Gewalt und Staat | Nummer 397/398 - Juli/August 2007

Das Virus hat sich über das ganze Land ausgebreitet

Die Todesschwadronen der Kaibiles und die tagtägliche Gewalt in Guatemala

Der Bürgerkrieg in Guatemala wurde mit den Friedensverträgen 1996 für offiziell beendet erklärt. Doch Jahrzehnte der Gewalt haben ihre Spuren hinterlassen. Viele Täter des bewaffneten Konflikts sind nie verurteilt worden und haben sich mit dem Frieden arrangiert: als private Sicherheitskräfte, Drogendealer oder sogar als UN-Peacekeeper.

Markus Plate, Nils Brock

Als die Waffen nach 36 Jahren Bürgerkrieg endlich schwiegen, hatten viele GuatemaltekInnen die Hoffnung, dass nun auch die tagtäglich erlebte Gewalt ein Ende haben würde. Doch auch wenn unter Federführung der UNO nun Frieden vereinbart war, blieben viele Kriegsverbrecher auf freiem Fuß. Auch der gewaltige Militärapparat wurde nur geringfügig demontiert. Vor allem die Kaibiles, die Todesschwadronen des guatemaltekischen Terrorregimes, legten einen weitgehend störungsfreien Übergang in die Nachkriegszeit hin. Inzwischen ist die Einheit durch UN-Blauhelmmissionen geadelt und vielen ehemaligen Kämpfern gelang ein gewaltiger Karrieresprung – in die Privatarmeen der internationalen organisierten Kriminalität.
Die Kaibiles entstanden Mitte der 1970er Jahre als Antwort auf den zunehmenden Einfluss der Guerilla in den entlegenen, vornehmlich indigen geprägten Landesteilen. Kaibil ist zunächst der Name der guatemaltekischen Eliteschule für militärische Ausbildung und Spezialoperationen, aber zugleich eine Reminiszenz an den Maya-Führer Kaibil Balam, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Mam-Festung Zaculeo monatelang gegen die spanischen Konquistadoren verteidigte. Die Aufgabe der Kaibiles im guatemaltekischen Bürgerkrieg bestand allerdings keinesfalls in der Verteidigung indigener Gemeinden. Im Gegenteil: Ihnen oblag der Kampf gegen die Guerilla mit allen Mitteln. Und diese „Mittel“ schlossen auch Massaker an den indigenen Gemeinden ein, die als soziale Basis der Guerilla gesehen wurden.
Carlos Chávez Menoscal, Redakteur der traditionsreichen guatemaltekischen Tageszeitung Prensa Libre, durfte als erster Journalist einen kritischen Blick in das Ausbildungslager der Kaibiles bei Poptún in Guatemalas Nordprovinz Petén werfen. Auswahlverfahren und Ausbildung bei den Kaibiles sind extrem hart. Menoscal, der eine Woche lang einen Vorbereitungskurs in Poptún beobachten durfte, berichtet von Gewaltmärschen, die regelmäßig zu Kreislaufzusammenbrüchen bei den Teilnehmern führen, von Prügelorgien, mit denen die Schmerzresistenz getestet und gesteigert werden soll. Auch Folter gehöre zum Programm. Der Folter-Gruppe solle dadurch beigebracht werden, wie man sicher verlässliche Informationen erzwinge, der Gefolterten-Gruppe hingegen, wie man der Folter widersteht. Folter an den eigenen Kameraden, eine besonders sadistische Spielweise der Kaibiles. Auch außerhalb der Schule, bei den Übungen im Urwald, würden die Rekruten extremsten Situationen ausgesetzt: „Im letzten Kurs starb ein Rekrut beim Sprung von einem Felsen. Zuvor hatte die Gruppe Tag und Nacht Angriffe simuliert – mit scharfer Munition!“

Menschliche Kriegsmaschinen

Wer schwächelt, fliegt. Wer aber nicht schwächelt, ist äußerst gut gerüstet für den Kampf gegen Feinde, ob der Feind nun die eigene Bevölkerung ist, kongolesische Warlords oder Drogenhändler. Carlos Menoscal ist noch heute erschüttert vom Erlebten: „Das ist eine extreme, eine sehr gefährliche und äußerst rüde Ausbildung. Wer die übersteht, kommt mit einer anderen Mentalität da raus, erträgt ganz andere Sachen als vorher und ist bereit, äußerst skrupellos gegen Menschen vorzugehen.“ Genau das haben die Kaibiles vor allem in den 80er Jahren eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Denn vor allem ihnen werden schwerste systematische Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkrieges vorgeworfen. Dass sie an den Massakern an ganzen Dörfern nicht nur beteiligt, sondern diese auch eigenständig durchgeführt haben, steht für Menoscal außer Frage: „Ja klar, das waren kleine Einheiten und ihre Funktion war es Mann gegen Mann gegen die Guerilla zu kämpfen. Demnach kamen sie auch als erste in den Dörfern an. Sie waren die ersten, die der Zivilbevölkerung gegenüberstanden und ihr Auftrag war es ja, Informationen durch Folter zu gewinnen und der Guerilla Nachschubwege abzuschneiden.“ Menoscal bezieht sich dabei auch auf den REMHI-Bericht, der der Armee 90 Prozent der im Krieg begangenen Menschenrechtsverbrechen zur Last legt und dabei auf die besondere Rolle der Kaibiles ausdrücklich hinweist.
Doch trotz der zahllosen Verbrechen, die den Kaibiles zur Last gelegt wurden, legten die Friedensverträge von 1996 nicht die Auflösung der Eliteschule fest. Nur die Ausbildung der Kaibiles sollte geändert , den Friedenszeiten und dem neuen Menschenrechtsdiskurs angepasst werden. So gebe es heute Kurse, die über die Wichtigkeit internationaler Abkommen und die Universalität der Menschenrechte informierten. „Aber die Kaibiles sind immer noch Mitglieder einer Eliteeinheit, die für das Überleben ausgebildet werden und die, sobald sie wieder im Wald sind, erneut zu blutigen Kriegern mutieren, zu Experten in Sachen Angriff, Folter und Töten.
Dieser Widerspruch zwischen einer recht fundierten Ausbildung in Sachen Menschenrechte und dem nach wie vor bestehenden harten Drill, der aus Rekruten äußerst zähe, verschworene und skrupellose Mitglieder
einer effizienten Todesschwadron macht – dieser Widerspruch hat den Kaibiles nicht nur ihr Überleben in Friedenszeiten gesichert, sondern auch ihr internationales Renommee bis in höchste UNO-Kreise gesichert: Seit der Rehabilitierung der Kaibiles waren und sind Einheiten für UNO-Missionen in Haiti und in Kongo im Einsatz – in Friedensmission! Carlos Menoscal spricht von der Doppelzüngigkeit der UNO, die einerseits den Kaibiles schwerste Menschenrechtsverbrechen während des Bürgerkrieges zuweist, auf deren „Qualitäten“ sie aber gerade bei delikaten Einsätzen in unübersichtlichen Konflikten wie in Kongo heute nicht verzichten will.

Goldene Friedenszeiten

Dass kein einziger Angehöriger der Kaibiles bislang für die Gräuel des Bürgerkrieges zur Rechenschaft gezogen wurde, half der Einheit natürlich, diesen wundersamen Imagewandel zu vollziehen. Auch auf anderem Gebiet geht es den Kaibiles gut. Sie sind die einzige Militäreinheit Guatemalas, die nach dem Krieg keine Einschnitte verkraften musste, weder personell noch finanziell. Nach wie vor besteht das riesige Militärcamp im Petén, nach wie vor verfügen sie über die modernste Ausrüstung für bewaffnete Operationen zu Wasser zu Lande und in der Luft. 40 Prozent des gesamten guatemaltekischen Militärbudgets gehe wohl an die Kaibiles, schätzt Carlos Menoscal. Genaue Zahlen sind ein Staatsgeheimnis.
Es sind aber längst nicht nur die Friedensmissionen, mit denen die Kaibiles, das gesamte guatemaltekische Militär und somit Guatemalas Regierungen versuchen, das durch Militärdiktaturen ramponierte Image des Staates wiederherzustellen. Im Norden des Petén obliegt ihnen auch der Schutz der letzten Urwälder und der Kampf gegen die Narcos, die Drogenhändler. So spuckt die PR-Maschinerie der Armee regelmäßig Erfolgsmeldungen aus: Hier ein Drogennest ausgehoben, dort geheime Landebahnen gesprengt. Die Kaibiles sorgen also wieder für Recht und Ordnung in den unzugänglichen Regionen Guatemalas, sei die Botschaft, so Carlos Menoscal. Dabei würden auch Gemeinden vertrieben, die seien schließlich die soziale Basis der Narcos. „Fällt Euch was auf“, fragt Menoscal. „Früher wurden die Indígena-Gemeinden als soziale Basis der Guerilla bezeichnet“.

Idealbesetzung für Drogenbarone

Der Krieg, die Kaibiles und die Gegenwart. Da gibt es noch mehr Zusammenhänge. Die Narcos haben sehr viel Geld. Ein Kaibil verdiene etwa 110 US-Dollar im Monat, berichtet Menoscal, bis zu 10.000 Dollar würden dagegen für einen Job als Bodyguard herausspringen. Wer eine Ausbildung als Kaibil durchlaufen hat, ist für die kleinen und großen Drogenbarone eine Idealbesetzung. „Es liegt auf der Hand, dass ehemalige Kaibiles heute für das organisierte Verbrechen arbeiten, nicht nur in Guatemala, vor allem auch in Mexiko“, erklärt Menoscal. Der blutige Drogenkrieg derzeit in Mexiko trage ganz deutlich die Zeichen der Kaibiles. 15 Kaibiles im Ruhestand habe man bislang in Mexiko und an der guatemaltekisch-mexikanischen Grenze festgenommen, weil sie als Ausbilder für die Narcos fungierten.
Vor allem in Guatemala selbst ist die Handschrift der Kaibiles, die Handschrift des guatemaltekischen Völkermordes, tagtäglich zu erkennen. Eine schier endlose Reihe politischer Attentate und anderer Gewaltverbrechen trage die professionell präzise Handschrift der Kaibiles. Das weiß auch Lourdes Despenado, Forensikerin bei der Nichtregierungsorganisation Cafca, deren Aufgabe es originär ist, die Gewaltopfer des Bürgerkrieges zu identifizieren und ihre Leidensgeschichte möglichst genau aufzuzeichnen: „Ich glaube, die größte Ähnlichkeit zwischen damals und heute liegt in der exzessiven Gewaltanwendung, ausgeführt mit extremer Grausamkeit. Auch bei den Frauenmorden ist das festzustellen: der Einsatz von Hieben und Schlägen, von Stich- und Schusswunden in großer Anzahl. Und hinterher wirft man die toten, zerfetzten Körper einfach weg. Dieses Vorgehen zeigt vielleicht am deutlichsten die Ähnlichkeiten mit der systematischen Gewalt der Diktatur“.

Gewalt von heute trägt Handschrift der Kaibiles

Auch für Lourdes Despenados Chef, den Sozialpsychologen Julio Valdéz, ist die anhaltende Straffreiheit der Hauptgrund für die Gewaltexzesse der guatemaltekischen Gegenwart: Die Täter und die geistigen Urheber der Verbrechen des Krieges arbeiteten heute auf eigene Rechnung für das organisierte Verbrechen, andere für private Sicherheitsunternehmen und wieder andere – und das sei eigentlich das Schlimmste – weiterhin für den Staat: „Dieser Virus wurde nie bekämpft, stattdessen verließ er nach dem Friedensschluss die Kasernen und breitete sich über ganz Guatemala aus, griff sogar auf die Nachbarländer über.“
So steht Mord als Mittel der Problemlösung in Guatemala nach wie vor hoch im Kurs. Gerade einmal 2.000 Quetzales (circa 200 Euro) kostet ein Auftragsmord in der Hauptstadt. Das kann erheblich billiger sein, als die Behörden oder die Polizei zu bestechen und sicherer, als auf AnwältInnen oder gar RichterInnen zu vertrauen. Abner Paredes, Jugendsozialarbeiter beim renommierten Menschenrechtszentrum CALDH, sieht in den nach wie vor bestehenden autoritären Strukturen in Staat und Gesellschaft den Hauptgrund für die heutige Gewalt in Guatemala. Die Antwort des Staates auf die Probleme sei bis heute fast Null und beschränke sich fast ausschließlich auf repressive Maßnahmen, besonders gegenüber Jugendlichen: „Wir brauchen Sozialprogramme und Gewalt-Präventionsprojekte, wir brauchen Strukturen, in die sich gerade Jugendliche einbringen können. Und wir müssen endlich die Ursachen der Gewalt angehen.“
Doch daran hat kaum einer der politisch Verantwortlichen bislang irgendein Interesse gezeigt. Zu gut leben die Unternehmerschicht, die Militärs und das organisierte Verbrechen, die sämtliche Regierungen seit dem Friedensschluss beherrschten, mit einer zahnlosen Justiz, einer korrupten Polizei und einer immer noch eingeschüchterten Zivilbevölkerung. Gerechtigkeit wird es mit ihnen sobald nicht geben. Zumindest nicht kampflos, das führen die täglichen Morde allen anderen sehr deutlich vor Augen. Dafür werden nicht zuletzt die Kaibiles sorgen, die heutigen wie die ehemaligen.

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