Literatur | Nummer 301/302 - Juli/August 1999

Das subversive Lachen

Eine Chilenin erzählt Geschichten aus Costa Rica

Literatur aus Costa Rica hat bisher kaum den Weg nach Deutschland gefunden. Tatiana Lobo feiert mit Hahnenbräute nun hierzulande ihr Debüt. Mit zuweilen beißendem Humor erzählt die Chilenin, die seit über zwanzig Jahren in Costa Rica lebt, die Geschichte eines kleinen Karibikdorfes. Für sie ist Ironie manchmal die einzige Form des Überlebens.

Ann-Catherine Geuder

Es wurde ja auch langsam Zeit: Endlich ein Roman aus Costa Rica. Die Schweiz Lateinamerikas ist auf der literarischen Landkarte kaum vorhanden, in deutscher Übersetzung war bisher nur ein Roman von José León Sánchez lieferbar. Mit Hahnenbräute (im Original Calypso) von Tatiana Lobo liegt nun der zweite Roman aus Costa Rica vor. Aus einem dichten Gewebe von mythischen, erotischen, komischen und tragischen Episoden entsteht die Geschichte eines kleinen, verwunschenen Dorfes an der costaricanischen Atlantikküste. Die überwiegend afrokaribischen BewohnerInnen leben anfangs abseits vom Weltgeschehen, werden jedoch immer mehr von der westlichen Zivilisation beeinflußt und gehen letztendlich an ihr zugrunde. Besonders beeindruckend ist die erzählerische Kraft der Autorin, die Präzision, mit der sie liebevoll Details beschreibt, und der Humor, der die einzelnen Geschichten durchzieht.

Metapher der costaricanischen Realität

Im Mittelpunkt des Romans steht Parima Bay, ein kleines Dorf an der Atlantikküste, benannt nach dem einzigen Weißen in der Region, Lorenzo Parima. Dieser war in den dreißiger Jahren seinem schwarzen Freund Platintáh Robinson in das Dorf gefolgt, um dort gemeinsam den Gemischtwarenhandel zum Blühen zu bringen. Doch als Lorenzo die wunderschöne Amanda, Platintáhs Verlobte, erblickt, ist es um ihn geschehen. Er kennt nur noch ein Ziel: diese Frau zu besitzen, koste es, was es wolle. Amanda will jedoch nichts von ihm wissen, erst recht nicht, nachdem er Platintáh im Hühnerstall erschossen hat. Lorenzos Unglück steigert sich, als Amandas Tochter Eudora zum Ebenbild ihrer Mutter heranwächst und er auch ihr verfällt. Seine Qual wird in Gestalt der ebenso schönen Enkeltochter verdreifacht, die ihn zu allem Überfluß auch noch für ihren Vater hält…
Doch nicht die Frauen führen Lorenzo ins Verderben, sondern seine unermeßliche Habgier. Er steigt zwar zum erfolgreichen Geschäftsmann und Politiker auf, bleibt aber dennoch der unglücklichste Bewohner der ganzen Region. So läßt sich Hahnenbräute auch als Allegorie für die “zweite Kolonialisierung” der afrokaribischen Bevölkerung, als Metapher costaricanischer Realität lesen: Ein spanischsprachiger Weißer (Lorenzo) hält durch die Hilfe eines freundlichen Schwarzen (Platintáh) Einzug in eine friedliche Welt, in der die Menschen fern von westlichen Einflüssen leben und versucht diese mit den Mitteln der Technik zu beherrschen. Im Laufe des Romans gelingt dies Lorenzo zwar auf wirtschaftlicher und politischer Ebene; seinen Gefühlen ist er jedoch hilflos ausgeliefert. Lorenzo “fürchtete das wundersame Wesen der Dorfbewohner, die immer geneigt waren, die häßlichen Dinge des Lebens im Licht übernatürlicher Schönheit zu betrachten und das Unschöne noch auszuschmücken.” Doch die Laisser-faire-Haltung der Einwohner, die Lorenzo manchmal zur Verzweiflung treibt, weil sie seine Pläne durchkreuzt, ermöglicht es ihm auch, den sogenannten Fortschritt in die Bucht zu bringen — auf Kosten des vergnüglichen Lebens, an das sich die Leserin gerade allzugerne gewöhnt hat.

Pinguine über Sackbrassen

Während der Roman Tenochtitlan (1997) des Costaricaners José León Sánchez in Mexiko spielt, konzentriert sich die Handlung von Hahnenbräute tatsächlich auf Costa Rica — geschrieben ist der Roman jedoch von einer Chilenin. Das sei, als schreibe ein Pinguin über das Gemeinschafts- und Liebesleben der gescheckten Sackbrassen, kommentiert Tatiana Lobo. Sie lebt seit über zwanzig Jahren in Costa Rica, hat dort für die staatliche Abteilung zur Förderung indigener Handwerkskunst gearbeitet. Geboren wurde sie 1939 im Süden Chiles als Kind deutscher Einwanderer. Nachdem sie in Santiago de Chile und Madrid Darstellende und Bildende Kunst studierte, lebte sie drei Jahre in Deutschland und Österreich, wo sie ihren Mann kennenlernte. Mit ihm ging sie 1967 in seine Heimat, nach Costa Rica. Tatiana Lobo fing erst relativ spät an zu schreiben. Als ihr erster – bisher leider nicht ins Deutsche übersetzte – Roman, Asalto al paraíso, („Angriff aufs Paradies”) erschien, war sie bereits 53 Jahre alt. Zwei Jahre später erhielt sie den Premio Sor Juana Inés de la Cruz, der jährlich an lateinamerikanische Schriftstellerinnen vergeben wird. Und nun, sozusagen als Geschenk zum sechzigsten Geburtstag, ist sie mit Hahnenbräute endlich auch einem deutschen Publikum zugänglich.

Die Strategie der Schwachen

Hahnenbräute zeugt von Lobos unbändiger Lust am Fabulieren; sie erzählt Geschichten, in denen Erwartetes und Überraschendes eng beieinander liegen. Ihre Beschreibungen sind dabei so plastisch, daß Personen und Landschaft vor dem inneren Auge lebendig werden. Manchmal stören allzu symbolisch vereinfachte Gegenüberstellungen, wie zum Beispiel die des griesgrämigen, hinterlistigen Lorenzos mit dem fröhlichen, naiven Platintáh. Doch meistens gelingt es der Autorin, die Klischees so sehr zu übertreiben, daß sie schon wieder komisch wirken und sich selbst entlarven. So ist auch für Lobo der Spott eine wichtiges Mittel der Schwachen, um die Mächtigen zu sabotieren: “Das Leben zeigt dir manchmal, daß die Ironie die einzige Form des Überlebens ist.” Allein das Aufeinandertreffen der westlichen und der karibischen Welt birgt im Roman immer wieder genügend Stoff für unfreiwillige Komik. Zum Beispiel das Verhalten eines deutschen Missionars, der nach seiner Ankunft im Dorf als erstes DDT in der Kapelle versprüht und dabei auch das palmengedeckte Dach behandelt: “Alle, die dem Schauspiel beiwohnten, staunten nicht schlecht über die zahlreichen Insektenvölker, die hoch über ihren Köpfen hausten. Nach einigen Tagen fielen immer noch Kakerlaken, Skorpione, Ameisen, Spinnen, Wespen, sterbende und mausetote Spezies herunter. Der Insektenregen machte die Kapelle als Unterkunft und Kultstätte unbrauchbar, bis die Wirkung des DDT mit der Meeresbrise verflog und sich die Tierchen, die das Desaster überlebt hatten, wieder in ihren fruchtbaren Schlupfwinkeln einrichteten.”
Ein anderes Spannungsfeld ist das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Vordergründig beherrscht der griesgrämige Lorenzo den Roman, ein unsympathischer Kauz, der die etwas naiven BewohnerInnen der Bucht zu seinen Untertanen machen will. Doch eigentlich bestimmen die Hahnenbräute (Amanda, ihre Tochter Eudora und ihrer Enkelin Matilda) sein Leben und stehen im Mittelpunkt des Romans. Dementsprechend sind die drei Abschnitte des Romans nach ihnen betitelt. Aber auch andere Personen treten zeitweilig in den Vordergrund, wie die hellsichtige Schwester Platintáhs oder der Albino Stella. Ebenso finden zum Beispiel eine kleine Gruppe Hippies oder ein afrikanischer Priester vorübergehend ihren Platz in der kleinen Gemeinschaft. Nur Lorenzo ist ständig am Kämpfen und Pläne schmieden, anstatt das Leben zu genießen. Wäre er nicht so ein Fiesling, man könnte Mitleid haben mit ihm ob seiner verzweifelten Bemühungen, über Mensch und Natur zu herrschen. Doch seine Kontrollversuche müssen angesichts der Lebenslust, aber auch der Schicksalsergebenheit der BewohnerInnen scheitern. Diese kämpfen nicht gegen ihn, sie lachen und machen das Beste aus ihrem Leben.

Tatiana Lobo: Hahnenbräute. Aus dem Spanischen von Sabine Müller-Nordhoff. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1999, 320 S., 36,- DM.
(ca. 18 Euro)

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