Costa Rica | Nummer 334 - April 2002

Das Zweiparteiensystem bröckelt

Stichwahlen in Costa Rica

Nach jahrelanger Zweiparteienherrschaft hat eine dritte Partei Einzug ins Parlament Costa Ricas gehalten und macht nun den alteingesessenen Lagern die Wählerstimmen strittig.

Gregor Maaß

Am 7. April 2002 steht Costa Rica ein historisches Ereignis bevor. Erstmalig wird durch eine Stichwahl entschieden, wer in der neuen Legislaturperiode den Präsidentenstuhl besetzen darf. Beim ersten Urnengang am 3. Februar war es keinem der Kandidaten gelungen, die notwendigen 40 Prozent der Stimmen zu erlangen. Ein eindeutiges Ergebnis für eine der beiden großen Traditionsparteien wurde durch den großen Erfolg der im Dezember 2000 von Ottón Solís gegründeten Bürgerpartei PAC (Partido de la Acción Ciudadana) verhindert.
Bisher hatte ein stabiles Zweiparteiensystem für den beständigen Wechsel zwischen der sozialdemokratischen Partei der Nationalen Befreiung PLN (Partido Liberación Nacional) und der Partei der Christlich-Sozialen Einheit PUSC (Partido Unidad Social Cristiana) gesorgt. Das System galt als Garant für Stabilität und Wohlfahrt des oft als Musterbeispiel der Demokratie bezeichneten Costa Rica.
In der Tat sticht Costa Rica aus dem zentralamerikanischen Kontext heraus. In den letzten fünfzig Jahren entwickelten sich stabile wirtschaftliche Verhältnisse. Laut dem Human Development Index der Vereinten Nationen gehört Costa Rica im Jahr 2001 zur Gruppe der 48 Länder mit hohem Entwicklungsstand – mit einer ähnlichen Einstufung wie Polen. Der Beiname Costa Ricas als „Schweiz Zentralamerikas“ ist noch immer gängig, obwohl mittlerweile circa 20 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben. Auch auf politischem Terrain beschritt das Land interessante Wege. Das Militär wurde 1949 verfassungsrechtlich verboten, und mit der Neutralitätserklärung von 1983 konnte sich Costa Rica durch einen geschickten Schachzug der Vereinnahmung durch die USA im Nicaragua-Krieg entziehen.

Frischer Wind im Zweiparteiengefüge

Mit dem verkrusteten Zweiparteiensystem scheint in Costa Rica niemand mehr so recht zufrieden zu sein. Die Politik sei von Korruption zersetzt, schimpfen viele, die das Vertrauen in das eingespielte Gefüge aus PLN und PUSC verloren haben. Die Bürgerpartei von Ottón Solís versprach im Wahlkampf mehr Transparenz und den Kampf gegen die Korruption,und mit diesem Programm entwickelte sich der 47-jährige Ökonom zum wahren Senkrechtstarter. Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen erlangte er 26 Prozent der Stimmen (gegenüber dem PUSC-Kandidaten Abel Pacheco mit 39 Prozent und dem PLN-Kandidaten Rolando Araya mit 31 Prozent), und seine Partei PAC gewann 14 der 57 Parlamentssitze (PUSC 19, PLN 17).
Solís gehörte selbst ursprünglich der sozialdemokratischen PLN an, war als Planungsminister Mitglied der Regierung des Nobelpreisträgers Oscar Arias und saß von 1994 bis 1998 als Abgeordneter im Landesparlament. Erst mit der Gründung seiner eigenen Partei verließ er die PLN, deren Politik er seitdem als zu neoliberal kritisierte, und verkündete sein Ziel, Costa Ricas nächster Präsident zu werden.
Dieses Ziel hat Solís, dem häufig vorgeworfen wird, er betreibe mit seiner Bürgerpartei eine Ein-Mann-Show, jedoch verfehlt. Seine Enttäuschung darüber verhehlte er nicht und kündigte an, sich künftig mehr der Wirtschaft zu widmen.
Die Parteienlandschaft Costa Ricas hat sich durch Solís enorm verändert. Politik muss fortan neu definiert werden. Das alte Konzept von zwei angefeindeten Lagern greift nicht mehr. Verfügte die jeweilige Regierungspartei bisher stets über die absolute Mehrheit im Parlament und konnte ihre Projekte durchsetzen, ohne auf Mehrheitsverhältnisse Rücksicht zu nehmen, so fordert die neue Situation eine neue Streitkultur. Die Regierung wird in Zukunft ein neues Verständnis von Verhandlung, Kommunikation, Konsensfindung und vor allem Transparenz benötigen. „Das neue Mandat heißt Dialog“, schätzt ein Abgeordneter der PLN die neue Situation ein. Es bleibt zu hoffen, dass sich dieser Anspruch erfüllt.

Konsens erwünscht

Wer auch immer am 7. April zum neuen Präsidenten Costa Ricas gewählt wird, er wird viel Arbeit in Verhandlungen investieren müssen. Die nächste Regierung wird zu enger Zusammenarbeit mit dem Parlament gezwungen sein, und sollte auch bei Gruppen der Zivilgesellschaft Rückhalt suchen. In der parlamentarischen Zusammenarbeit gilt es nun, sich auf konsensfähige Themen zu konzentrieren. Wohl durch die Kampagne der Bürgerpartei von Ottón Solís angestoßen, erklärten Abgeordnete aller Parteien, sie wollen in der neuen Legislaturperiode gegen die Korruption im Lande vorgehen. Andere gemeinsame Interessensschnittpunkte sind die Kontrolle der öffentlichen Ausgaben, die Reduzierung der öffentlichen Schulden, die Steuerreform und die öffentliche Sicherheit.
Ein problematisches und sensibles Thema wird die Modernisierung der staatlichen Elektrizitäts- und Kommunikationsgesellschaft ICE sein. Bereits im März 2000 hatte die Regierung versucht, mittels eines Gesetzes die Türen für Privatkapital zu öffnen. Die Proteste waren jedoch so stark, dass dieser Schritt zurückgenommen werden musste. Während Teile des Parlaments inzwischen bereit sind, die Modernisierung auch unter staatlicher Regie anzugehen, streben andere noch immer eine Privatisierung an. Große Meinungsverschiedenheiten sind auch bei den Freihandelsverhandlungen mit Kanada zu erwarten. Die Bürgerpartei PAC hat bereits angekündigt, dass sie die aktuellen Verhandlungen nicht unterstützen wird, da bisher lediglich Vorteile für kleine Interessengruppen herausgearbeitet worden seien.

Politik? – Kein Interesse!

Bei der Stichwahl am 7. April ist wieder mit einer geringen Wahlbeteiligung zu rechnen, wie eine Umfrage der Universität Costa Rica (UCR) ergab. Vor allem die WählerInnen der PAC und AnhängerInnen kleiner Parteien werden es demnach am Wahltag vorziehen, zu Hause zu bleiben, so dass der Anteil der NichtwählerInnen um bis zu 16 Prozent ansteigen könnte. Bereits im Februar hatte die Wahlbeteiligung mit 31 Prozent NichtwählerInnen ihren Tiefpunkt seit 1958 erreicht.
Auf die Frage nach ihrem Interesse an Politik antworteten im Rahmen der Studie der UCR 62 Prozent der Befragten, dass sie wenig bis gar kein Interesse hätten. Kann Costa Rica damit noch seinem Ruf als Musterbeispiel für Demokratie gerecht werden? Wie auch immer die Stichwahl entschieden wird, Costa Rica hat aus diesen Wahlen einen Anstoß bekommen, um künftig die Demokratie durch neue Politikformen lebendiger zu gestalten und wieder mehr Interesse an der Politik zu wecken.

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