Honduras | Nummer 510 – Dezember 2016

DAS TÖTEN NIMMT KEIN ENDE

Die Bilanz des Oktobers sind drei Morde und zwei Mordversuche an Vertreter*innen sozialer und ökologischer Bewegungen in honduras

Im Jahr 2016 wurden in Honduras bisher elf Menschenrechtsverteidiger*innen getötet, weitere neun mussten ins Exil gehen. Alle ermordeten Aktivist*innen hätten eigentlich vom honduranischen Staat geschützt werden müssen. Doch entgegen Verlautbarungen des US-State Departments, das dem honduranischen Staat am 30. September bescheinigte, effektive Maßnahmen zur Verbesserung der Menschenrechtslage durchgeführt zu haben, scheitert der honduranische Staat nicht nur hierbei: Bis jetzt bleiben die für die Morde Verantwortlichen unbekannt und straflos.

Von Claudia Fix

Jose Angel Flores und Silmer Dionosio George verließen gerade ein Treffen der Vereinigten Bewegung der Kleinbauern im Aguan (MUCA), als bewaffnete Männer das Feuer eröffneten. Beide starben bei dem Attentat. Angel Flores war Präsident des MUCA, George ein Koordinator der Bewegung in der Region Bajo Aguán, die in besonderem Maße vom agroindustriellen Anbau von Palmöl betroffen ist. Beide waren von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) schon länger als „gefährdet“ eingestuft worden, so dass der honduranische Staat eigentlich dafür verantwortlich war, ihr Leben durch geeignete Sicherheitsmaßnahmen zu schützen. Eigentlich.
Tomás Gómez Membreño, seit der Ermordung der Menschenrechtsverteidigerin Berta Cáceres am 3. März dieses Jahres Koordinator der indigenen Organisation COPINH, fuhr am 9. Oktober einen Wagen von COPINH, als Unbekannte das Feuer  auf ihn eröffneten. Gómez überlebte das Attentat nur mit viel Glück. Bereits im Morgengrauen desselben Tages hatten Unbekannte das Haus beschossen, in dem Alexander García, lokaler Koordinator von COPINH, mit seiner Frau und seinen Kindern schlief. Nur durch Zufall wurde niemand verletzt. COPINH wehrt sich seit mehreren Jahren friedlich gegen die Errichtung des Wasserkraftwerks Agua Zarca, das mit internationalen Krediten finanziert wird. Auch für Gómez und García hatte die CIDH geeignete Schutzmaßnahmen gefordert.
Am 30. Oktober verließ Fernando Alemán Banegas eine Diskothek in der Stadt Ceiba, als ein Bewaffneter unvermittelt auf ihn schoss. Der 28-Jährige war der Sohn von Esly Emperatriz Banegas, Präsidentin der Koordination der Basisorganisationen von Aguan (COPA). Sie war an demselben Tag von der oppositionellen Partei LIBRE (Libertad y Refundación) als Kandidatin für das Bürgermeisteramt in Tocoa nominiert worden. Esly Banegas steht für eine kritische Haltung gegenüber internationalen Bergbau-Unternehmen und hat im April dieses Jahres an den öffentlichen Anhörungen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission teilgenommen. Bereits seit längerem erhält sie Todesdrohungen gegen sich und ihre Familie, ihr Haus wurde dauerhaft überwacht, Unbekannte verfolgten sie. Auch für den Schutz von Esly Banegas war der honduranische Staat nach Anordnung von Schutzmaßnahmen durch die Interamerikanische Menschenrechtskommission in besonderem Maße verantwortlich.
Drei verschiedene Komitees der Vereinten Nationen haben in diesem Jahr die Menschenrechtslage in Honduras untersucht: Das Komitee für ökonomische, kulturelle und soziale Rechte, das Komitee gegen Folter und das Komitee zum Schutz der Rechte aller Arbeitsmigranten und ihrer Familien. In den Anhörungen fragten die UN-Expert*innen insbesondere nach den Maßnahmen des honduranischen Staates, um die Arbeit und die Sicherheit von Menschenrechtsvertei­diger*innen zu garantieren. Die staatliche Antwort: Die Arbeit der Menschenrechtsverteidiger*innen werde anerkannt, das Gesetz zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen sei verabschiedet und implementiert und die 38 Personen, die Schutzmaßnahmen bis Juni 2016 beantragt hätten, würden ausreichend geschützt.
Wie die honduranische Menschenrechtsorganis­tion COFADEH angesichts der jüngsten Mordfälle in einem offenen Brief feststellte, „hat sich dieser Mechanismus als wenig effektiv erwiesen, da sowohl ausreichende Ressourcen fehlen als auch keine konkreten und spezifischen Maßnahmen ergriffen werden, um die gefährdeten Personen zu schützen; ohne Risiko-Analyse wird allein mit Notmaßnahmen reagiert und nicht mit einem professionell geplanten Schutz.“ 170 internationale Organisationen und 16 Wissenschaftler*innen haben am 26. Oktober einen Appell der Internationalen Plattform gegen Straflosigkeit unterzeichnet, in der die zuständigen staatlichen Stellen in Honduras aufgefordert werden, endlich die Sicherheit von Menschenrechtsverteidiger*innen im Land zu garantieren.
Doch die honduranischen Behörden handeln vor allem dann professionell und entschlossen, wenn es darum geht, das Land vor einem „Imageschaden“ zu bewahren. Der internationale Menschenrechtsbeobachter Luis Díaz de Terán López wollte am 25. Oktober aus Spanien über den internationalen Flughafen in Tegucigalpa in Honduras einreisen. López hat in den vergangenen Monaten die Arbeit von COPINH, die auch nach dem Tod von Berta Cáceres ständig Repression und gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt war, über einen längeren Zeitraum begleitet. Er wollte nach Honduras zurückkehren, um die Begleitung als internationaler Menschenrechtsbeobachter wieder aufzunehmen. Unmittelbar vor der Einreise wurde López jedoch festgenommen und umgehend nach El Salvador und anschließend nach Kolumbien deportiert; von wo aus er nach Spanien zurückkehrte. Während der Verweigerung der Einreise wurde ihm die Unterstützung durch Anwält*innen der honduranischen Menschenrechtsorganisation C-Libre verwehrt. Die Regierung beschlagnahmte unter anderem die Festplatte seines Computers und sein Handy. Der Vorwurf: López schädige das Image des Landes.
Eine Image-Offensive hat auch Präsident Juan Orlando Hernández gestartet: Er nahm eine US-amerikanische PR-Firma unter Vertrag und reiste in den vergangenen vier Monaten viermal in die USA. Offensichtlich erfolgreich: Am 30. September bescheinigte das US-amerikanische State Department dem honduranischen Staat, effektive Maßnahmen zur Verbesserung der Menschenrechtslage durchgeführt zu haben. Damit wurde der Weg frei für die Zahlung von Hilfsgeldern in Höhe von 55 Millionen US-Dollar.
Im US-amerikanischen Abgeordnetenhaus formiert sich allerdings Widerstand gegen die unabhängig davon seit dem Militärputsch 2009 stetig erhöhte Hilfe für Militärausgaben. Nicht nur im Fall des Mordes an Berta Cáceres ließ sich eine Verbindung zwischen der Ermordung von Men-schenrechtsverteidiger*innen und dem Militär oder spezieller Polizei-Einheiten belegen. Im Juni 2016 brachten 42 Kongress-Abgeordnete das „Berta Cáceres Menschenrechte in Honduras“ – Gesetz HR5474 im Parlament ein. Einmal angenommen, würde das Gesetz die Finanzierung und Unterstützung des honduranischen Militärs und der nationalen Polizei ebenso beenden, wie die Finanzierung von Mega-Projekten, die gegen die Wünsche der Bevölkerung durchgesetzt werden. Die Unterstützung für HR5474 im Abgeordnetenhaus wächst.
Die Ermittlungsakten im Mordfall Berta Cáceres wurden derweil am 29. September aus dem Wagen eines staatlichen Justizangestellten gestohlen und sind seither nicht wieder aufgefunden worden. Es gibt in Honduras offensichtlich viele Wege, Straflosigkeit statt Strafverfolgung zu garantieren.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren