Film | Nummer 416 - Februar 2009

Das weiße Gold Arayas

Weltpremiere der restaurierten Fassung eines Dokumentarfilmklassikers

Raphael Schapira

Auf der diesjährigen Berlinale wird die restaurierte Fassung des Films Araya Weltpremiere feiern. Nachdem der Film erstmalig 1959 in Cannes gezeigt wurde und dort sogar den internationalen Kritikerpreis gewann, konnte er bis heute nie einen Filmverleih finden und geriet somit in Vergessenheit. Nun feiert dieser Meilenstein der venezolanischen Filmgeschichte sein Comeback.
Inhaltlich erzählt der Dokumentarfilm von der unwirtlichen Halbinsel Araya im karibischen Nordosten Venezuelas, auf der die Menschen zum Überleben vollkommen auf das Meer angewiesen sind. Salz und Fisch sind die einzigen erwirtschaftbaren Produkte und bestimmen den Lebensrhythmus der Salzarbeiter und der Fischer vollkommen.
In atemberaubenden Bildern zeigt die Regisseurin Margot Benacerraf 24 Stunden aus dem Leben der Menschen auf Araya. Der Film berichtet von einer längst vergangenen Lebensform. Mit der Industrialisierung der Salzproduktion in den 1960er Jahren verschwand auch das Leben der Salzarbeiter in ihrer archaischen Form und die mit ihnen in Symbiose wirtschaftenden Fischer. Der Film wurde kurz vor diesem großen Einschnitt gedreht und hielt somit als wunderschönes Zeitdokument kurz vor ihrem Verschwinden die jahrhundertealte Lebensweise der Salzarbeiter und Fischer fest.
Benacerraf zeigt anhand von einer Fischer- und zwei Salzarbeiterfamilien den arbeitsamen Alltag der Menschen. Eine verwitterte Festung der Spanier thront über dem Fischerdorf und zeugt von einer Zeit, als Salz fast so kostbar so Gold war. Sie zeigt wie lange schon in dieser Gegend Salzabbau betrieben wird und wie damals erkämpfen sich die BewohnerInnen dieser Halbinsel das Leben durch ständiges Arbeiten.
Das Salz wird in Blöcken aus den Salzwiesen gehoben, an Land geschafft und zu Pyramiden aufgeschichtet. Ab neun Jahren ist ein Kind alt genug, um das Salz von den Kähnen in große Körbe zu schippen, die dann von älteren Arbeitern auf dem Kopf zu den meterhohen Pyramiden getragen werden. Auch die Fischer arbeiten gemeinsam und von früh bis spät. Zusammen werden die Netze ausgeworfen und von den Männern an Land gezogen. Die Frauen der Fischer verkaufen den Fang dann an die Frauen der Salzarbeiter. Ebenso wie bei den Männern ist der ganze Tag der Frauen mit Arbeit ausgefüllt. Vom Wasserholen zum Holzsuchen über Brustgeben hin zur Zubereitung des Essens. Zwischen der Wasserstelle, dem Wald und dem nächsten Dorf müssen viele Kilometer gelaufen werden und allein vom Zuschauen fühlt man sich bald müde, ausgelaugt und durstig.
Der Film wechselt zwischen dem Dorf und der Arbeit der Salzarbeiter und dem Dorf und der Arbeit der Fischer. Auf diesen vier Schauplätzen spielt sich ihr Leben ab und in zyklischen Wiederholungen bringt uns der Film das Gefühl der Zeitlosigkeit auf Araya nahe. So als würde sich nichts ändern. Im immergleichen Rhythmus von Arbeit und kurzen Momenten der Erholung spielt sich das Leben der Menschen ab und der sich nicht verändernde Ablauf der auszehrenden Tätigkeiten wirkt wie eine Ewigkeit unter der brennenden Sonne Arayas.
Araya wurde schon früh mit klassischen Arbeiten des Dokumentarfilms wie beispielsweise Man of Aran (1934) von Robert Flaherty verglichen. Bilder, Musik und der zeitweise poetische Kommentar sind ganz im Stile früher Dokumentarfilme und von herausragender Qualität. Allerdings liegt auch genau hier das Problem dieser Art von Dokumentation. Alles wird der Schönheit und Poesie der Bilder untergeordnet, ohne kritisch über das Gezeigte zu reflektieren. So erscheint selbst die Armut und die ausbeuterische und auszehrende Arbeit der Fischer und Salzarbeiter als erhaltenswert und von der monströsen Industrialisierung bedroht. Der dominierende Blick der Kamera weist damit den BewohnerInnen Arayas einen folkloristischen und untergeordneten Platz in der Beziehung zwischen BetrachterInnen und Betrachteten zu. Ousmane Sembènes brachte die Kritik dieser Filmweise auf den Punkt, als er dem berühmten Dokumentarfilmer Jean Rouch in den 1960er Jahren vorwarf, seine ProtagonistInnen wie Insekten anzuschauen.

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