Nummer 361/362 - Juli/August 2004 | Öffentliche Güter

Der Acuífero Guaraní: Ein unterirdischer Schatz

Info-Kasten zum Thema

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Stefan Thimmel

Der Acuífero Guaraní wird als eine der größten unterirdischen Süßwasserreserven der Welt an
gesehen. Er liegt in einer geologischen Formation, die das Flusssystem des Río Paraná, Río Uruguay und Río Paraguay einschließt und eine Oberfläche von 1,2 Millionen Quadratkilometern umfasst(zum Vergleich: die Fläche von Frankreich, Spanien und Portugal zusammen). Davon gehören 840.000 Quadratkilometer zu Brasilien, 226.000 zu Argentinien, 72.000 zu Paraguay und 59.000 zu Uruguay. Insgesamt wird in ihr ein Gesamtvolumen von 55.000 Kubikkilometern Süßwasser vermutet. Die jährliche Entnahme durch die circa 15 Millionen Einwohner in der Region wird auf ungefähr 200 Kubikkilometer geschätzt. Die Zone, in der die Hauptentnahme stattfindet, befindet sich im Dreiländereck zwischen Brasilien, Argentinien und Paraguay, der Triple Frontera.
Im Mai 2003 wurde in der uruguayischen Hauptstadt Montevideo, dem Verwaltungssitz des Mercosur, das „Projekt für den Schutz und die Nachhaltige Entwicklung des Systems Acuífero Guaraní“ vorgestellt. An diesem Forschungsprojekt, mit einer Laufzeit von vier Jahren und einem Gesamtbudget von 28 Millionen US-Dollar, sind neben den Regierungen von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay auch die Weltbank, der Globale Umweltfonds, die Organisation Amerikanischer Staaten und andere internationale Organisationen beteiligt. Ziel des Forschungsvorhabens ist die Bestimmung des Potenzials der Wasserreserve, die Entwicklung von Strategien zur Vermeidung von Umweltverschmutzung, „Nachhaltige Entwicklung“ und permanente Kontrolle.
Die Weltbank-Experten haben nämlich ihre Lektion gelernt. Nachhaltigkeit klingt um so vieles besser als Liberalisierung und Privatisierung. Mit dem Argument der nachhaltigen Sicherung der Reserven soll dem privaten Sektor der Zugang geöffnet werden und nur ausgewählte, kontrollierte Akteure werden integriert. Ausdrücklich genannt wird dabei der private Sektor.
Lange Zeit unbeachtet, richten auch die USA seit Ende 2001 unter dem Vorwand der Terrorismus-Bekämpfung ihr Augenmerk auf die Triple Frontera, in der viele arabische Immigranten (vor allem aus dem Libanon und Syrien) leben. Angeblich gibt es dort Operationsbasen von Hamas, Hizbollah und Al Qaida, vom Pentagon werden „Schläfer-Zellen“ ausgemacht und es soll laut USA „Geldwäsche“ für terroristische Aktionen im großen Stil betrieben werden.
Tatsächlich geht es aber nach Einschätzung vieler lateinamerikanischer UmweltaktivistInnen um die Kontrolle der strategisch wichtigen Süßwasserreserven: Der amerikanische Kontinent mit zwölf Prozent der Weltbevölkerung verfügt über 47 Prozent der weltweiten Reserven. Für die mexikanische Forscherin Ana Esther Ceceña ist die Triple Frontera für die USA daher „der Schlüssel zum politischen und militärischen Zugang zum Amazonas. Es ist die Grenze zwischen den beiden wichtigsten Staaten in Lateinamerika und eine Region mit einer großen Biodiversität und sehr großen Wasserreserven, die auch eine wichtige Energiequelle sein können.“
Neben der Sicherung und „Liberalisierung“ der Trinkwasserversorgung steht hinter dem verstärkten Engagement der USA und ihrer Partner in der Region auch das Interesse an dem enormen Energiepotenzial der Wasserreserve (Geothermische Energie). Ganz in der Logik der jüngsten Kriege und Interventionsversuche (Golfkrieg, Afghanistan, Irak, Venezuela) und im Einklang mit der Marschrichtung des US-Präsidenten George W. Bush („Wir müssen Maßnahmen unternehmen, um unsere Abhängigkeit vom Erdöl zu verringern“), wird an allen Fronten mobilisiert.
Die Vereinten Nationen sagen für das Jahr 2025 voraus, dass die Nachfrage nach Trinkwasser das Angebot um 56 Prozent übersteigen wird. Zwei Szenarien scheinen wahrscheinlich, wie mit diesem Problem umgegangen werden wird. Erstens, die Übernahme von Gebieten mit Wasserreserven durch transnationale Unternehmen und zweitens militärische Interventionen nach dem Vorbild des Irak-Krieges.
Das erste Szenario ist schon in vollem Gange: Die Privatisierung des Wassers. In den letzten zehn Jahren haben die großen Wassermultis wie Suez/Ondeo, Vivendi/Veolia oder RWE Thames Water weite Teile der Wasserversorgung weltweit unter ihre Kontrolle gebracht und es wird befürchtet, dass in circa 15 Jahren etwa 75 Prozent dieser Ressource von nur wenigen Monopolisten kontrolliert werden wird.
Nicht umsonst hat daher auch die US-Amerikanische NSF (National Science Foundation) ein Programm aufgelegt, um die gesamte Cuenca del Plata, wie die ein Viertel der südamerikanischen Landfläche überziehende Zone der Wasserreserven vom Amazonas bis zum Río de la Plata genannt wird, zu erforschen. Finanziert wird das ganze u.a. von Coca-Cola, gemeinsam mit Nestlé der weltweit größte Anbieter von Flaschentrinkwasser.
Auch für das zweite Szenario sehen lokale Umweltaktivisten immer mehr Anzeichen: Gegen die „verdeckte“ Militarisierung durch Militärs und Sicherheitsbehörden und die „Enteignung“ durch die internationalen Organisationen wird deshalb Ende Juni 2004 erstmals auf dem 1. Sozialforum Triple Frontera in der argentinischen Grenzstadt Puerto Iguazú mobilisiert. „Wir sind eine Art zukünftiger Irak“, so einer der Organisatoren des Forums. „Wir haben zwar kein Erdöl, dafür aber Wasser. Und sicher werden einige von uns von den USA zu Saddam Husseins erklärt werden“.

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