Mexiko | Nummer 488 - Februar 2015

Das Militär im Fadenkreuz

Bei der Suche nach dem Verbleib der verschwundenen Studenten mehren sich die Hinweise auf die Komplizenschaft der mexikanischen Armee

Vier Monate nach dem gewaltsamen Verschwinden der 43 Studenten gerät das mexikanische Militär immer stärker unter Druck. Gegen ihre Version der Nichtbeteiligung und Ahnungslosigkeit sprechen inzwischen zahlreiche Indizien. Außerdem gibt es neue Erkenntnisse über den Einsatz deutscher Schusswaffen im Kontext mit dem Verbrechen.

Timo Dorsch

Sie hatten ihr Vorhaben am 3. Januar offiziel angekündigt. Und am 12. Januar konnte auch ein massives Gitter die Angehörigen, Kommilitonen und Unterstützungsaktivist*innen nicht aufhalten. Mit Hilfe eines Coca-Cola-Trucks verschafften sich die Demonstrierenden in Iguala Zugang auf das Gelände des 27. Infanteriebataillons. Mit Schritgeschwindigkeit durchbrach der Truck die Barriere, sodass mehrere Dutzend Menschen auf das Militärgelände strömen konnten. Die herbeieilende Militärpolizei blockierte den weiteren Weg und schlug die Eindringlinge mit Tränengas und unter Gewalteinsatz zurück. Unter den 15 Verletzten befinden sich auch Eltern der Verschwundenen sowie Omar García, Überlebender der Schreckensnacht des 27. Septembers 2014, in der in Iguala 43 Studenten verschwanden und sechs weitere unbeteiligte Menschen den Tod fanden (siehe LN 485).
Bereits seit längerem rückt die Rolle des in der Region stationierten mexikanischen Militärs in den Fokus der Aufmerksamkeit. So forderten Angehörige der Studenten schon Ende November vor den Toren des 27. Bataillons Einlass, um sich zu vergewissern, dass die Verschwundenen nicht doch auf Militärgelände festgehalten werden würden. Der ursprünglichen Forderung der Eltern, zusammen mit Presse, Anwält*innen und politischen Organisationen das Terrain zu betreten, wurde nicht statt gegeben. Tatsächlich mehren sich die Anzeichen dafür, dass die Armee entgegen ihrer Beteuerungen durchaus in das schlimmste dokumentierte Staatsverbrechen seit Jahrzehnten involviert war, welches die politische Klasse Mexikos in eine tiefe Krise gestürzt hat (siehe LN 487).
So ist kaum glaubhaft, dass der in geheimdienstliche Aktivitäten ausgebildete befehlshabende Kommandant des 27. Bataillons, Juan Antonio Aranda Torres, keinerlei Informationen über das Geschehen gehabt haben soll. Laut Recherchen des renommierten Journalisten Luis Hernández Navarro unterhielt Arranda Torres zudem äußerst gute Beziehungen zum Bürgermeister Igualas José Luis Abarca. Der wiederum pflegte engste Kontakte mit der organisierten Kriminalität und soll laut offizieller Darstellung das Verbrechen an den Studenten angeordnet haben. Auch in der Tatnacht befand sich der Kommandant während einer offiziellen Festlichkeit an der Seite von Abarca und dessen Ehefrau, María de los Ángeles Pineda Villa, die ebenfalls tief im kriminellen Milieu verwurzelt ist. Sechs Wochen nach ihrer Flucht wurde das Paar Anfang November in Mexiko-Stadt festgenommen. Pineda Villa sitzt seit dem 6. Januar im Hochsicherheitsgefängnis El Rincón, im Bundesstaat Nayarit, in Untersuchungshaft. Ihr werden verschiedene Vergehen vorgeworfen. Unter anderem Geschäfte mit der organisierten Kriminalität im Zusammenhang mit der lokalen Bande Guerreros Unidos sowie Geldwäsche, im Gegensatz zu ihrem Ehemann jedoch nicht ihre Beteiligung an dem gewaltsamen Verschwindenlassen der Studenten und den sechs Morden. Auch Kartellangehörige widersprechen der angeblichen Ahnungslosigkeit des Militärs. So beschuldigt eine öffentlich angebrachte Nachricht der Guerreros Unidos einen Oberleutnant sowie einen Hauptmann des besagten Bataillons, an der Planung und Durchführung des Verschwindenlassens beteiligt gewesen zu sein.
Gegenwind erhält das Militär zudem von akademischer Seite. Die beiden Physiker Jorge Antonio Montemayor Aldrete und Pablo Ugalde Vélez von den Universitäten UNAM und UAM Atzcapotzalco in Mexiko-Stadt bestreiten in einem Forschungsbericht die Version der Staatsanwaltschaft, wonach die 43 Studenten auf der Müllhalde von Cocula vebrannt worden seien. Den beiden Wissenschaftlern zufolge, bräuchte es aufgrund der Anzahl der Körper Unmengen an Materialien – 33 Tonnen Holz oder bis zu 1.000 Autoreifen – weswegen sie rückschließen, dass die Studenten in Krematorien verbrannt worden seien. Und es sei das Militär, das im Besitz von solchen Installationen ist und Verbrennungen darüber hinaus auch diskret durchführen könne. Die Existenz von Verbrennungsöfen auf Armeegelände bestätigt ebenso General Francisco Gallardo Rodríguez, der selbst über neun Jahre hinweg politischer Gefangener des Militärs war. Als weiterer Punkt ist die Aussage von Rafael López Catarino zu nennnen, Vater des verschwundenen Julio César López, nach der er über GPS-Ortung das Handy seines Sohnes zuletzt auf dem Gelände des 27. Infanteriebataillons lokalisieren konnte.
Und schließlich spricht die Tradition gegen die angebliche Nichtbeteiligung des Militärs. So blickt ausgerechnet die 27. Einheit auf eine lange Geschichte von Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen inmitten des Schmutzigen Krieges gegen linke, teilweise militante Bewegungen und ihre Sympathisanten zurück. Schnell erlangte die Einheit in den 1970er Jahren einen äußerst bedenklichen Ruf. Angespornt von den US-amerikanischen Taktiken im Südosten Asiens sowie durch die an der berühmt-berüchtigten School of the Americas erlernten Einsatztechniken kannten sie kein Pardon gegenüber der Bevölkerung auf ihrer Suche nach der Guerrillero-Ikone Lucio Cabañas und seinen Gerfolgsleuten. Auch dieser hatte studierte übrigens an der Lehramtsschule Raúl Isidro Burgos von Ayotzinapa, der als „Kommunistenschmiede“ verschrieenen Ausbildungsstätte der verschwundenen Studenten. Alsbald erhielt die gebeutelte Region im Bundesstaat Guerrero den nicht von ungefähr kommenden Beinamen „vietnamesisches Dorf“. Unter den nun 43 Verschwundenen befanden sich etliche, die politische Funktionen in ihren Organisationen ausübten.
Unterdessen haben die Untersuchungen des für den Fall beauftragten Instituts für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck keine weiteren positiven Aufschlüsse über die weiteren Überreste von 16 anderen Körpern ergeben, die auf der Müllhalde von Cocula verbrannt worden sein sollen. In einer Mitteilung des Instituts vom 22. Januar heißt es, dass weder die nukleare DNA- (nDNA) noch die mitochondriale DNA- (mtDNA) Analyse der verbleibenden Körper erfolgreich war. Sie gehen davon aus, dass beim Verbrennungsvorgang die „exzessive Hitze“ die DNA-Spuren zerstört hat. Sie haben der mexikanischen Staatsanwaltschaft nun vorgeschlagen, die neue technologische Methode Massively Parallel Sequencing (MPS) anzuwenden, wenngleich nur eine „geringe Chance“ für positive Ergebnisse bestünde.
Ebenso liegen neue Erkenntnisse über die Rolle deutscher, illegal gelieferter Waffen vor. Der Abgleich der Seriennummern von den bei der Polizei in Iguala gefundenen G36-Gewehren mit den Unterlagen der Bundesregierung über ihren Bestimmungsort ergab, dass die mexikanische Empfängerfirma Dirección General de lndustria Militar falsche Angaben dazu machte. Dies geht aus einer Antwort des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 9. Januar an den Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele hervor. Demnach hätten die Waffen nicht in den Bundesstaat Guerrero, wo Iguala liegt, geliefert werden dürfen. Wolf-Dieter Vogel berichtete hierbei in der taz, dass den sechs wegen Mordes angeklagten Beamten aus Iguala die Gewehre aber „explizit zugeordnet“ werden und „laut Ermittlungsakten Zugang“ zu ihnen hatten. Die an ihnen festgestellten Schmauchspuren lassen daher rückschließen, dass die Waffen aus deutscher Produktion auch zum Einsatz kamen.
Mehr als vier Monate sind seit der Nacht des Schreckens vergangen. Noch immer gibt es nur wenige klare Fortschritte in der Aufklärung. Die mexikanischen Institutionen scheinen wenig Interesse an einer zügigen ernsthaften Vorgehensweise zu haben. Kaum verwunderlich angesichts der tiefen Verstrickungen staatlicher Organe in das Verbrechen. Gegenüber dem Menschenrechtszentrum Tlachinollan, welches den Fall der 43 Verschwundenen juristisch betreut, sagte Omar García, einer der überlebenden Studenten, in Bezug auf die Proteste von Montag daher: „Obwohl alle legalen Wege in den Institutionen ausgeschöpft worden sind, haben wir keine klare Antwort gesehen, weswegen wir schon am Limit der Toleranz sind.“ Dass die Verzweifelten bereit sind, sich über Grenzen hinwegzusetzen, haben sie bereits bewiesen.

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