen Veränderungen der Wirtschaftsbeziehungen, die dann -zusammen mit weitergehenden Bildungsangeboten -für eine Bewußtseins- und Verhaltensänderung der KäuferInnen sorgen und so die notwendigen Strukturveränderungen in den Metropolen ermöglichen. In diesem ursprünglichen pädagogisch-politischen Konzept ist also der Vorrang der Bewußtseinsbildung vor dem Handel fest-geschrieben, indem der Handel das Mittel, der Bewußtseinsprozeß das Ziel der Aktion ist.
Allerdings sind von Anfang an die politischen Zielvorstellungen, welche Strukturveränderungen in den Metropolen auf -welche Weise erreicht werden sollen, immer sehr vage und bruchstückhaft formuliert worden. Das hat sicherlich auch da- mit zu tun, daß für die 1975 notwendig gewordene Gründung einer eigenen Importfirma, der heutigen GEPA, die beiden Amtskirchen als Kapitalgeber gewonnen werden mußten. Demgegenüber wurden die Ansprüche an die Projektpartner sehr detailliert formuliert. Unter anderem
-sollen Projekte unterstützt werden, wo sich Produzentinnen aus unterdrückten / unterprivilegierten Verhältnissen zu selbstbestimmten Gemeinschaften (Genossenschaften, Kooperativen) zusammen geschlossen haben
-sollen diese Gruppen aus ihren Überschüssen. für die die GEPA einen deutlich über Weltmarktniveau liegenden Reis bezahlt (Mehrpreiskomponente), Bildungseinrichtungen, soziale und politische Aktivitäten finanzieren
-sollen die Produkte an den Bedürfnissen des Herstellungslandes orientiert sein und der Export keine neuen Abhängigkeiten fordern.

Die Entwicklung der Abhängigkeit

Es war nur eine Frage der Zeit, wann die in der Grundkonzeption angelegten Widersprüche virulent werden und zu massiven, Konflikten führen würden. Offensichtlich ist beispielsweise, da0 die an die ProjektpartnerInnen angelegten Kriterien für die Arbeit der GEPA selbst nicht an-gewendet werden können: in der GmbH stehen den beiden großen Kirchen, die über 96% des Kapitals halten, die *Mini-Gesellschafter“ kirchliche Jugendverbände und VertreterInnen der Weltläden und Aktionsgruppen gegenüber. Da die Kirchen nicht bereit waren, verbindlich auf das Ausspielen ihrer Kapitalmehrheit zu verzichten, konnte von einer gleichberechtigten Teilnahme aller Gesellschafter am Entscheidungsprozeß nie die Rede sein Wenn man nun noch bedenkt, daß viele Läden sowieso kritisch gegenüber der Kirche eingestellt sind, birgt eine solche strukturell festgeschriebene Dominanz noch besonderen Zündstoff. Unterschätzt wurde lange Zeit aber auch, was es bedeutet, den Handel politischen Zielsetzungen unterwerfen zu wollen. Zwar wurde das Ursprungskonzept bald revidiert, und es entstand die “2-Stand-beine-Theorie”, nach der neben der Bildungsarbeit jetzt die Projektförderung als gleichberechtigt bezeichnet wurde, die materielle Komponente also als eigen- ständig akzeptiert wurde. Doch der grundsätzliche Defekt des Konzepts konnte so, nicht beseitigt werden. Es hätte frühzeitig auffallen können, daß mensch auf zwei Standbeinen zwar prächtig stehen mag, jedoch nicht so recht vorankommt. Da aber der Handel im Kapitalismus dem Gesetz des ~Wachsens oder Weichens« zu gehorchen hat, setzte sich das Handelsbein in Bewegung -und eilte davon …
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Schon wenige Jahre nach der Gründung
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der GEPA klagten VertreterInnen der LI-den, die Politik der GEPA sei einseitig auf Umsatzwachstum ausgerichtet. Doch sollte sich bald herausstellen, daß die Situation in Zeiten, wenn der Umsatz stagniert, eher noch schlimmer wird: Während vorher sich lediglich das relative Gewicht zuungunsten der Bildung verschoben hat, potentiell aber durch steigende Erträge absolut gesehen auch mehr Aktivitäten in dieser Richtung finanziert werden könnten, erweist sich in Zeiten der Stagnation -wie in der ersten Hälfte der 80er Jahre -der politische Anspruch an Produkte und Handelspartnerinnen als zusätzliches Hemmnis für den Handel. So wurde erst in dieser Phase begonnen, die GEPA nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen Dies erfolgte systematisch in drei aufeinanderfolgenden Schritten.

Als erstes wurde die ~Produkilinienpolitik eingeführt, die die ursprüngliche entwicklungspolitische Logik umkehrt: Es wird nicht mehr nach einer Projektpartnerin gesucht, die den Kriterien entspricht, und dann versucht, .ihr Produkt zu vermarkten, sondern zuerst wird die Produktpalette den Markterfordernissen entsprechend optimiert und dann eine ProduzentIn gesucht, die mit ein bißchen gutem Willen als förderungswürdig im Sinne der Kriterien angesehen werden kann. Diese Vorgehensweise ist zwar aus entwicklungspolitischer Sicht fragwürdig, verstieße aber noch nicht direkt gegen die festgelegten Prinzipien (die ja keine Prioritätsfolge förderungswürdiger Projekte vorsehen); wenn nicht fast zwangsläufig eine Tendenz zum Tragen käme, die Kriterien in der Praxis immer mehr aufzuweichen. Den endgültigen >~Durchbruch« markierte hier die Entscheidung der GEPA, Bio-Tee von einer Privatplantage aus Sri Lanka zu beziehen.
Eine solche Reduktion der ursprünglichen
entwicklungspolitischen Zielsetzungen auf
die Schaffung/Erhaltung von (Export)-Arbeitsplätzen, ungeachtet der Entscheidungsstrukturen und Besitzverhältnisse, muß als mitentscheidender Faktor gesehen werden, warum es die A3WH heute so schwer hat, ihr Profil gegenüber einer Aktion wie der TEEKAMPAGNE zu behaupten.
Doch war die Produktlinienpolitik nur der erste und bei weitem nicht der gravierendste Schritt. Als nächstes kam die »Verkleinerung des A“ : Aus der »Aktion Dritte Welt Handel“ (A3WH) machte die GEPA nun den »alternativen Dritte Welt Handel“ (a3WH). Und das war keine Semantische Spielerei, sondern pro-grammatisch gemeint: Der Handel wird nun nur noch auf sich selbst bezogen, seinem vorherigen Kontext entzogen. Damit einher geht die Umdeutung der Handlungsperspektive: Sollte in dem ursprünglichen entwicklungspädagogischen Konzept die Bewußtseinsbildung zu politischen Handlungen führen, die irgendwann in Strukturveränderungen münden, so wird beim a3WH ein Bewußtsein gebildet, das zu der dem Handel immanenten Handlungsperspektive führt. Die Bewußtseinsbildung des a3WH artikuliert sich nicht politisch, sondern individuellkonsumtiv im verstärkten Kauf seiner Produkte. Informations- und Bildungsarbeit über bessere Handelsbedingungen für die ProjektpartnerInnen wird zu einer Variante des Marketing mit sozialer Produktethik. Damit ist natürlich der Widerspruch zwischen Handel und Information/Bildung aufgehoben: Mehr Handel heißt mehr Bildung und mehr Bildung mehr Handel. Beides dient der Vergeldlichung der ethischen Zusatzwerte des Produkts, der Abschöpfung des »ethischen Mehrwerts«. Politisch wird dabei der Illusion Vorschub geleistet, individuelle Konsumveränderungen’ hier und Projektunterstützung dort könnten Strukturveränderungen bewirken -als bestimmten die Konsumentscheidungen die Gesetze der Weltwirtschaft und nicht die Profitmaximierungs und Vermögenskalküle der Kapitaleigentümer! Ein seiner Eigendynamik überlassener a3WH verletzt also die Grunderkenntnis entwicklungspolitischer Arbeit: Gerechtigkeit bleibt unter den bestehenden Bedingungen lediglich als konkrete Utopie andeutbar, ihre Verwirklichung setzt aber grundlegende Veränderungen der Herrschafts- und Eigentumsverhältnisse in den Metropolen voraus.
Sonderfall Nicaragua?
Spätestens an dieser Stelle ist zu fragen, wie sich angesichts der so klaren Sachlage denn über Jahre hinaus ein radikaler, solche Änderungen wünschender Flügel in die A3WH, genauer gesagt in die Vereini- gung der Weltiäden (AG3WL) verirren~ und lange Zeit Gremienpolitik in der GEPA machen konnte?
Die Antwort ist einfach: Solche Klarheit über den Widerspruch von Handel und systemverändernder politischer Arbeit gibt es immer nur in der Retrospektive. Die 80er Jahre waren hingegen von einer anderen Erscheinung dominiert: der nicaraguanischen Revolution. Denn im Verkauf des braunen Pulvers in der rot-schwarzen Tüte schien der Widerspruch von Handel und Bildung aufgehoben, jede Bohne transportierte quasi automatisch die Revolution. Tendenzen bei kirchlichen GEPA-Gesellschaftern, den Nica-Kaffee zu kippen oder zumindest die begleitende kritisch-solidarische Infoarbeit um das zweite Attribut zu bereinigen, verstärkten
diese Einschätzung natürlich.
Welche Sonderrolle viele Aktivistinnen Produkten aus dem revolutionären Nicaragua zuzugestehen bereit waren, zeigt sich noch deutlicher an der Nicaragua-Bananen-Aktion, die nicht von der GEPA, sondern von mehreren Weltläden durchgeführt wurde (und noch wird). Aufgrund der Besonderheiten des Bananengeschäfts mußte anfangs eine Abhängigkeit *von kommerziellen Zwischenhändlern eingegangen werden, bald darauf wurde es unumgänglich, nach kommerziellen Abnehmern zu suchen -lange bevor dies z.B. bei der GEPA im Kaffeebereich mehrheitsfähig war. Deutlich wurde auch, wie wirtschaftliche Sachzwänge die politischen Entscheidungen dominieren können: Lieferengpässe nicaraguanischer Bananen wurden mit kolumbianischen ausgeglichen, obwohl kolumbianische Gewerkschaften zum Streik wegen der Arbeitsbedingungen aufgerufen hatten -da sich Nicaraguas Bananenexportfirma aber als Zwischenhändler betätigte, war dies Legitimation genug, dem es floß ja Geld ins gelobte Land …
Die Wahlniederlage der SandinistInnen bedeutete ‘für viele Aktivistinnen eine Desillusionierung, machte dann aber auch den Weg frei für eine endgültige Entscheidung über die Zukunft des alternativen Dritte Welt Handels.
Die Expansion der Abhängigkeit
Bereits zuvor hatte die GEPA immer offener mit der Propagierung des dritten Schrittes begonnen: der Befreiung von -den Fesseln der beschränkten Absatzkanäle. In Vorbereitung waren ein Katalogversand an EndverbraucherInnen sowie die Belieferung kommerzieller Abnehmer wie Großverbraucher, aber auch Supermärkte. Viele Weltläden lehnten beides anfangs ab -zum einen aus bildungspolitischen Bedenken, denn es ist klar, da6 der Supermarkt nicht der Ort systemkritischer politischer -Aufklärungsarbeit sein kann, zum andern aber auch aus Eigeninteresse, nämlich der Befürchtung, KundInnen an den kommerziellen Bereich zu verlieren. Der Widerstand der AG3WL gegen diese Pilotprojekte wurde aber von den großen Gesellschaftern nicht nur kraft Kapitalmehrheit, sondern auch mit der Drohung, sie andernfalls rauszuschmeißen, letztlich gebrochen. Damit einher -ging eine Einschränkung der Mitbestimmungsmöglichkeiten der kleinen Gesellschafter.
Nach dem Fall der Mauer im Herbst ’89 und der Niederlage der’ SandinistInnen Anfang ’90 gewann aber die .Kleinbauemu-Argumentation immer mehr an Boden:Es gebe große Mengen Kaffee von entwicklungspolitisch unterstützenswerten KleinbäuerInnen, die jetzt zu miserablen Bedingungen an ausbeuterische Zwischenhändler verkaufen müßten, weil der alternative Handel nicht genug vermarkten könne. Eine Initiative gründete sich, darunter die Kirche und die Friedrich-Ebert-Stiftung, die ein Gütesiegel für »fair gehandelten Kleinbauern-Kaffee nach dem niederländischen Vorbild »Max Havelaar entwickelten. Im wesentlichen sieht dieses GütesiegeI einen garantierten Mindestabnahmepreis, sowie eine Registrierung unterstützenswerter »mein bauern vor. Wer diese Bedingungen -einhalte und eine Lizenzgebühr entrichte, dürfe das TRANSFAIR-Gütesiegel in Anspruch nehmen.
Nach einigen Pilotprojekten der GEPA mit Supermärkten startete Anfang ,1993 TRANSFAIR im großen Stil; nach einem dreiviertel Jahr war angeblich das vier- millionste Pfund verkauft, der Verbreitungsgrad wurde mit 20.000 Supemärkten angegeben (FR vom 13.10.93). Noch kein berauschender Schnitt (100 Kilo Kaffee verkauft jeder mittelgroße Weltladen leicht in dieser Zeit), aber die Erhöhung des Marktanteils von 0.3% »alternativen auf knapp 1% »fairen« Kaffee zeigt, daß es ein gewisses Klientel für solchen Kaffee gibt, das bislang von den Weltläden noch nicht erreicht wurde. Andererseits-erfreuen sich die Weltläden ebenfalls steigender Umsätze, vermutlich profitieren sie von der überregionalen TRANSFAIR-Werbung.
Um die Weltläden auf TRANSFAIR-Kurs zu bringen -man wollte negative Presse und Hickhack vermeiden -,gab es auch noch ein »Bonbon«: TRANSFAIR stellt einen Teil seiner Lizenzeinnahmen, etwa 300.000 DM, für eine „Profilierungskampagne“ unter dem Motto: ~Weltläden
-ein Stück Welt von morgen«, durchgeführt von einer cleveren Werbeagentur im
Auftrag der AG3WL, zur Verfügung. Das also ist der vierte Schritt: Das betriebswirtschaftliche/marketing-orientierte StYling der Weltläden.. .

Keine Alternative zur Abhängigkeit? I

Noch 1989 hatte die AG3WL Kriterien für einen „politischen Handel“ entwickelt. Explizit wurde nochmals festgeschrieben, daß die Projekte basisdemokratisch organisiert sein und Unabhängigkeit, vor allem auch vom Export, zum Ziel haben sollen Außerdem sollten Befreiungsbewegungen unterstützt werden, und die alternativen Handelskriterien sollten auch für die Vermarktung hierzulande gelten. Da an eine Verwirklichung dieser Vision sich ausbreitender basisdemokratischer, de-zentraler und alternativer Import-und Vermarktungsstrukturen mit der GEPA nicht zu denken war, entwickelte die AG3WL ein eigenständiges Modell: die DISTEL (Dezentrale Importstrukturen eigenimportierender Läden). Grundlage dieses zarten Pflänzchens sollten die bereits bestehenden Direktimporte vieler Läden aus »eigenen« Projekten sein. Die kleinen« Importorganisationen EL PUENTE, Dritte Welt Partner Ravensburg und Afrassca wurden als »natürliche« Bündnispartner angesehen. Diese verstanden sich als „Dienstleister“ für die Weltläden und verpflichteten sich, nicht auf den kommerziellen Markt zu schielen.
Doch die Namensgebung des hoffnungsvollen Modells hatte prophetische Qualitäten, denn das zarte Pflänzchen erwies sich als so stachelig, da6 viele schnell wieder die Finger davon ließen oder gar eine Berührung scheuten. Das Dilemma hat einen politischen und einen wirtschaftlichen Aspekt. So einmütig die neuen Kriterien noch verabschiedet worden waren, so schnell gab es Streit mit einzelnen, wenn es um die Beurteilung »ihres« Projekts ging. Insgesamt ergab eine Auswertung des Modells nach 3 Jahren Laufzeit, daß kein sonderliches Interesse an den ‘politischen Funktionen des
Modells bestand. Wirtschaftlich begrub der Streit um Marktanteile und Vetriebsgebiete endgültig die letzten Hoffnungen, der zeitgemäßen Ellenbogen~Konkurrenz noch etwas entgegensetzen zu können.
Diese Desillusionierungen erklären wohl
auch, warum die AG3WL im selben Jahr
ihre eigenen Kriterien Makulatur werden ließ und der Neuformulierung des GEPA-Kriterienkatalogs zustimmte, der so ziemlich die gegenteilige Orientierung beinhaltet und damit die Grundlage bieten soll, in Zukunft den kommerziellen Markt mit weiteren Produkten beliefern zu können. Auf die alte Präambe1, in der von Unterdrückung, Ausbeutung und Befreiung die Rede war, wird jetzt verzichtet, die Nebenrangigkeit der Infoarbeit dafür festgeschrieben. Im Gegensatz zu früher scheint es jetzt kein *Dilemma zwischen Handelsintensivierung und externer Abhängigkeit~ mehr zu geben in der Ausrichtung auf die Exportorientierung wird die Wende in der entwicklungspolitischen Diskussion~ nachvollzogen: Waren die früheren Kriterien vom Geist der autozentrierten Entwicklung beseelt und sollten libergangsweise Exporteinkünfte als Initialzündung einer eigenständigen Binnenmarktentwicklung mit immer stärkerer Dissoziation vom Weltmarkt dienen, so wird heute keine Alternative mehr zu einer aktiven Weltmarktintegration« gesehen. Folgerichtig begegnen uns die Menschen in der »Dritten Welt« auch nicht mehr in strukturellen Zusammenhängen als Beteiligte. an Projekten (die vielleicht zum Projekt „Befreiung“ zusammengefaßt werden konnten), sondern vor allem in ihrer Funktion als »Produzentinnene.
TRANSFAIR geht da noch einen Schritt weiter und schafft die Menschen gleich ganz ab: Es gibt nur noch Kriterien für einzelne Produkte, die ProduzentInnen er-scheinen nur noch als Liste, in einem Register, und spätestens die Einführung von TRANSFAIRem Tee dürfte auch den Tod des »Kleinbauern« bedeuten.
Schlußbemerkung
Um Mißverständnisse zu vermeiden, soll
noch einmal betont werden, daß bestimmte Entwicklungen und Desillusionierungen m.E. notwendig waren. Die Vorstellung von einer ökonomischen Nische, in der man sich den allgemeinen Tendenzen entziehen kann, war nicht länger aufrechtzuerhalten. Das gt sowohl für die Situation der Produzentlnnen-länder, wo die Entwicklung eines Binnenmarktes von den weltwirtschaftlichen Bedingungen verhindert wird,als auch für den »Alternativmarkt“ hier. Der wirtschaftliche Aufschwung der A3WH-Bewegung -und vor allem der Sonderfall Nicaragua -hat lange Zeit den Blick dafür verstellt, daß nicht die Nische größer wurde, sondern mit dem Herauswachsen aus der Nische andere Rahmenbedingungen relevant wurden und Anpassungen verlang(t)en. Der Kampf um gesellschaftliche Veränderung ist aber der politische Kampf um die Vergrößerung der »Nische«, um die Spielräume für alternative Entwicklungen und Modelle, und es wäre zuviel verlangt, dies vom Dritte-Welt-Handel ‘allein zu erwarten.

aus: Aktionshandbuch Dritte Welt, Hg. BUK0 u.a., Schmetterling Verlag, Stuttgart 1994, ISBN 3-926369-95-7

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