Bolivien | Nummer 283 - Januar 1998

Der große Quinoa-Raub

Patent auf Anden-Reis in ausländischen Händen

Zwei amerikanische ProfessorInnen besitzen das Patent für den bolivianischen Quinoa, den traditionellen ‘Anden-Reis’. Zumindest für einen speziellen Teil einer speziellen Sorte Quinoa. Vertreter von bolivianischen Quinoa-Bauern haben bei den Vereinten Nationen dagegen protestiert und werden dabei von Organisationen im In- und Ausland unterstützt.

Cora van den Berg

Zwei amerikanische ProfessorInnen besitzen das Patent für den bolivianischen Quinoa, den traditionellen ‘Anden-Reis’. Zumindest für einen speziellen Teil einer speziellen Sorte Quinoa. Vertreter von bolivianischen Quinoa-Bauern haben bei den Vereinten Nationen dagegen protestiert und werden dabei von Organisationen im In- und Ausland unterstützt.

Derzeit gibt es viele Diskussio
nen über das geistige Eigentum an lebendem Material. Patente sollen genetische Erfindungen gegen Kopien schützen. Darüber werden Verträge abgeschlossen, unter anderem innerhalb der Europäischen Union. Zahllose Organisationen in der ganzen Welt machen jedoch gegen diese Patente mobil.
Die Diskussion über Patentrechte spiegelt die Problematik der Beziehungen zwischen Norden und Süden wieder. Den reichen Industrieländern wird vorgeworfen, genetisches Material von Entwicklungsländern zu stehlen. Ursprünglich traditionelle Pflanzen werden von großen Saatgutfirmen aus den industrialisierten Ländern patentiert. Die Folge: Bauern in den südlichen Ländern können ohne Genehmigung kein Saatgut von ihrer eigenen Ernte verwenden, wenn es ein Patent darauf gibt. Man spricht auch vom Neo-Imperialismus und Biopiraterie.
Ein Beispiel für diese Entwicklung ist, sogenannte große Quinoa-Raub: Zwei amerikanische ProfessorInnen haben 1994 ein Patent auf eine bestimmte Quinoa-Sorte beantragt. Es handelt sich hierbei um eine sehr spezielle Form der Sorte ‘Apelawa’, die aus der Umgebung des Titicacasees in Bolivien stammt.
Der Vorsitzende des bolivianischen Vereins von Quinoabauern Anapqui, Luis Oscar Mamani, hat im Juni bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Unrechtmäßigkeit des Patents angeklagt. Er brachte seine Klage gegen das Patent als Mißbrauch der Menschenrechte vor den Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte. „Unsere Großeltern haben seit Hunderten von Jahren Quinoa für das extreme Andenklima und den dortigen Boden angebaut und veredelt. Die Techniken hierfür haben die Wissenschaftler aus Amerika nicht gefunden. Das Patent hat zur Folge, daß wir unser Quinoa nicht frei produzieren können, mit allen Folgen für die Lebensmittelproduktion,“ erklärte Mamani.

Information via Internet
Die Rural Advancement Foundation International (RAFI), eine internationale Nichtregierungsorganisation aus Kanada, machte zum ersten Mal die Öffentlichkeit auf dieses Patent aufmerksam. Ausgehend von einem Pressebericht im Internet hat die Organisation die Diskussion eröffnet. Der Pressebericht meldete: „Das ist ein erschütterndes Beispiel von Biopiraterie. Das Patent erhebt nicht nur Anspruch auf Apelawa-Quinoa, sondern auch auf alle anderen Kreuzungen, die von Apelawa stammen. Darunter fallen viele traditionelle Sorten, die in Bolivien, Ecuador und Peru angebaut werden. Der Export von Quinoa in die Vereinigten Staaten kann hierdurch erschwert werden. Die US-amerikanischen Wissenschaftler sehen in dem Patent eine Chance, Quinoa auf der nördlichen Halbkugel kommerziell anbauen zu können,“ so RAFI.
Sarah Ward, eine der US-amerikanischen ProfessorInnen und Besitzerin des Patents, bestritt über Internet die Angriffe von RAFI. Sie stellte nachdrücklich klar, daß das Patent in keiner Beziehung zu den Quinoa-Kulturen in Bolivien stehe. Das Patent betreffe nur ein sehr spezifisches Zytoplasma, das in der Apelawa-Sorte gefunden wurde und US-amerikanischer Herkunft ist. Die Patentrechte schließen keine Quinoapflanzen oder Kreuzungen ein, die nicht dieses Zytoplasma enthalten. Ward stellte auch in Abrede, daß das Patent kommerziellen Wert habe. Das genetische Material befinde sich im Gefrierschrank der Universität Colorado und diene keinem besonderen Zweck. Außerdem sei es nach US-amerikanischer Patentgesetzgebung unmöglich, daß ein Patentbesitzer den traditionellen Anbau oder den Import in die Vereinigten Staaten verhindern kann.
Die Aufregung um Quinoa ist nur ein Beispiel für die Diskussion, die um das internationale Patentrecht auf lebendes Material geführt wird. Für die genetische Forschung ist es notwendig, über möglichst viele Pflanzenarten zu verfügen. Eine unbedeutende Art kann plötzlich einen Millionenwert besitzen, wenn darin ein Gen mit Resistenzverhalten vorkommt. Immer mehr Saatgutfirmen patentieren deshalb genetisches Material aus Entwicklungsländern. Etwa 80 Prozent der Bauern in den Entwicklungsländern produzieren ihr eigenes Saatgut. Falls sie dies nicht für den weiteren Anbau der eigene Kreuzungen verwenden dürfen, da es patentiert ist, werden künftig nur noch kapitalstarke Betriebe in der Lage sein, Pflanzen weiter zu veredeln.
Jeroen Breekveldt von NoGen, einer Organisation, die ein Archiv über Biotechnologie verwaltet, sagte hierzu: „Unser Protest gegen das Quinoa-Patent ist eine frühzeitige Warnung. Dieses Patent ist ein weiteres Beispiel, daß der Westen sich der Kontrolle der Biodiversität in den südlichen Ländern bemächtigt. Die amerikanischen ProfessorInnen erklären jetzt, daß sie kein besonderes Ziel mit diesem Patent verfolgen, aber was werden sie morgen damit tun? Vielleicht wird dann ein Multi das Patent besitzen. Im übrigen ist patentiertes Pflanzenplasma nicht von der westlichen Wissenschaft erfunden worden. Es handelt sich um Kenntnisse, die über Jahrhunderte hinweg in der einheimischen Bevölkerung gewachsen sind. Sollten diese Völker nicht wenigstens eine Entschädigung für die Verwendung ihrer Kenntnisse erhalten? Das hat mit Gefühlen zu tun. Das Patentieren von einheimischen Material ist wie ein Schlag ins Gesicht. Sicherlich werden die Menschen in Lateinamerika denken: Ist nun endlich Schluß mit dem Raub unserer Reichtümer? Es geht um Respekt, um die Verfügungsgewalt über das eigene Land und die Lebenswelt.“
Im Grunde wurde schon immer genetisches Material aus den Entwicklungsländern in den Norden importiert, wie zum Beispiel die Kartoffel und der Mais. Viele Pflanzen, die heute in den Industrieländern wachsen, stammen ursprünglich aus Lateinamerika. Und die Freiheit, Pflanzenarten der Südhalbkugel im Norden zu züchten, wird auch weiter fortbestehen. Jedoch sollten von der Verwendung genetischen Materials aus autochthonen Züchtungen auch die Züchter aus den Entwicklungsländern profitieren.

gekürzt aus: Alerta, Oktober 1997. Übersetzung aus dem Niederländischen: Petra Wessels.

KASTEN

Was ist Quinoa?

Quinoa, auch Anden-Reis genannt, ist das wichtigste Grundnahrungsmittel in den Anden-Ländern. Es ist ein hirseähnliches Getreide und zweimal so nahrhaft wie Mais oder Reis. Quinoa wird auch in Europa und Amerika immer populärer. Der Export von Quinoa aus Bolivien ist in den letzten Jahren stark angestiegen. 1995 brachte der Export von Quinoa mehr als 1,5 Millionen US-Dollar ein, womit der Exportwert innerhalb der letzten fünf Jahre um das Fünffache gestiegen ist. Ein Drittel davon wurde in die Vereinigten Staaten exportiert, zehn Prozent nach Deutschland, weitere zehn Prozent nach Frankreich.

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