Nummer 377 - November 2005 | Zentralamerika

Dem Markt ein Schnäppchen schlagen

In Nicaragua und El Salvador kündigen linke Parteien verbilligte Erdöllieferungen aus Venezuela an

Der seit Monaten hohe Erdölpreis hat die Länder Zentralamerikas in eine Energiekrise gestürzt. Während die Regierungen sich weitgehend hilflos zeigen, haben die linken Parteien FSLN (Frente Sandinista para la Liberación Nacional) in Nicaragua und FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional) in El Salvador für ihre Länder den Abschluss von Energieverträgen mit Venezuela angekündigt. Dadurch soll die Lieferung von Erdöl weit unter Marktpreis sichergestellt werden. Kritik richtet sich neben Zweifeln an der Durchführbarkeit vor allem gegen den „politischen Charakter“ des Vorhabens.

Tobias Lambert

Die Nachfrage steigt mittlerweile wesentlich schneller als das Angebot. Seit Länder wie Indien und vor allem China angetreten sind, den auf dem endlichen Energieträger Erdöl basierenden Entwicklungsweg der industrialisierten Staaten nachzuahmen, bricht dessen Preis alle Rekorde. ExpertInnen sehen das Barrel Rohöl (159 Liter) in nicht ferner Zukunft die 100-Dollarmarke überschreiten.
In Zentralamerika hat der hohe Erdölpreis zu einer Energiekrise geführt, von der große Teile der Bevölkerung betroffen sind. Lediglich in Costa Rica und Honduras sind die Energiepreise staatlich reguliert. In Nicaragua kontrolliert der Staat noch die Gaspreise für die privaten Haushalte, während der Energiemarkt in El Salvador und Guatemala gänzlich liberalisiert ist. Die gestiegenen Benzinpreise führten in mehreren Ländern der Region zu teils tagelangen Protesten und Streiks von Bus- und TaxifahrerInnen. In Guatemala wurden die Fahrpreise in den Bussen bereits um etwa zehn Prozent angehoben. In El Salvador drohen die Transportunternehmen gar mit einer 30-prozentigen Erhöhung. Die nicht vereinheitlichten Taxipreise sind ohnehin schon merklich gestiegen. In Nicaragua, das einen hohen Anteil seines Energieverbrauchs durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe in Wärmekraftwerken produziert und daher von allen zentralamerikanischen Staaten am meisten unter dem hohen Ölpreis zu leiden hat, wurde sogar zeitweise der Strom rationiert.
Um die Folgen der Energiekrise in den Griff zu bekommen, diskutieren die Regierungen Zentralamerikas verschiedene Ansätze. Diese reichen von Sparappellen an die Bevölkerung und der Änderung der Arbeitszeiten zur Verhinderung von Staus über die zusätzliche Verwendung anderer Energieträger – wie beispielsweise dem aus Zuckerrohr gewonnenen Ethanol – bis hin zu der Subventionierung der Ölpreise.

Während die Regierungen nach Lösungen suchen…
Generell fehlt den Regierungen der Region aber sowohl das Geld als auch der Wille für eine dauerhafte Subventionierung. Die übrigen vorgeschlagenen Maßnahmen sind hingegen in ihrer Reichweite beschränkt oder – wie die notwendige Abkehr vom Erdöl – langfristige Projekte. Die derzeit einzige realistische Alternative für eine zumindest zeitweise Überwindung der Energiekrise wird in der Suche nach billigerem Erdöl gesehen. Die Idee ist weder neu noch unerprobt. Der 1980 im Zeichen der Erdölschocks der 1970er Jahre zwischen den Staaten Zentralamerikas sowie Mexiko und Venezuela unterzeichnete „Pakt von San José“ garantierte jahrelang die Lieferung von Erdöl zu Vorzugspreisen unter flexiblen Zahlungsbedingungen. Allerdings wird der Vertrag seit Jahren nicht mehr angewendet, eine Reaktivierung scheint unwahrscheinlich.
Einzig Venezuela ist derzeit dazu bereit, Erdöl zu präferenziellen Bedingungen zu exportieren. Liefert das Land doch bereits verbilligtes Öl nach Kuba und im Rahmen des Energievetrages Petrocaribe demnächst auch in 13 weitere Karibikstaaten. Wiederholt hat Venezuela angeboten, Erdöl zu Vorzugspreisen oder im Tausch gegen andere Güter ohne Beteiligung transnationaler Konzerne nach Zentralamerika zu liefern. Dem stehen die größtenteils neoliberalen Regierungen der Region allerdings äußerst skeptisch gegenüber. Sie wollen weder die USA, die den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez als Sicherheitsrisiko für die Region ansehen, noch die internationalen Erdölkonzerne verstimmen.

…spielt die Opposition die Venezuela-Karte
Während die Regierungen weiter nach Lösungen suchen, haben die linken Parteien FSLN (Frente Sandinista de Liberación Nacional) in Nicaragua und FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional) in El Salvador Initiativen gestartet. Sie machten sich ihre guten Kontakte zur venezolanischen Regierung zunutze, um nun – ohne Beteiligung der jeweiligen Regierung –mit dem Andenstaat Verträge über verbilligtes Erdöl auszuhandeln.
Am 19. September kündigte der sandinistische Bürgermeister von Managua, Dioniso Marenco, den baldigen Abschluss eines Energievertrags zwischen den FSLN-regierten Städten Nicaraguas und dem staatlichen Energiekonzern Venezuelas PDVSA (Petróleos de Venezuela S.A.) an. Dieser soll die Lieferung großer Mengen Erdöls zu bis 40 Prozent unter dem Marktniveau liegenden Preisen garantieren. Für die Durchführung soll ein gemischtes Unternehmen, bestehend aus den FSLN-Stadtverwaltungen und dem PDVSA, gegründet werden. Als Namen für das Unternehmen schlug FSLN-Führer Daniel Ortega „ALBA“ vor. In Anlehnung an die von Hugo Chávez propagierte Bolivarianische Alternative für die Amerikas (ALBA), mit der den Freihandelsplänen der USA ein auf solidarischen Wirtschaftsbeziehungen basierendes Integrationsmodell entgegengestellt werden soll. Laut Marenco werde Venezuela die Finanzierung von Installationen und Transport auf nicaraguanischem Boden übernehmen. Zum Vertrieb des Erdöls soll die staatliche Vertiebsgesellschaft Nicaraguas, Petronic, dienen. Die Einsparungen sollen zunächst ausschließlich dem Transportsektor zugute kommen.
Wenige Tage später zog der Führer der FMNL, Schafik Handal, nach und gab bekannt, man werde einen ähnlichen Vertrag für El Salvador unterzeichnen. Dieser beinhalte die Gründung eines Importunternehmens, das aus den von der FMLN regierten Stadtverwaltungen, mehreren Transportverbänden und dem PDVSA als mehrheitlichem Anteilseigner bestehen soll. Da in El Salvador kein mit Petronic vergleichbares staatliches Unternehmen für den Vertrieb von Erdöl existiert, ist auch die Bildung eines venezolanischen Tankstellennetzes in dem zentralamerikanischen Land im Gespräch. Die Einsparungen sollen sich, wie auch im Falle Nicaraguas, auf bis zu 40 Prozent belaufen.

Wann kommen die Verträge?
Trotz der rhetorischen Bestimmtheit von FSLN- und FMLN-PolitikerInnen wurde bisher weder ein Vertrag unterzeichnet noch existiert ein Dokument über die genauen Details des vermeintlichen Deals. Sprach der Bürgermeister von Managua am Tag der Verkündung eines baldigen Vertragsabschlusses noch davon, innerhalb von Tagen etwas zu unterschreiben, ruderte er kurz darauf zurück. Zwar hätten bereits einige Treffen mit dem venezolanischen Energie- und Erdölminister Rafael Ramiréz stattgefunden, ein konkretes Datum für den Vertrag gebe es aber noch nicht. Die Materie sei „sehr komplex“.
In El Salvador waren zunächst äußerst unterschiedliche Äußerungen zu vernehmen. Der Hauptkoordinator der FMLN, Medardo González, bezeichnete den Vertragsabschluss als eine Frage von Stunden, während andere von Wochen sprachen. Parteichef Handal ließ hingegen den genauen Zeitraum offen und sicherte lediglich den Abschluss eines umsetzbaren Vertrages vor Jahresende zu.
Von den Regierungen Nicaraguas und El Salvadors war nach Bekanntgabe der Initiative der linken Parteien zwar eine zaghafte Unterstützung der Pläne zu vernehmen. Zweifel an deren Durchführbarkeit sowie den Motiven Venezuelas ließen jedoch nicht lange auf sich warten. Lindolfo Monjarez, Sprecher des nicaraguanischen Präsidenten Enrique Bolaños, bemängelte die für solch einen Vertrag fehlende Infrastruktur des Landes.
Im Hinblick auf die für nächstes Jahr geplanten Präsidentschaftswahlen und die erneute Kanditatur des Sandinistenführers und Ex-Präsidenten Ortega bezeichnete der liberale Finanzminister Mario Arana die Initiative als „politische Handhabung, mit der Daniel Ortega als der Retter in der Energiekrise erscheinen soll“. Trotzdem signalisierte er die Zustimmung der Regierung in dieser Angelegenheit.
Auch der salvadorianische Präsident Antonio Saca von der ultrarechten ARENA (Alianza Republicana Nacionalista) sicherte die Unterstützung seiner Regierung zu: „Jede Initiative, die die Benzinpreise verringert, ist eine Initiative, mit der wir einverstanden sind.“ Dennoch äußerte er Zweifel am Zustandekommen des Vertrags, da bisher keine Einzelheiten bekannt seien.

Ölmultis zeigen sich unbesorgt
José Antonio Alfaro, Repräsentant von Esso in El Salvador, zeigte sich offiziell unbesorgt über die Initiative der FMLN und bezweifelte deren Durchführbarkeit: „Das ist nicht so einfach wie es erscheint. Dies ist ein Geschäft großen Umfangs und man müsste über die Infrastruktur verfügen, um den Import in ausreichenden Mengen durchzuführen, damit es rentabel ist.“
Andere salvadorianische PolitikerInnen kritisierten deutlich die politische Ausrichtung der Initiative. „Es ist völlig klar, dass es sich um eine politische Aktion handelt“, kommentierte der Fraktionschef der ARENA, Rolando Alvarenga, das Vorhaben. Parlaments- und Bürgermeisterwahlen finden im März 2006 statt.
Carlos Rivas Zamora, der kürzlich aus der FMLN ausgetretene Bügermeister San Salvadors, der das Amt nun als Mitglied der aus dem reformistischen FMLN-Flügel hervorgegangenen FDR (Frente Democrático Revolucionario) ausübt, äußerte sich ähnlich: „Wenn eine Beziehung zwischen einer Partei und einem Staat existiert, steht fest, dass man zeigen will, dass eine linke Partei eine Alternative der Macht sein könnte und das beeinflusst die Wahlen.“ Aufgrund des Parteiübertritts Zamoras würde die Hauptstadt zunächst nicht von einem Energievertrag mit Venezuela profitieren.
FMLN-Chef Handal wies die Kritik zurück. „Wieviel Zeit hätten sie [die PolitikerInnen der ARENA, Anm. d. Red.] gehabt, um den Eintritt in Petrocaribe zu erbitten! Was sie gemacht haben, ist zu verkünden, es sei eine Lüge, dass ein Land Erdöl zu günstigen Konditionen gewähre.“

Öl als politische Waffe?
Venezuelas Botschafter in Nicaragua, Miguel Gómez, versicherte, dass sein Land das Erdöl „nicht als politische Waffe, sondern als Faktor der Kohäsion und Solidarität“ verwende.
Jenseits der wirklichen Motive Venezuelas und der tatsächlichen Durchführbarkeit der Verträge mutet vor allem die Kritik aus den Reihen der rechten Regierungsparteien über den politischen Charakter der Erdölpläne geradezu grotesk an. Weisen diese doch seit Jahren weder finanzielle, logistische noch rhetorische Unterstützung der USA zurück. Dass Venezuela seinen Erdölreichtum einsetzt, um sein alternatives Integrationsprojekt ALBA voranzutreiben, ist da nur konsequent.
Tobias Lambert

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