Nummer 299 - Mai 1999 | Peru

Der freie Fall der peruanischen Linken

Im Andenstaat existiert eine Vielzahl oppositioneller Gruppen – eine wirkliche Alternative besteht nicht

In den achtziger Jahren war Peru die Hoffnung der Linken in Südamerika. Die Izquierda Unida (IU) gewann bei Kommunalwahlen und spielte bei den Präsidentschaftswahlen eine entscheidende Rolle. Das politische Panorama im Jahr 2000 sieht jedoch grundlegend anders aus. Die Rechte wird die anstehenden Wahlen unter sich ausmachen. Heute gibt es kaum ein anderes lateinamerikanisches Land, in dem die Linke so schwach ist wie in Peru.

Rolf Schröder

Im Jahre 1981 wurde in Peru nicht nur die Kommunistische Partei auf dem Leuchtenden Pfad Mariáteguis, dem berüchtigte Sendero Luminoso, aus der Taufe gehoben, sondern auch die Izquierda Unida (Vereinte Linke, IU). Sie war der Zusammenschluß verschiedener Parteien der kommunistischen, sozialistischen und christlichen Linken. Ihre Option war der friedliche Weg zur Macht. Sowohl die IU als auch Sendero hätten ihr Ziel fast erreicht. Ein halbes Jahr vor den Präsidentschaftswahlen 1990 lag der IU-Kandidat Alfonso Barrantes in Meinungsumfragen knapp vor seinem Mitbewerber, dem großen Favoriten Mario Vargas Llosa. Zwei Jahre später überzog der Sendero Luminoso die Hauptstadt Lima mit einem derartigen Bombenterror, daß das politische System auseinanderzubrechen drohte. Heute ist von der legalen Linken weniger übrig geblieben als vom Sendero. Während der Leuchtende Pfad zumindest noch existiert und durch vereinzelte Aktionen auf sich aufmerksam macht, sind die Reste der IU zersplittert und zerschlagen. Dabei wäre eine starke linke Opposition im Kongreß bitter nötig, denn Präsident Fujimori und sein Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos regieren das Land mit diktatorischen Mitteln, zeichnen für gravierende Verstöße gegen die Menschenrechte verantwortlich und steuern einen rigiden neoliberalistischen Wirtschaftskurs.

Aufstieg und Fall – die Geschichte der IU

Die IU war gleich nach ihrer Gründung überaus erfolgreich. Ihre Kandidaten eroberten in mehreren Städten und Dörfern das Amt des Bürgermeisters. Auch bei den Parlamentswahlen erreichte die IU regelmäßig rund 25 Prozent der Stimmen. Alfonso Barrantes war für die IU Bürgermeister von Lima und wurde von der Bevölkerung wegen seines Einsatzes für eine Essenausgabe an die Armen liebevoll frijolito, „Böhnchen“, genannt. Bei den Präsidentschaftswahlen im Jahre 1985 wurde er Zweiter hinter Alan García von der „sozialdemokratischen“ APRA (Amerikanische Revolutionäre Volksallianz). Er verzichtete zugunsten Garcías auf den entscheidenden zweiten Wahlgang. Auch der APRA-Führer hatte sich eine „anti-imperialistische Politik“ auf die Fahnen geschrieben und unter anderem angekündigt, nur noch zehn Prozent der Deviseneinnahmen Perus für den Schuldendienst aufbringen zu wollen. Doch als Barrantes im September 1989 bei Meinungsumfragen für die erneut anstehenden Wahlen an erster Stelle lag, begann der unaufhaltsame Absturz der IU. Fünf Jahre später konnte der Kandidat der IU bei den Präsidentschaftswahlen, Agustín Haya de la Torre, nur noch ein einziges Prozent der Stimmen erringen.
„Mehr noch als der Fall der Mauer hat die Selbstzerfleischung der peruanischen Linken zu ihrem Niedergang beigetragen“, lautet das Urteil von Haya de la Torre heute. Wohl wahr, wenn man Revue passieren läßt, was seit 1989 geschah. Noch vor den Wahlen im Jahr 1990, bei denen Barrantes endlich das Präsidentenamt übernehmen wollte, kam es zur Spaltung. Barrantes gründete die Izquierda Socialísta (Sozialistische Linke) und wurde deren Kandidat. Die IU schickte Henry Pease ins Rennen. Als Folge kam keiner der beiden Kandidaten in den zweiten Wahlgang gegen Vargas Llosa, sondern ein bis dato im Ausland völlig unbekannter Außenseiter: Alberto Fujimori. Und der schaffte mit den Stimmen der Linken die Sensation. Der Fall der IU war damit nicht beendet. Eine kleine Gruppe innerhalb der IU war bereit, mit Fujimori zu kollaborieren. Der frisch gewählte Präsident nahm prompt einige Mitglieder aus der IU in sein Kabinett auf. Als diese nach der baldigen Verkündigung des neoliberalistischen Schockprogramms nicht von ihrem Amt zurücktraten, kam es erneut zum Streit. Im Jahre 1995 fürchteten bereits mehrere Abgeordnete, sie könnten auf der Liste der IU chancenlos sein, erneut ins Parlament einzuziehen. Unter anderem schlossen sich Gustavo Mohme, der Herausgeber der Oppositionszeitung Republica, Daniel Estrada, einst für die IU Bürgermeister von Cusco, und Henry Pease der Unidad Popular del Perú (Volksunion von Peru) des ehemaligen UNO-Genralsekretärs Pérez de Cuellar an. Barrantes hingegen gab ein erneutes Gastspiel: Er kandidierte zum dritten Mal im Namen der IU für das Präsidentenamt und trat drei Monate vor der Wahl wiederum zurück. Sein eingesprungener Vize Haya de la Torre konnte die fällige Wahlschlappe nicht mehr abwenden. Die IU war am Ende. Sie löste sich 1995, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, auf.

Chancen im Jahr 2000

Erbverwalter der IU sind die maoistische Gruppe Patria Roja (Rote Heimat), die einst moskautreue Partido Comunista del Perú (Kommunistische Partei Perus) und die Partido Unificado Mariateguista (Vereinte Mariateguistische Partei). Untereinander sind diese drei Gruppen zerstritten. Mit Javier Díez Canseco, dem Führer der PUM, und Orlando Breña konnten sich gerade noch zwei Abgeordnete ihren Platz im aktuellen Kongreß sichern. Doch keine der übrig gebliebenen Parteien hätte bei den Wahlen im Jahr 2000 die geringste Chance, nochmals einen der Ihren ins Parlament zu entsenden. Schon die Zulassung als Partei wäre schwierig, denn das Wahlgesetz sieht vor, daß jede Gruppe oder Partei dem obersten Wahlgremium, dem Jurado Nacional de Elecciones (JNE), die Unterschriften von vier Prozent der Wahlberechtigten vorlegen muß. Eine solche Anzahl auch nur annähernd zu erreichen ist utopisch. Patria Roja unternahm den Versuch eines Neuanfangs. Aus den Resten dieser Partei, zu deren Basis die einst mächtige Lehrergewerkschaft SUTEP zählt, hat sich ein Movimiento Nueva Izquierda (Bewegung Neue Linke) gegründet. Diese Bewegung soll die Keimzelle einer künftigen neuen Linken bilden. Unter Führung von Alberto Moreno beruft sich das MNI jetzt nicht mehr auf den vom Sendero hinreichend diskreditierten Maoismus und hat sogar mit einer Unterschriftenkampagne zu den Wahlen begonnen.
Angesichts der völligen Zersplitterung der Linken gibt es für die verbliebenen Gruppen und Einzelpersonen im Hinblick auf die Wahlen 2000 eigentlich nur eine Option: nach dem Vorbild von Pease, Mohme und Estrada den Anschluß an eine andere Partei oder Bewegung zu suchen. Die aussichtsreichsten Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 sind der amtierende Präsident Fujimori, der Bürgermeister von Lima, Alberto Andrade, und der ehemalige Präsident des staatlichen Peruanischen Instituts für Sozialversicherungen (IPSS), Luís Castañeda (siehe LN Nr. 298). Einzig Castañeda, der allerdings wie Andrade der politischen Rechten zuzurechnen ist, geht auf Distanz zur neoliberalistischen Wirtschaftspolitik der Regierung. Doch er hat bisher noch kein Wahlprogramm vorgestellt. Es bleibt offen, ob er bereit wäre, Linke in seine Parlamentsliste aufzunehmen.
Auch die UPP böte sich für einen Anschluß an. Sie wäre bereits als Partei zu den Wahlen zugelassen, da sie beim Urnengang 1995 auf über fünf Prozent der Stimmen kam. Javier Pérez de Cuellar, der Gründer der UPP, hat allerdings seinen Rückzug ins Privatleben angekündigt. Nicht zuletzt deshalb werden der UPP bei den Wahlen geringe Chancen eingeräumt. Schon bei den Kommunalwahlen im letzten Jahr kam sie nur auf etwa ein Prozent der Stimmen. Kein Wunder, denn die UPP hat als Oppositionspartei enttäuscht. Zwar konnten sich einzelne Abgeordnete aus ihren Reihen profilieren, die Partei als Ganzes aber nicht. In der Fraktion, in der auch konservative Abgeordnete vertreten sind, herrschte zu oft Uneinigkeit. Bislang ist nicht einmal klar, ob die UPP überhaupt eine Liste aufstellen wird.
Das Demokratische Forum, das sich im Rahmen der Unterschriftensammlung gegen eine erneute Kandidatur Fujimoris bildete, ist die Option von Javier Diéz Canseco und seiner PUM (siehe LN Nr. 297). Innerhalb dieser Bewegung sollen nach nordamerikanischem Vorbild Vorwahlen ausgeschrieben werden, um einen Präsidentschaftskandidaten zu bestimmen. Das politische Spektrum des Forums reicht bis hin zu Unternehmerkreisen. Einig ist man sich nur in der Opposition zu Fujimori. So war das Forum federführend an mehreren Protestkundgebungen und Streiks gegen die Regierung beteiligt. Kandidaten für die Vorwahlen sind Alberto Borea, der ehemals der Partido Popular Cristiano (Christliche Volkspartei) angehörte, und der Harvard-Absolvent Alejandro Toledo. Chancen auf die Präsidentschaft hätten beide nicht, doch ins Parlament könnte das Demokratische Forum wohl einziehen. Als letzter Bündnispartner bliebe die APRA. Die Partei des ehemaligen Präsidenten Alan García kann auf einen Wählerstamm von sieben bis acht Prozent zählen. Sie läd ehemalige Mitglieder der IU regelmäßig zu Gesprächsrunden ein und bietet ihnen an, auf einer gemeinsamen Liste für den Kongreß zu kandidieren. Der letzte Präsidentschaftskandidat der IU, Haya de la Torre, neigt ebenso zu dieser Option wie Alfonso Barrantes. Auch das MNI nimmt an gemeinsamen Gesprächen teil. Doch die APRA hat Probleme mit ihrer Vergangenheit. Die Regierung Alan García hinterließ im Jahre 1990 einen Scherbenhaufen: Das Land war im Bürgerkrieg versunken, die Wirtschaft bei einer Hyperinflation von nahezu 8.000 Prozent zugrunde gerichtet. Die Korruption trieb wilde Blüten. Alan García selbst mußte emigrieren, da gegen ihn in mehreren Fällen wegen Korruption, Veruntreuung und illegaler Bereicherung ermittelt wird. Ihm droht eine langjährige Haftstrafe. Dennoch setzte die APRA ihn in Abwesenheit auf Platz eins ihrer Kandidatenliste für den künftigen Kongreß. Damit bekäme García einen sicheren Abgeordnetenplatz und könnte bei einer Rückkehr zunächst Immunität genießen. Ob ehemalige IU-Mitglieder ihr Renommee verbessern können, wenn sie auf derselben Liste wie Alan García kandidieren, bleibt zu bezweifeln. Schließlich war die verheerende Bilanz der Regierung García einer der Gründe für den Niedergang der IU.

Die Zukunft der Linken

Die Linke in Peru ist nicht nur aus dem Parlament nahezu verschwunden. Auch die Gewerkschaften sind weitgehend zerschlagen. An den Universitäten, die noch in den späten achtziger Jahren eine Domäne der Linken waren, ist es still geworden. Zunächst hatte der Sendero dort versucht, alle politischen Gegner mit Drohungen und Gewalt zu verdrängen, dann wurden die wichtigsten staatlichen Hochschulen vom Militär besetzt. Während dieser Zeit konnte sich an den Universitäten kein demokratisches Leben entfalten. Selbst in Lima zogen die Militärs erst 1998 aus den wichtigsten staatlichen Universitäten ab. In den nach wie vor existenten Notstandsgebieten sind sie weiterhin präsent.
Unter dem Terror, den der Sendero Luminoso im Namen des Sozialismus säte, mußte die gesamte Linke leiden. Der Leuchtende Pfad überzog das Land mit einem Bürgerkrieg, der über 25.000 Peruaner das Leben kostete. Sein bewaffneter Kampf richtete sich auch gegen die IU: Mehrere ihrer Bürgermeister wurden ermordet. Eine wie auch immer geartete Linke wird sich erst langsam wieder neu entfalten können. Doch die kümmerlichen Reste der IU werden kaum der Motor einer solchen Entwicklung sein. Die APRA, mit Alan García an der Spitze, diskreditiert sich selbst. Vielleicht muß das Land erst wieder zur Ruhe kommen und sich demokratisieren. Mit dem Verschwinden Senderos aus dem öffentlichen Leben ist eine Voraussetzung dafür erfüllt. Jetzt muß noch die Auflösung der Notstandsgebiete, der Rückzug der Streikräfte in die Kasernen und die Abwahl des Duos Fujimori-Montesinos erreicht werden.
Die ersten Anzeichen von Widerstand gegen die Regierung zeigen sich in der Protestbewegung um das Demokratische Forum, zu der auch wieder StudentInnen zählen. Dennoch bleibt nicht nur Agustín Haya de la Torre skeptisch, was die Perspektive der Linken angeht. Deren Revitalisierung, so seine Prognose, sei nur möglich, wenn eine noch größere Wirtschaftskrise als die jetzige über das Land käme.

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