Kolumbien | Nummer 425 - November 2009

„Der Krieg gegen die Drogen zerstört die Demokratie!“

Interview mit der kolumbianischen Autorin Laura Restrepo

Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit Laura Restrepo während des 21. Literaturfestivals „Schwarze Woche von Gijón“ in Spani-en über die Bekämpfung des Drogenhandels und die Konsequenzen für die Demokratie.

Interview: Gabriela Salmón

Laura Restrepo wurde 1950 in Bogotá geboren und schrieb mit 36 Jahren ihr erstes Buch. Seitdem hat sie bedeutende Literaturpreise in verschiedenen Ländern gewonnen. Sie gilt als eine der wichtigsten kolumbianischen AutorInnen unserer Zeit. Sie gehört der 68er Generation an und engagiert sich im sozialen und politischen Bereich. Sie war Mitglied der Handelskommission des Friedens zwischen der Regierung und der Guerilla Gruppe M-19 und Direktorin des Kultur- und Tourismusinstituts in Bogotá. In ihrem neuesten Buch Demasiados Héroes (Zu viele Helden) geht es um die emotionale Suche eines Jugendlichen nach seinem Vater.

Wegen seines Drogenproblems spricht man in Mexiko häufig von einer „Kolumbianisierung“ des Landes. Glauben Sie an diesen „Effekt“?
Ich glaube das Problem Kolumbiens und Mexikos ist nicht die Droge an sich, sondern die Prohibition. Dieses Verbot ist sowohl Schuld an dem Geschäft als auch an dem Leiden, welches die Droge hervorbringt. Wenn Drogen einmal legalisiert würden und die Prohibition durch Erziehungskampagnen ersetzt werden würde, um die Einstellung der Jugendlichen zu Drogen zu verändern, würden sich viele Probleme Kolumbiens und Mexikos von ganz alleine lösen. Das soll nicht heißen, dass das Drogenproblem damit aus der Welt geschafft ist. Doch die Menge an Geld, die durch das Drogengeschäft in unser Land kommt, ist so groß, dass sich jeder interne Konflikt bis ins Unermessliche steigert und sich der Kontrolle egal welcher Regierung entzieht.
Es wäre leicht, einfach zu sagen, dass diese beiden Länder der Kern allen Übels sind. Das Problem ist jedoch vielmehr ein internationales – der Konsum der Drogen findet nicht in unseren Ländern, sondern vor allem in denen der sogenannten Ersten Welt statt. Schließlich ist es allseits bekannt, dass nur an die vier Prozent des Profits aus dem Drogenhandel nach Kolumbien und Mexiko zurückkehren, 96 Prozent bleiben außerhalb. Solange das Problem nicht aus globaler Sicht betrachtet wird und man sich darauf beschränkt, zwei lateinamerikanische Länder zu stigmatisieren, werden wir das Problem weiterhin mit uns herumschleppen. Der sogenannte Krieg gegen die Drogen bekämpft alles Mögliche, aber nicht das Drogenproblem – im Gegenteil, die Einnahmen durch das Drogengeschäft steigen stetig an. Diese Doppelzüngigkeit über Kolumbianisierung und Mexikanisierung soll in meinen Augen nur die Gewissheit verschleiern, dass das Verbot der Droge die eigentliche Ursache für die fürchterliche Gewalt ist – und das nicht nur in unseren Ländern.

Wie erklären Sie sich die religiöse Hingabe, mit der sich Drogendealer und Mörder ihren Heiligen hingeben? In einigen Ihrer Bücher behandeln Sie dieses Thema.
Es ist interessant zu sehen, wie in Kolumbien die Mafiosi „magisch“ genannt werden. Wenn eine Person ohne Geld am nächsten Tag mit einem Mercedes auftaucht, und fünfzehn Bodyguards mit UZI-Maschinenpistolen mitbringt, dann hat diese Person einen magischen Akt vollbracht. Die ganze Heuchelei darüber, wie der Drogenhandel entsteht, lässt das ganze Geschäft wie eine Geldbewegung mit magischer Eigenschaft erscheinen. Die Lügen über den Drogenhandel verbinden ihn mit dieser ganzen dunklen Welt, die nichts mit Rationalität zu tun hat. Und so haben die jugendlichen Kriminellen, die die Drogen in Kolumbien herstellen, einen Heiligen – den heiligen Ju- das – und in Medellín haben sie einen heiligen Ort. Allerdings wird dieser heutzutage weniger besucht, da die Zeit der plebejischen Mafia unter Pablo Escobar längst vorbei ist.

Sie haben einmal gesagt, dass Kolumbien wegen des Drogenproblems von der Landkarte verschwindet. Was meinen Sie mit „verschwinden“?
Immer wenn ich in die USA reise und die Möglichkeit haben, mit der Presse zu sprechen, sage ich: „Die Vereinigten Staaten werden Drogen früher oder später legalisieren müssen, genau so, wie sie es auch mit dem Alkohol getan haben“. Wenn das einmal geschieht, wird man sich an Mexiko und Kolumbien als Länder zurück erinnern, die an genau diesem Problem zu Grunde gegangen sind. Ich spreche deshalb vom Verschwinden als Nation, weil Territorien und Wahlen allein nicht ausreichen, damit ein Land existieren kann. Eine Nation ist ein Ort, an dem der Staat das Leben seiner Bewohner beschützt. In Kolumbien beschützt jedoch niemand das Leben der Bürger – im Gegenteil: In diesem Land gilt die Verteidigung den Tätern, nicht den Opfern. In Mexiko finden ähnliche Prozesse statt. Unter diesen Umständen droht die Demokratie zu verschwinden.

Wohin wird der Gebrauch von Milizen im Kampf gegen die Drogen Ihrer Meinung nach noch führen? Handelt es sich hier wirklich darum, gegen den Drogenhandel vorzugehen, oder den Milizen eine machtvollere Position zu verleihen?
Das Drogenproblem lässt sich nicht mit dem Militär beziehungsweise einer generellen Militarisierung lösen Im Gegenteil: Je mehr Hindernisse man erschafft, je mehr Truppen ins Feld geschickt werden, um den Drogenhandel zu verhindern, desto mehr Wert gewinnt damit auch die Droge und die Drogenhändler verdienen mehr. Und dabei sprechen wir noch nicht von den Militärs, die selbst in Drogengeschäfte verwickelt sind. In Kolumbien hat sich ein gewaltiger Militärapparat entwickelt, der tausende Opfer verschuldet hat und gleichzeitig das zentrale Drogenkartell darstellt.
Auch wenn keiner es offen sagt, denke ich, dass niemand in der Welt daran zweifelt, dass die eigentlichen Großhändler im Drogengeschäft in Kolumbien die Paramilitärs sind. Der Krieg gegen die Drogen funktioniert als Projektionsfläche. Nicht um das Problem zu lösen, sondern zur Kontrolle über das militärische Aufgebot.

In Mexiko passieren seit vielen Jahren grausame Frauenmorde. Glauben Sie, dass diese Frauenmorde Teil der Gewalt sind, die in Südamerika nun mal existiert oder ist das ein Geschlechterproblem?
Frauenmorde gibt es überall auf diesem Planeten. Vor Kurzen war ich in Jemen. Ich wurde von der NRO Ärzte ohne Grenzen eingeladen, um mir die somalischen Flüchtlingslager anzusehen. Gerade was die Gewalt gegen Frauen angeht, war diese Erfahrung sehr prägend. So sind die Vergewaltigungen von Frauen, die ihr Dorf verlassen, um woanders ein neues Leben zu beginnen, schon als systematisch zu bezeichnen. Es gibt praktisch keine weiblichen Flüchtlinge, die nicht missbraucht wurden. Wer also vorhat, einen weiblichen Flüchtling zu vergewaltigen, weiß, dass er es mit einer Unbekannten zu tun haben wird, die keine Papiere besitzt. Bei dieser Art von Verbrechen herrscht absolute Straflosigkeit. Damit erklären sich meiner Meinung nach viele der grausamen Morde an Frauen, die an der Grenze zwischen Mexiko und den USA stattfanden. Ich denke, es handelt sich um ein weit verbreitetes Problem, das überall in der Welt existiert und viel tiefgründiger ist, als wir bisher glauben.

// Interview: Gabriela Salmón
Übersetzung: Jenny Genzmer

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