Amazonien | Nummer 419 - Mai 2009

„Das ist denen zu politisch“

Der Anthropologe Mac Chapin über die schwierige Beziehung zwischen großen Naturschutzorganisationen und indigenen Gruppen

Naturschutzorganisationen und indigene Interessen überschneiden sich, wenn es um den Schutz des Tropenwaldes geht – scheinbar. Tatsächlich sind den großen Nichtregierungsorganisationen die Interessen der lokalen Bevölkerung oft herzlich egal.

Christian Russau

Ende 2004 haben Sie in einem Artikel im World Watch Magazin die großen Naturschutzorganisationen – The Nature Conservancy TNC, Conservation International CI und World Wildlife Fund WWF – scharf kritisiert. Was bewog Sie zu dieser Kritik?
Ich arbeite schon seit vielen Jahren mit Indigenen zusammen. Wir hatten immer versucht, diese Naturschutzorganisationen dazu zu bewegen, das auch zu tun. Wir sahen das immer als gute Möglichkeit an, da sowohl Indigene wie auch die Naturschutzorganisationen am Schutz der Umwelt interessiert waren. Also warum sollten sie sich nicht zusammentun? Ich denke, dieser Ansatz der Zusammenarbeit wurde sehr gut zusammengefasst in der Erklärung, die der Dachverband der Indigenen Organisationen des Amazonasbeckens, COICA, im Jahr 1989 lancierte. Sie stellte im Grunde, grob zusammengefasst, fest: „Ihr Naturschutzorganisationen versucht seit Jahren den Tropenwald zu retten, und es klappt nicht. All Eure Ansätze sind gescheitert. Wir aber leben dort. Wir kennen diese Ökosysteme und wir wollen sie erhalten. Deshalb meinen wir, dass wir Euch helfen können.“ Diese Idee klang sehr gut, und ich meine, dass viele Naturschutzorganisationen – vor allem die großen Organisationen – damals dachten, dies sei ein neuer, erfolgversprechender Ansatz, an den sie zuvor nicht gedacht hatten: dass die Indigenen Verbündete sein könnten. Und so wurde eine Zusammenarbeit beschlossen. Dazu kam es auf dem Treffen im peruanischen Iquitos im Jahre 1990. Auf dem Treffen wurde die Erklärung von Iquitos verabschiedet und unterzeichnet.
Wie lief danach die Zusammenarbeit ?
Das Problem war die Vorstellung, die die Naturschutzorganisationen von einer Partnerschaft mit den Indigenen hatten: sie würden die Pläne entwerfen und dann die Indigenen zur Teilnahme einladen. Die großen Naturschutzorganisationen dachten nicht daran, mit den Indigenen die Pläne gemeinsam zu entwickeln. Sie wollten alleine ihre Pläne entwerfen und die Indigenen sollten diese dann umsetzen, so als wären sie die Angestellten, die Arbeiter, die Untergebenen. Dann aber fanden die Naturschutzorganisationen heraus, dass die Indigenen dies schlichtweg nicht machen würden, sondern ihre eigene Agenda haben und dass diese Agenda sehr verschieden von der Agenda der Naturschutzorganisationen ist, sogar oft dieser zuwiderläuft.

Worin unterscheiden sich die Agenda der Naturschützer und der Indigenen?
Indigene sind zuallererst an Landbesitz und Landtiteln interessiert. Dies ist ein sehr politisches Thema, weil es dabei auch immer Kämpfe mit Großgrundbesitzern und der Politik gibt. Doch die Naturschutzorganisationen sagten „No, no, no, daran können wir nicht arbeiten. Das ist zu politisch“. Außerdem sind die Indigenen auf die Stärkung ihrer Organisationen bedacht. Denn selbst wenn du einen Landtitel erhältst, aber über keine ausreichend starke Organisation verfügst, wie kannst du dein Land dann verteidigen? Und die Naturschutzorganisationen sagten, dass sie sich daran nicht beteiligen könnten, weil dies – wiederum – zu politisch sei. Schließlich ist für die Indigenen die Frage ihres Überlebens zentral.
Dies aber war für die Naturschutzorganisationen etwas Neues, mit dem sie nicht klar kamen. Nachhaltige Entwicklung bedeutet eben auch, dass ein paar Bäume gefällt werden, ein wenig Jagd stattfindet und auch Tiere getötet werden – dies aber passt nicht in die Naturschutzkonzepte der großen Organisationen. Grob gesagt kann man feststellen: Die Naturschutzorganisationen wollten vor allem den Schutz der Biodiversität – und die Indigenen wollten mit den politischen Themen anfangen. Über diesen Gegensatz sind sie nie hinaus gekommen.
Eine Sache scheint mir noch wichtig anzumerken: In den USA reden alle privaten Stiftungen und Naturschutzorganisationen, die solche Projekte unterstützen, vom Schutz der Biodiversität. Das ist „Umwelt“ für sie. Das zeigen auch die Richtlinien von USAID. Der Grund dafür liegt darin, dass die großen Naturschutzorganisationen über Jahre eine massive Lobbyarbeit bei USAID für den Schutz der Biodiversität gemacht haben. In Europa hingegen – so mein Eindruck – sehen viele Nichtregierungsorganisationen dies etwas anders: Sie sehen „Umwelt“ nicht in erster Linie als reinen Naturschutz, sondern ihnen geht es viel mehr um „nachhaltige Entwicklung“. Wenn man sich die Positionspapiere vieler Organisationen in Europa durchliest, dann ist dort viel von „nachhaltiger Entwicklung“, weniger von reinem Naturschutz die Rede.
Und ich denke, man kann sagen, dass Indigene sehr viel mehr an „nachhaltiger Entwicklung“ interessiert sind und sauberes Wasser, ihr Land und solche Dinge gesichert haben wollen. Sie haben kein Interesse, die ‚reine‘ Naturschutzagenda der NGOs zu leben.

In Ihrem Aufsatz stellten Sie die Frage, wie es sein kann, dass einerseits Ölkonzerne die Natur im Amazonasbecken zerstören, die großen Naturschutzorganisationen aber gleichzeitig Spenden von eben diesen Firmen annehmen.
Ja, im Jahr 2003 unterstützte Oxfam Amerika Indigene in ihrem Kampf gegen die Umweltzerstörungen durch Chevron Texaco, gleichzeitig statteten aber die anderen, die großen Naturschutzorganisationen die gleiche Firma mit einem grünen Feigenblatt aus und erhielten Spenden von ihr. Es ist so, dass die großen Naturschutzorganisationen an Geld interessiert sind.
Und je mehr ich mitbekomme, desto zynischer betrachte ich diese Organisationen. Sie nehmen einfach Geld von jedem, egal wem! Selbst wenn der Teufel daherkäme, sie würden Geld von ihm nehmen. Und dies verwirrt die Indigenen. Wissen Sie, da kommen die Organisationen aus den USA, die Geld von den Ölkonzernen bekommen, und gleichzeitig ist dort Oxfam, auch aus den USA, die die Indigenen in ihrem Kampf gegen die Ölkonzerne unterstützen. Nun ist Oxfam viel kleiner als die großen Naturschutzorganisationen, aber dies alles ist für die Indigenen nicht einfach zu überschauen.

Kasten:

Mac Chapin
ist Anthropologe beim Center for the Support of Native Lands, inWashington, D.C. und arbeitet seit über 40 Jahren in verschiedenen Teilen der Welt mit Indigenen zusammen. Ende 2004 publizierte er den Artikel „A Challenge to Conservationists“, in dem er die großen Naturschutzorganisationen – The Nature Conservancy, Conservation International und World Wildlife Fund WWF – scharf kritisierte. Nach Bekanntwerden der Vorabdrucke übten diverse der im Text genannten NRO Druck auf die Herausgeber des Magazins aus, so dass der Präsident der herausgebenden Institution die Anweisung erteilte, die gerade gedruckten 30.000 Exemplare der Ausgabe zu vernichten. Der Chefredakteur erteilte aber eine Gegenanweisung, so dass die Exemplare publiziert wurden. Dies war die größte verkaufte Ausgabe, die das Magazin je herausbrachte.

Lesetipp: Mac Chapin // A Challenge to Conservationists // Zeitschrift World Watch // Ausgabe Nov/Dez 2004

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