Land und Freiheit | Nummer 447/448 - Sept./Okt. 2011

„Das neue Landgesetz ist eine Farce“

Mauricio Meza von der kolumbianischen Menschenrechtsorganisation COMPROMISO über die neuen Gesetze zur Rückgabe von Land an Vertriebene

Von Paramilitärs und Unternehmen vertriebene Kleinbäuerinnen und -bauern in Kolumbien hatten bisher kaum Möglichkeiten, auf ihr angestammtes Land zurückzukehren. Mauricio Meza von der Menschenrechtsorganisation COMPROMISO aus Bucaramanga im Nordosten Kolumbiens sieht die Gesetzesinitiativen der Regierung unter Präsident Juan Manuel Santos zur Rückgabe von Land (siehe LN 445) dennoch kritisch.

Interview: Alke Jenss und Olga Burkert

Im Juni dieses Jahres wurde das sogenannte Opfer- und Landgesetz (Ley de Víctimas/Ley de Tierras) verabschiedet. Kann dieses Gesetz helfen, die Landfrage in Kolumbien zu lösen?
Nein. Für mich ist dieses Gesetz nur eine Farce voller Täuschungen. Die Regierung gibt damit vor, die Vertriebenen erstmals umfassend zu entschädigen und ihnen zwei Millionen Hektar Land zurück zu geben. Insgesamt wurden aber Bauern von mindestens sechs Millionen Hektar vertrieben, es handelt sich also nur um einen Bruchteil des geraubten Landes. Damit sind wir nicht einverstanden!
Außerdem wurde das Gesetz von oben gemacht, die Opfer der gewaltsamen Landvertreibungen wurden daran nicht beteiligt. Berücksichtigt werden darin nur die Vertriebenen von nach 1985. Ökonomische Entschädigung erhalten sogar nur diejenigen nach 1991. Das heißt, all die früheren Opfer zählen einfach nicht.

Gab es bei der Ausarbeitung des Gesetzes keine Abstimmung mit den Opferverbänden?
Nein, es wurde ausschließlich von der Regierungsallianz entwickelt. In Kolumbien gibt es keine Transparenz, es gibt nur Korruption und Betrug. Es wird ausschließlich für die Reichen, für die herrschenden Klassen regiert. Es ist immer die gleiche Geschichte seit 50 Jahren. Wir wollten dieses Gesetz mit breiten Debatten von unten mitbestimmen. Dadurch hätten die Opfer wirklich eine Stimme gehabt und ihre Meinung einbringen können. Aber das war unmöglich.

Aber denjenigen, die ihre Landtitel beweisen und auf ihr Land zurückkehren können, ist doch schon erstmal geholfen, oder?
Ja, aber sie tappen sogleich in die nächste Falle. Das schlimmste an dem Gesetz ist eine Klausel, die die Bauern, die ihr Land zurück erhalten, dazu zwingt, weiter Ölpalmen oder andere Nutzpflanzen für das Agrobusiness zu kultivieren, wenn diese in der Zwischenzeit auf ihrem Land angepflanzt wurden. Nahrungsmittel wie Mais oder Yucca für den Eigenverbrauch dürfen sie nicht anbauen. Sie sind gezwungen, Ölpalmen an die großen Unternehmen zu verkaufen, denn nur die haben die passenden Maschinen für die Weiterverarbeitung.
Oder sie arbeiten direkt als Lohnarbeiter für die Firmen. Die großen Agrarunternehmen bekommen so immer mehr Zuarbeiter. Das Gesetz wurde von ihnen und in ihrem Interesse gemacht. Auch wenn jetzt mit dem neuen Gesetz 2.000 oder auch 200.000 Hektar an vertriebene Bauern zurück gegeben werden, verhindert das nicht, dass in einigen Jahren der Großteil des Landes in den Händen von großen Agrarfirmen und Großgrundbesitzern sein wird.

Wie konnte es zu dieser ausweglosen Situation kommen?
Es gibt in Kolumbien sehr viel Korruption. Und viele Politiker besitzen selber große Ländereien. In anderen Gegenden wie der Region Magdalena Medio wurde unter Ex-Präsident Uribe Paramilitärs Land zugesprochen, wo jetzt zum Beispiel Palmen in Monokultur angebaut werden. Außerdem ist der Druck der ausländischen Investoren auf die Regierung sehr groß. Sie verlangen ein Landgesetz, um investieren zu können, um sich auf vermeintlich geregelte Besitzverhältnisse berufen und sagen zu können, dass das Land nicht illegal angeeignet wurde.
Besonders bedenklich ist, dass die Regierung Santos im Zuge dieses Gesetzes auch die Unidad Agrícola Familiar (UAF), eliminiert hat. Die UAF war eine juristische Figur in der kolumbianischen Gesetzgebung, die eine Obergrenze für Landbesitz festlegte. So sollte große Landkonzentration verhindert werden. Santos hat die UAF aus der nationalen Gesetzgebung gestrichen, um großflächige Latifundien möglich zu machen. Früher sprach man hier von Landbesitz, heute wird nur noch vom „Landmarkt“ gesprochen.

Gibt es bereits ausländische Investor_innen, die im großen Stil Land in Kolumbien aufkaufen?
Jetzt ist ihnen zumindest Tür und Tor geöffnet. Mit der UAF ist die letzte Hürde gefallen. In der Region Altilla Colombia, die sich über die Departamentos Arauca, Casanare und Meta erstreckt, plant China 400.00 Hektar, Brasilien 20.000 Hektar zu kaufen. Dabei handelt es sich um die flachste Region des Landes, sie ist also leicht zu mechanisieren. Warum kaufen die Chinesen nicht Land in einer bergigen Region? Weil sie dort nicht ihre Traktoren einsetzen können. So wird das fruchtbarste Land für kleinbäuerliche Landwirtschaft nicht mehr nutzbar sein. Stattdessen wird die Region mit Gen-Soja, Gen-Mais und Ölpalmen für den Export überschwemmt werden.

Wie wirkt sich das auf die Ernährungssicherheit der Bevölkerung aus?
Uns erscheint das sehr bedenklich, denn was wir in Kolumbien brauchen, sind Nahrungsmittel. Mehr als 41 Prozent der Bevölkerung hat keine Nahrungsmittelsicherheit, wir importieren zehn Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr. Aber der Anbau von Lebensmitteln ist eben nicht so rentabel. Die ganze Landfrage ist ein großes Geschäft mit multinationalen Getreide-Firmen wie Kellog‘s, Monsanto, Syngenta, Quaker, die daran gut verdienen. Ein großes Geschäft auf Kosten der Bauern.

Wie ist die Situation in der Region um Bucaramanga, wo COMPROMISO arbeitet?
Wir haben hier zum Beispiel Landkonflikte in Tibú, wo 2004 eine Gruppe von 6.000 Paramilitärs mit der Regierung Uribe verhandelt und Land zugeteilt bekommen hat. Dort werden heute Ölpalmen angebaut. Aber dieses Land wurde Bauern weggenommen, die vertrieben wurden.

Gibt es andere Beispiele?
Im Magdalena Medio haben wir die gleiche Situation. Und in Sabana de Torres zum Beispiel wurden in den letzten drei Jahren 70 Bauern verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen Guerilleros zu sein, aber es sind einfache Bauern. Meistens verhaften sie beide Elternteile und die Kinder bleiben allein zurück. Sie zerstören zuerst die Familie und nehmen ihnen dann das Land weg. Selbst wenn wir einen Freispruch erreichen, kehren sie zwar in ihre Dörfer zurück, sind aber oft stigmatisiert und werden von den Nachbarn gemieden. Zudem werden sie meist von den Großgrundbesitzern erneut bedrängt und sehen sich schließlich gezwungen, ihr Land zu verkaufen. Dann bleibt ihnen nur das Auswandern in die Armenviertel der Städte.

Gibt es unter diesen widrigen Umständen auch Erfolge zu verzeichnen?
Im März dieses Jahres gelang uns ein großer Erfolg gegen die multinationale Bergbaufirma Greystar aus Kanada. Diese will im Páramo Sant Urbán im offenen Tagebau eine Goldmine ausbeuten. Am 25. Februar haben wir eine große Demonstration organisiert, an der viele unterschiedliche Teile der Zivilbevölkerung teilnahmen. Insgesamt waren es 40.000 Teilnehmer von den Gewerkschaften, Kleinunternehmen, Kirchen, Universitäten, Schulen, etc. Der soziale Druck war so groß, dass den Politikern der Preis zu hoch war und das Vorhaben gestoppt wurde. Aber natürlich haben die Regierung und Greystar weiterhin Interesse, die Mine auszubeuten und die Gewinne zu erzielen. So ist der soziale Protest das einzige, was uns noch bleibt. Und wir werden weitermachen, wir gehen weiter raus auf die Straße und protestieren.

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