Ecuador | Nummer 357 - März 2004

Der Meister der Metamorphose

Ecuadors Präsident Lucio Gutiérrez hat sich seine früheren Koalitionspartner zu Feinden gemacht

Wortbrüche, Skandale, die Weiterführung des neoliberalen Wirtschaftskurses und das Koalitionsende mit den Parteien der Indígenas und der linken MDP haben das erste Amtsjahr des Ex-Oberst Lucio Gutiérrez in Ecuador gezeichnet. Gewann er die Wahlen noch mit hehren Versprechen und linksradikalem Profil, könnte der Präsident nur ein Jahr später nicht konservativer agieren. Auf Kosten der EcuadorianerInnen und besonders zum Zorn der indigenen Bevölkerung, die sich betrogen fühlt und nun mobil macht.

Tommy Ramm

Der einst rebellisch auftretende ecuadorianische Präsident Lucio Gutiérrez hat in den ersten 13 Monaten seiner Amtszeit einiges von seinen Amtskollegen aus den Nachbarländern Peru und Kolumbien abgekupfert. Von dem Peruaner Alejandro Toledo die miserablen Umfragewerte und von Kolumbiens Präsident Uribe Vélez die tiefe Ergebenheit gegenüber den USA und ihrer Regionalpolitik. Mit gerade einmal 15 Prozent Zustimmung innerhalb der Bevölkerung schloss Gutiérrez sein erstes Jahr ab, was ihn zu einem der unbeliebtesten Präsidenten auf dem Kontinent macht.
Wie das? Gutiérrez nannte Ecuador gegenüber US-Präsident Bush den „kleinen Bruder der USA“ und strengte wie Uribe bilaterale Verhandlungen über eine Freihandelszone an, statt die südamerikanischen Handelsblöcke zu stärken. Mehrere öffentliche Ämter hat Gutiérrez mit Familienangehörigen besetzt, mit den einst verbündeten Indígena-Organisationen gebrochen und die neoliberalen Rezepte seiner gestürzten Vorgänger unbeirrt weiterverfolgt. Kurz gesagt: Gutiérrez scheint wie viele Präsidenten vor ihm in die Galerie derer aufgenommen werden zu müssen, die Wahlversprechen links liegen gelassen und sich in Rekordzeit von einem Hoffnungsträger in eine herbe Enttäuschung verwandelt haben. Während diese jedoch meist aus dem konservativen Lager stammten, hat Gutiérrez in dreister Weise sein politisches Erbe Lügen gestraft.

Bruch der Linkskoalition
„Gutiérrez hat die Indígenas und alle EcuadorianerInnen getäuscht und verraten, die ihn in seiner Wahlkampagne unterstützt hatten“, so Humberto Cholango, Präsident der Vereinigung des Quechua-Volkes. „Er hat versprochen, sich nicht in den kolumbianischen Konflikt einzumischen, die sozialen Investitionen in den Vordergrund zu rücken und sich gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik zu wehren. Er hat genau das Gegenteil gemacht.“ Bereits beim Amtsantritt am 15. Januar 2003 legte Gutiérrez den Grundstein für den kommenden Bruch mit der indigenen Partei Pachakutik und der marxistischen Bewegung MPD (Demokratische Volksbewegung). Während die Linksparteien zwar die meisten Ministerämter übernahmen, besetzte Gutiérrez Schlüsselpositionen wie das Finanz- und Außenhandelsministerium mit Personen, die eher eine neoliberale Linie verfolgen. Dadurch wurde die Kontinuität der Umsetzung des vom Internationalen Währungsfonds (IWF) verschriebenen Fahrplans zur Finanzpolitik gewährleistet: Ausverkauf der natürlichen Ressourcen, um die seit 2000 eingeführte Dollarisierung und die hohen Schuldenzahlungen zu stützen.
Für den Soziologen und politischen Analysten Alejandro Moreno entstand somit eine Regierung, in der permanent Kämpfe ausgetragen wurden. „Ein Kräftemessen zwischen völlig gegensätzlichen Strömungen“, so Moreno. Letztlich ausschlaggebend war die Position von Gutiérrez, der sich dafür entschied, Distanz zu Pachakutik aufzubauen. Nach nur 204 Tagen Teilnahme an der Regierung verließen sowohl die linksorientierten Indígena-Vertreter als auch die MPD ihre Ministerposten, und die Koalition brach.

„Kleiner Bruder“ der USA
Die Metamorphose von Lucio Gutiérrez, der noch im Januar 2000 eine von Militärs und Indígenas geführte linke Revolte gegen die neoliberale Politik angeführt hatte (siehe LN 308), nahm ihren Lauf. „Der Präsident suchte sofort eine Allianz mit der rechtsorientierten Christlich-Sozialen Partei und begrüßte plötzlich die geopolitischen Visionen der USA und des kolumbianischen Präsidenten Uribe in Kolumbien“, so Moreno.
Wie weit sich Gutiérrez dabei von alten Positionen entfernt hat, zeigen seine vergangenen Stellungnahmen. Bei Interviews im Mai 2001 forderte er als Ex-Oberst und im Stile eines militanten Linken „eine zweite Unabhängigkeit“ und rief zum Kampf gegen den „Neokolonialismus der USA“ auf. Sein ideologisches Konzept würde „auf einer nationalistischen, progressiven, humanistischen, gerechtigkeitsorientierten und revolutionären Tendenz basieren“, so Gutiérrez.
Knapp drei Jahre später ist davon nicht viel übrig geblieben. Für innenpolitischen Wirbel sorgte die Festnahme des hohen Kommandanten der kolumbianischen FARC-Guerilla Ricardo Palmera alias „Simón Trinidad“ am 2. Januar im Zentrum der ecuadorianischen Hauptstadt Quito. US-amerikanische und kolumbianische Geheimdienstler hatten offenbar freie Hand im Land, um Guerilleros aufzuspüren und dingfest zu machen. Hatte sich Gutiérrez noch vor Monaten gegen den Plan Colombia und die länderübergreifende Guerilla- sowie Drogenbekämpfung gewährt, scheint er nun diesen Widerstand wie viele andere Positionen aufgegeben zu haben.
„Wir wollen nicht, dass unsere strategischen Firmen verkauft werden. Wir wollen nicht unsere Währungssouveränität verlieren. Wir sind gegen einen Kompromiss Ecuadors im Plan Colombia, gegen eine Verletzung unserer Souveränität durch die US-Militärbasis in der Küstenstadt Manta, gegen die riesige Korruption in unserer Regierung“. Gutiérrez 2003 auf dem Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre.
Gutiérrez 2004: „Es ist notwendig, die öffentlichen Betriebe dem privaten Kapital zu öffnen und an der Dollarisierung festzuhalten.“ In Rekordzeit unterschrieb Gutiérrez mit dem IWF einen Vertrag, der die Schuldenzahlungen garantiert und den Staat als Agent für die internationalen Gläubiger einspannt. Dadurch hat die Regierung das „Länderrisiko“ für Ecuador auf internationalen Finanzplätzen zwar abstufen können, jedoch auf Kosten der Bevölkerung, die an den Folgen der Dollarwährung zu leiden hat. Die Handelsbilanz ist weiterhin negativ, einheimische Produkte sind im Ausland längst nicht mehr konkurrenzfähig. Der einzige „Glücksfall“ für das Land ist der nach wie vor hohe Erdölpreis, der den Staat vor der Zahlungsunfähigkeit bewahrt hat.

Schmutzige Spende im Wahlkampf
Dass die Zahlungsunfähigkeit von Gutiérrez selbst während seines Wahlkampfs kein Thema war, machte ein im November enthüllter Skandal deutlich. Der damals noch gegen Korruption und Vetternwirtschaft eifernde Gutiérrez unterhielt demnach enge Kontakte zu einem Familien-Clan, der in den Drogenhandel verwickelt war und ihm finanziell zur Seite stand. Wie der Präsident damit umging, steht symbolisch für sein erstes Amtsjahr.
Als ein Journalist ihn Ende November fragte, ob er zurück treten werde, wenn man ihm nachweisen würde, dass er sich mit Drogengeldern bezahlen ließ, zeigte sich Gutiérrez kategorisch. „Natürlich. So bestimmt es das Gesetz und ich werde mich danach richten“. Doch nur wenige Stunden später dementierte der Präsident seine Aussagen und attackierte scharf die einflussreiche Tageszeitung El Comercio, die ihn in Verruf gebracht habe. Das Blatt berichtete am 14. November, dass Gutiérrez Partei Patriotische Gesellschaft 21. Januar während des Wahlkampfs 30.000 US-Dollar von der Familie Fernández Cevallos entgegen genommen habe.
Der Skandal begann Ende Oktober, als die ecuadorianische Polizei in einer Großoperation das Familienmitglied César Fernández festnahm. Der Schmuggel von einer halben Tonne Kokain wurde dem ehemaligen Gouverneur der Provinz Manabí, der Wochen zuvor laut Gutiérrez noch „eine honorable Persönlichkeit“ war, zum Verhängnis. Und auch dem Präsidenten. Fotos, die ihn mit Fernández beim Wahlkampf zeigen sowie politische Veranstaltungen mit Angehörigen der Familie setzten Gutiérrez und sein Kabinett gehörig unter Druck. Der Tourismusminister Hernán Plaza trat zurück, nachdem er zugeben musste, das Flugzeug von César Fernández benutzt zu haben
Analysten sahen den Auslöser der Krise weniger in der Tatsache der nur teilweise bewiesenen Verstrickungen der Regierungspartei, sondern vielmehr im verbalen Schlingerkurs von Lucio Gutiérrez. „Der Präsident hat an Glaubwürdigkeit verloren, weil er die Kraft seines Wortes entwertet hat“, meint der politische Berater Luis Eladio Proano. „Er spricht jeden Tag und überall, widerspricht sich, macht die Presse für seine verbalen Ausrutscher verantwortlich und begeht den großen Fehler, zuerst zu sprechen und sich erst danach zu informieren.“
Hatte er den Vorwurf der Zeitung zunächst als absolut falsch bezeichnet und El Comercio mit juristischen Schritten gedroht, schaltete Gutiérrez einen Gang zurück, als bekannt wurde, dass der Informant der Zeitung aus seiner eigenen Partei stammte. „Es besteht die kleine Möglichkeit, dass jemand aus meiner Partei und hinter meinem Rücken Geld aus dem Drogenhandel angenommen hat“, gab der Präsident Ende November zu.
„Sollte bestätigt werden, dass während des Wahlkampfs Drogengelder geflossen sind, sind die Tage des Präsidenten gezählt“, meint Luis Torres von der Sozial-Christlichen Partei drohend. Zu einer ordentlichen Aufklärung des Falles kam es nie. Gutiérrez organisierte sich Anfang Januar eine Parlamentsmehrheit mit den Mitte-Rechts-Parteien. Damit waren die vorerst zufrieden und somit ruhig gestellt.

Die Macht der Waffen
Das funktionierte aber nicht bei den Indígena-Organisationen. Am 23. Dezember trafen sich im Sitz des Indígena-Dachverbandes CONAIE, der enger Verbündeter von Gutiérrez bei der Revolte im Jahr 2000 war, dutzende Gewerkschafter, Kleinbauernvertreter, Intellektuelle und linkspolitische Vertreter, um über mögliche Proteste gegen die Regierung zu beraten. Dabei wurde offen von der Möglichkeit gesprochen, den Präsidenten, wie schon etliche seiner Vorgänger, aus dem Amt zu jagen. Nach dem Austritt aus der Regierung hatten die indigenen Bewegungen zunächst ein halbes Jahr abgewartet und sich ruhig verhalten. In diesem Jahr scheint sich hingegen eine Protestbewegung gegen Gutiérrez zu formieren, die ihn zu Fall bringen könnte, wenn er seine Politik nicht grundlegend ändert.
Gutiérrez hat es geschafft, die Armut im Land auf einen Rekordwert von 80 Prozent steigen zu lassen, statt grundlegende Reformen einzuleiten. Hat der Mindestlohn im Jahr 2000 noch für einen halben monatlichen Warenkorb für eine Person ausgereicht, kann heute damit nur noch ein Viertel der Grundversorgung gedeckt werden. Die Folge: verbreiteter Hunger unter der Bevölkerung und eine explosive Stimmung im Land, die wie schon in den neunziger Jahren zu Revolten und Aufständen führen kann.

Auf Konfrontationskurs
Offenbar scheint Gutiérrez es aber auf eine Konfrontation anlegen zu wollen, mutmaßen die Indígena-Vertreter. So scheiterte etwa in der Nacht des 1. Februar ein Attentat gegen den CONAIE-Präsidenten Leonidas Iza, als dieser von einer Konferenz gegen das kontinentale Freihandelsabkommen ALCA in Havanna zurückkam. Zwei Männer versuchten ihn erfolglos umzubringen und verletzten dabei seine Söhne und die Ehefrau.
Die CONAIE machte die Regierung für das Attentat verantwortlich. Gilberto Talagua von der Pachakutik-Partei nannte „die diktatorischen und kriminellen Züge des Präsidenten“ als Ursache für den Mordversuch. „Gutiérrez selbst sagte, dass er allen Oppositionsgruppen die ganze Macht seiner Waffen zeigen werde“, so Talagua. Der Pachakutik-Abgeordnete Ricardo Ulcuango ging noch weiter und unterstellte Gutiérrez, paramilitärische Gruppen aufbauen zu wollen.
Demnach seien Napoleon Villa und Hernán Borba, Schwager und Cousin des Präsidenten, beauftragt worden, Sicherheitsfirmen und bewaffnete private Gruppen aufzubauen.

Protest ehemaliger Partner
Die Einschüchterungen zeigten keine Wirkung: Am 17. Februar riefen Indígena-Verbände zu landesweiten Straßenblockaden auf, die besonders im Tiefland den Verkehr lahm legten. Die Aktionen sollen solange weiter geführt werden, bis die Regierung eine Politikänderung einleitet oder Gutiérrez zurücktritt. Ansonsten – so Leonidas Iza – werden die Indígenas bis in die Hauptstadt vordringen und Quito zunächst symbolisch besetzen.
Gutiérrez dürfte wissen, was das für ihn bedeutet. Versöhnlich rief er an jenem 17. Februar zum Dialog auf und beschwor, seine „sozialpolitischen Schulden“ dieses Jahr noch zu begleichen. Vielleicht zu spät.

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