Dominikanische Republik | Nummer 456 - Juni 2012

Der Papá kommt nicht zurück

Sozialdemokrat Mejía verpasst die Rückkehr an die Macht

Die Partei der Dominikanischen Befreiung (PLD) sonnt sich in der erfolgreichsten Ära ihrer Geschichte: Zum dritten Mal infolge schaffte sie es bei den Präsidentschaftswahlen am 20. Mai, ihren Bewerber mit absoluter Mehrheit im ersten Wahlgang durchzusetzen. Ihr Kandidat Danilo Medina vermochte so Revanche gegen den Sozialdemokraten Hipólito Mejía zu nehmen, der ihn 2000 noch in die Schranken verwiesen hatte. Die Frustration über die prekäre soziale Lage vieler Bewohner_innen schlug sich in einer hohen Wahlenthaltung von 31 Prozent nieder, während die gespaltene Linke unter ferner liefen abschnitt.

Hans-Ulrich Dillmann

Sie mussten sich gedulden: die siegessicheren Anhänger_innen der Revolutionären Dominikanischen Partei (PRD). Nach Schließung der Wahllokale mussten sie 48 Stunden auf eine öffentliche Erklärung ihres Kandidaten Hipólito Mejía warten, den seine Gefolgsleute „Papá“ oder aufgrund seines Geburtsortes den „Schönen von Gurabo“ rufen. Erst am Dienstag nach dem Wahlsonntag wandte sich der 71-Jährige, der schon einmal zwischen 2000 und 2004 das Land regiert und an den Rand des Staatsbankrotts gebracht hatte, an seine Parteigänger_innen und die Bevölkerung. Er drückte sich bei seiner abendlichen Rede um klare Worte: Zum einen räumte er nicht unumwunden seine Niederlage bei der Präsidentschaftswahl ein. Und zum anderen benannte der Agrarwissenschaftler nicht beim Namen, was er und Mitglieder des Parteivorstandes seit zwei Tagen in der Öffentlichkeit angedeutet hatten: Beim Sieg des neoliberalen Gegners sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen. Ein übermächtiger von der (PLD) dominierter Staatsapparat habe sich mit Geld und einer Materialschlacht die Herrschaft über das Land gesichert.
Das Wort „Wahlbetrug“ nahm Mejía nicht in den Mund. Es wäre auch verwegen gewesen, zumal internationale und nationale Wahlbeobachter_innen zwar Probleme im Abstimmungsprozess konstatiert, der Wahl insgesamt jedoch einen ordentlichen Ablauf bescheinigt hatten. Laut offiziellem Ergebnis erhielt Danilo Medina von der PLD 51,21 Prozent während sich Hipólito Mejía mit 46,95 Prozent begnügen musste. „Im nationalen Interesse und um den Frieden zu bewahren“, erklärte sich der Unterlegene staatsmännisch, werde er „die Rolle des Oppositionsführers übernehmen.“ Die Realität konnte er nicht leugnen: Mejía war das zentrale Versprechen seiner paternalistisch mit dem Slogan „Llegó Papá“ („Papa ist da“) geführten Wahlkampagne schuldig geblieben: den Sieg.
Dieser sei absolut sicher, hatte er seit Monaten seinen Anhänger_innen immer wieder eingehämmert. Und die Lesart eines anderen Ergebnisses hatte er dabei immer mitbetont: „Nur ein Wahlbetrug kann uns noch aufhalten“, verkündete Mejía. Ein Gefolgsmann Mejías, der ehemalige Polizeichef des Landes, Pedro Candelier, schüttete sogar noch Öl in die Flammen, indem er offen mit Gewalt drohte. Die PRD-Mitglieder seien ausreichend bewaffnet, um „ihre Stimmen und den Wahlsieg zu verteidigen“, sagte er auf einer Pressekonferenz.
Für die Sozialdemokraten ist das Resultat der Präsidentschaftswahl der GAU. Und ob Mejía noch eine politische Zukunft in der Dominikanischen Republik unabhängig von seinem Alter hat, bleibt nach diesem Wahlausgang ungewiss. Die vollmundigen Ankündigungen des sicheren Sieges haben seine Glaubwürdigkeit ebenso beschädigt, wie sein „loses Maulwerk“ Wähler_innen bereits vor dem 20. Mai abgeschreckt hatte. Mal kommentierte der in ländlicher Umgebung geborene Mejía die Hintern von Oppositionspolitikerinnen, mal bescheinigte er den Haushaltshilfen, sie würden die Filetstücke aus dem Kühlschrank der Herrschaften klauen, um damit ihre Liebhaber zu füttern.
Außerdem war seine Bestellung zum Kandidaten innerparteilich nicht unumstritten. Parteichef Miguel Vargas Maldonado, der 2008 die Präsidentschaftswahlen gegen die PLD verlor, fühlte sich von seinen Konkurrent_innen bei der parteiinternen Kür düpiert. Für jeden sichtbar beteiligten sich er und seine Gefolgsleute nicht am Wahlkampf. Politische Beobachter_innen erwarten, dass es in den nächsten Monaten zu schweren Auseinandersetzungen über die weitere Ausrichtung und über die Führung in einer der ältesten Parteien des Landes kommen wird.
„Die Basis liebt den volkstümlichen Mejía mit seiner populären Art und Sprache, aber der Einfluss von MVM, (wie Maldonado genannt wird, Anm. d. Red.) innerhalb der Funktionärsschicht ist groß“, sagt ein ehemaliges Mitglied des Parteivorstandes. „Und finanziell hat er einiges zu bieten.“
Der PLD dagegen geht es so gut wie noch nie in ihrer Existenz. Zum dritten Mal hintereinander vermochte sie es, ihren Kandidaten mit absoluter Mehrheit im ersten Wahlgang durchzusetzen. Weil der derzeitige Amtsinhaber aufgrund der Verfassung nicht mehr antreten durfte, hatte sie nach einem Nachfolger gesucht und sich nach langem Ringen auf den nicht gerade als charismatisch geltenden Danilo Medina geeinigt – trotz seines Makels, 2000 gegen „Papá“ verloren zu haben.
Der nach zwei aufeinander folgenden Amtsperioden scheidende Staatschef Leonel Fernández wird Einfluss auf seinen Nachfolger haben. Denn an Medinas Seite wurde Margarita Cedeño de Fernández, die 47 Jahre alte Gattin von „Leonel“, zur Vizepräsidentin gekürt. Mit „Mamá“, wie die Juristin volkstümlich in Anspielung an Mejías „Papá“ gerufen wird, habe sich Medina auch die Unterstützung des Staatsapparates zu seinem Sieg gesichert.
Und die Maschinerie lief perfekt. Der 58-Jährige Jurist Fernández weihte eine neue U-Bahn in der Hauptstadt Santo Domingo, Schnellstraßentrassen, Tunnel, Hochstraßen und Schulen ein, die fast wöchentlich erfolgenden Erhöhungen der Benzinpreise wurden gestoppt, die von Stromabsperrungen und Wassermangel gebeutelte Bevölkerung erfreute sich auch am Abend über Licht und ausreichend Nass.
„Aber Medina wird einen Preis bezahlen müssen, für die Unterstützung“, sind sich politische Beobachter_innen sicher. Der Korruption wird er kaum Einhalt gebieten können, denn dann müsste er nach seiner Amtsübernahme am 16. August auch Mitglieder der derzeitigen Regierung vor Gericht stellen lassen. Und auch dem personell überbordenden Staatsapparat dürfte es nicht an die Substanz gehen. Allein im Superministerium gibt es 34 Staatssekretäre, die keinen umrissenen Aufgabenbereich haben.
In einem Land, in dem noch immer die Mehrheit der politischen Aktiven den Staat als Beute betrachten, nach dessen Eroberung man zuerst einmal die Anstrengungen dafür kompensiert bekommen muss, wird er erst einmal jene befriedigen müssen, die ihm zu seinem Sieg verholfen haben. Denn de facto ist die PLD bei der Wahl mit 37,5 Prozent eigenen Stimmen hinter den Sozialdemokraten gelandet. Nur weil die 13 im „Progressiven Block“ zusammengeschlossenen Verbündeten so erfolgreich Stimmen für Danilo Medina sammelten, schafften die „Morados“, wie sie wegen ihrer lila Parteifarbe genannt werden, den Sieg.
Für die Linke sieht es in der Dominikanischen Republik traurig aus. Zum wiederholten Male hatte sich die politisch aktive Minderheit im Lande nicht auf einen gemeinsamen Wahlkampf und Kandidaten einigen können. Das Linksbündnis Alianza País (AlPaís) schnitt noch am Besten ab. Guillermo Moreno, der vor Jahren unter „Leonel“ Justizminister gewesen und zurück getreten war, weil er bei der Verfolgung von Korruption massiv gehindert wurde, schaffte im Landesdurchschnitt 1,37 Prozent.
Medina muss nun seinen Obolus entrichten. Gemeinhin werden den am Sieg beteiligten Parteien und dessen einflussreichen Aktivist_innen die Auslagen vergütet – und die waren immens. Bei den Umzügen erhalten die meisten Teilnehmer_innen gewöhnlich Tagegelder zwischen acht bis zehn Euro, Verpflegung und T-Shirts. 4×4-Fahrzeuge wurden steuerbefreit unter den Verantwortlichen verteilt, dazu wurden hunderte Millionen Euros für Propaganda ausgegeben.
Um sich nicht in die finanziellen Karten schauen zu lassen, hatte die dominikanische Regierung zahlreiche Finanzabkommen mit ausländischen Geberstaaten zeitlich suspendiert. Vor allem hier wird Medina dicke Bretter bohren müssen, um die Geldgeber zu beruhigen und die Vorgaben des Internationalen Währungsfonds und der Internationalen Entwicklungsbank wieder erfüllen zu können.
Zwar verfügt die Dominikanische Republik abgesehen von Panama noch immer in Zentralamerika und der Karibik mit 4,5 Prozent über das höchste Wirtschaftswachstum, aber die Leistungsbilanz ist chronisch defizitär. Den über 13 Milliarden US-Dollar Ausgaben für Importe standen 2011 Exporte in Höhe von nur 3,7 Milliarden US-Dollar, Einnahmen aus dem Tourismus von 4,4 Milliarden US-Dollar und die 3,2 Milliarden US-Dollar gegenüber, die die ausgewanderten Dominikaner_innen ihren zurückgebliebenen Verwandten überweisen. Die Lohnveredelungsfabriken in den sogenannten Zonas Francas zahlen dagegen keine Steuern, die Einnahmen für das Land sind gering und außerdem ist die Zahl der Beschäftigten in den letzten Jahrzehnten stark auf heute gerademal 120.000 Arbeiter_innen zurückgegangen.
Die Versprechungen Danilo Medinas sind so vielfältig, dass Zweifel an der Umsetzbarkeit angebracht sind. Der 60 Jahre alte Volkswirt will „fortsetzen was gut, verändern, was schlecht war und machen, was noch nie gemacht wurde.“ Und da gibt es viel zu tun. Noch immer leben über 50 Prozent der Bevölkerung von Gelegenheitsjobs. Während die dominikanische Hauptstadt mit ihren unzähligen Hochhäusern, der einzigen U-Bahn in der Karibik und den klimatisierten Einkaufszentren, wie Staatschef Leonel Fernández Stolz verkündet, immer mehr ein „kleines New York“ wird, steigt die Armut in den Elendsvierteln der 3,5 Millionen Metropole. Die Säuglingssterblichkeit gehört zur höchsten, die schulische Bildung zur schlechtesten in der Karibikregion. Gerade mal zwei der anvisierten vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes werden für die Bildung ausgegeben. Und das Land hat sich zu einem der zentralen Drehkreuze für den Drogentransport in die USA und nach Europa entwickelt. An Baustellen fehlt es Medina nicht.

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