Film | Nummer 296 - Februar 1999

Das Leben ist ein Grabbeltisch

Der argentinische Film „Silvia Prieto“ von Martin Rejtmann

Bettina Bremme

An dem Tag, als ich siebenundzwanzig Jahre alt wurde, beschloß ich, mein Leben zu ändern“, verkündet gleich in den ersten Sekunden des Films eine Frauenstimme. „Ich beschloß, Arbeit in einem Café zu suchen und mir einen Kanarienvogel anzuschaffen.“ Während dieser bahnbrechenden Worte aus dem Off ist die Kamera starr auf die leicht abgeranzte Werbetafel eines Gastronomieetablissements gerichtet. Endstation Sehnsucht in Buenos Aires. In diesem Laden also wird Silvia Prieto, die Heldin des Films, arbeiten. Pro Tag wird sie im Durchschnitt 48 Kaffees und 20 Capucchinos servieren, wie sie nach Feierabend ihrem Ex-Mann Marcelo darlegt. Der wiederum ist gerade dabei, sich nach einer neuen Lebensabschnittsgefährtin umzuschauen. Jeden Tag schlendert er an einem Straßenstand vorbei, wo Promoterinnen Waschmittelproben verteilen. Eine von ihnen ist Brite. Und ehe sie’s so recht zu kapieren scheinen, sind Marcelo und Brite fest liiert. Da kündigt Brites Ex-Mann Gabriel, ein verkrachter Poet, seine Rückkehr aus Los Angeles an. Da Brite ihn nicht mehr will, versucht sie, ihren Ex mit der Ex ihres jetzigen Freundes, also mit Silvia, zu verkuppeln.
Das Leben ist ein Grabbeltisch. In Martin Rejtmanns Film „Silvia Prieto“ werden bevorzugt Ex-Partner und ungeliebte Geschenke weitergereicht. Das Beziehungskarussell, das eine Handvoll Twenty- und Thirtysomethings vor laufender Kamera veranstalten, hat den unbändigen Charme eines Hamsterrädchens. Gedanken kreisen und gebären Kanarienvögel. Und wenn der Kanarienvogel beziehungsweise der Mann dann auf dem Balkon bzw. auf dem Sofa hockt, weiß Frau nicht mehr so recht, was das alles überhaupt soll. Oder die Sache mit den Hähnchenkeulen: Vor ihrem ersten Rendezvous mit Gabriel hackt Silvia in mechanischer Betriebsamkeit vier tote Hähnchen in 48 gleichmäßige Stücke und schiebt sie in den Ofen. Anschließend will sie aber dann doch lieber ins China-Restaurant. Allein schon, um Gabriel aus der Intimität ihrer Wohnung hinauszukomplimentieren. – Apropos Gabriel: Seine – trotz suchtartigem Deoverbrauchs – penetrant ranzige Aura ist nur eines von diversen banalen Mysterien des Films. Wenn sie offensichtlich so wenig an ihm findet, warum läßt Silvia diesen Schnorrer dann überhaupt in ihr Bett? Warum schenkt Silvia ausgerechnet ihm den abgrundtief häßlichen, selbst gebastelten Lampenständer, den sie eigentlich für jemanden anderes vorgesehen hatte? Und warum bringt Gabriel seiner Ex-Frau Brite eine scheußliche Puppe aus Los Angeles mit, die diese wiederum mit spitzen Fingern an Silvia weiterreicht?
In den Mikrokosmos dieses Film hineinprojiziert, wirken große Fragen nach dem Warum so deplaziert wie Lampenständer und andere Verlegenheitslösungen. Martin Rejtmann hat mit der sonst im argentinischen Kino so weitverbreiteten Lust an Symbolen und psychologischen Spitzfindigkeiten wenig im Sinn. Genüßlich läßt er jegliche Anzeichen von Bedeutungsschwangerschaft bereits im Ansatz verpuffen. Der 35jährige Low-Budget-Filmer und Drehbuchautor mag es lakonisch und präzise. Die Wege seiner ProtagonistInnen kreuzen sich fortlaufend in absurder Zufälligkeit, ohne daß dem Filmpublikum eine sinnstiftende Entwicklung vorgespiegelt wird. Gerade das Wechselspiel zwischen aktionistischen Übersprungshandlungen und perspektivischen Leerläufen macht den Film so frappierend reell und so irrsinnig komisch. Der ganz normale Wahnsinn. Die Obsessionen stecken im Detail. Das Ringen ums innere und äußere Gleichgewicht sucht sich Schauplätze, die popelig und banal sind. Da wird ein positiver Schwangerschaftstest scheinbar beiläufig zur Kenntnis genommen, während es sich für Silvia zu einer manifesten Identitätskrise auswächst, daß es in Buenos Aires noch eine weitere Frau gibt, die Silvia Prieto heißt…

„Silvia Prieto“; Regie: Martin Rejtmann; Argentinien 1998; Farbe, 92 Minuten. Dieser Film wird im Forum auf der Berlinale zu sehen sein.

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