Film | Nummer 425 - November 2009

Der Papst in der Chipstüte

Der Dokumentarfilm El milagro del Papa (Das Papstwunder) entblättert einen mexikanischen Mythos

Unerklärliches Phänomen oder Gottes unsichtbare Hand – was ist eigentlich ein Wunder? In seinem Dokumentarfilm geht der El Salvadorianer José Luis Valle dieser Frage auf den Grund. Die Lateinamerika Nachrichten trafen den 31-jährigen Filmemacher auf dem 62. Filmfestival Locarno in der Schweiz.

Stephanie Rauer

Herón Badillo ist erst fünf Jahre alt, als er an Leukämie erkrankt. Er gilt als aussichtsloser Fall und da alle Chemotherapien nichts nutzen, ist der Papst die letzte Hoffnung der Eltern. Denn der kommt 1990 auf seiner ersten Mexikoreise auch in Hérons Heimat Zacatecas vorbei. Auf dem Flughafen verlässt seine Heiligkeit die protokollarische Route, steuert direkt auf den sichtlich kranken Jungen zu und berührt ihn an der Stirn. Es dauerte nur einen kleinen Augenblick, doch der Junge ist kurz darauf geheilt. Ein Wunder – für die Familie und die Kirche gibt es daran keinen Zweifel.
„Vor drei Jahren habe ich in der Zeitung zufällig einen Bericht über diesen Herón Badillo gelesen. Ich fragte mich, was wohl aus dem Kind von damals geworden ist. Und so begann die Suche nach ihm“, erzählt José Luis Valle am Rande des Filmfestivals in Locarno. Schon ein paar Tage später setzte er sich in ein Flugzeug in Richtung des mexikanischen Bundesstaats Zacatecas. In detektivischer Arbeit rekonstruierte der Filmemacher das Leben des „Papstwunders“, befragte Nachbarn, kirchliche Vertreter und die Familie. Langsam nähert er sich seinem Protagonisten und entdeckt ihn schließlich: Herón verdient sich sein Geld als Metzger, trinkt gerne mal einen über den Durst und hat einem Kumpel die Freundin ausgespannt. Ein völliger Durchschnittsmensch, erschreckend normal. Auch er hat sein Glück als mojado in den USA versucht, wie jeder zweite im Bundesstaat Zacatecas. Doch er kehrte zurück, weil ihm der Amerikanische Traum zu stressig gewesen war. „Seine Familie schämt sich beinahe für ihn. Die Eltern wollten, dass er Priester wird. Doch dafür war er nicht gemacht. Ihm ist einfach alles egal“, erzählt Valle im Interview.
Heróns Vater dagegen hat aus dem Wunder Kapital geschlagen. Er schrieb ein Buch über seinen Sohn und ging in die Politik. Herón jedoch hält nichts von dieser falschen Frömmigkeit und hat sich in seiner sarkastischen Art damit abgefunden, dass andere seine Geschichte zu Geld machen. Er ist ein Heiliger wider Willen. Und ist nicht einmal reich damit geworden. Ein „Schicksal“, dem er sich mit Gleichgültigkeit ergibt.
Valle zeichnet in dem 78-minütigen Dokumentarfilm ein oftmals satirisch komisches und kritisches Bild der mexikanischen Gesellschaft zwischen Religion und Korruption, in der es kein Widerspruch ist, wenn der Papst als Sammelfigur in Chipstüten verpackt wird. Hinzudichten musste er nichts – er versuchte einfach, die Realität für sich sprechen zu lassen. „Die Geschichte nimmt so überraschende Wendungen, man hätte sie nicht besser erfinden können“, lacht Valle, der 2005 seinen Abschluss in Film an der UNAM in Mexiko-Stadt gemacht hat. Mit visueller Experimentierfreude (Trickfilm, Zeitlupe, 360-Grad-Schwenks) und einer gehörigen Portion Humor gelingt es dem Regisseur, einen umfassenden Blick auf seinen Protagonisten zu werfen, ohne dass der wortkarge und oftmals tölpelig anmutende Herón sich dabei großartig in Szene setzen muss. Im Gegenteil – das Wunder selbst gerät mitunter völlig zur Nebensache in einem Alltag, in dem ein singender Bürgermeister, schlechte Rodeoreiter und bierdurchzechte Nächte die Hauptrolle spielen. Dabei kommen neben Heróns Familie, Freunden und Bekannten auch hohe Geistliche Mexikos zu Wort, wie etwa Kardinal Norberto Rivera. „Es gab zwar kein Problem mit Zensur, aber es dauerte ewig, bis ich das Okay für ein Interview bekam. Dafür gab es aber mit Heróns Familie Probleme. Die dachte, ich wolle mit dem Film Geld verdienen und ihren Teil vom Kuchen abhaben.“
In entwickelten Ländern sei Heróns Art der Leukämie in 90 Prozent der Fälle heilbar, verrät Valle am Schluss seines Films, ohne dabei die Kraft und die Charme des magischen Denkens zu zerstören. „Ich will kein Wunder entzaubern, ich möchte nur eine Geschichte erzählen“, verrät der Agnostiker. „Ich wollte mich der Person Heróns aus möglichst vielen verschiedenen Perspektiven nähern. Die Entmystifizierung des Wunders, die besorgen die Protagonisten und die Umstände schon selbst!“
Bis in die deutschen Kinos wird es El milagro del Papa wohl nicht schaffen, der Film wird aber nach Locarno sicherlich auch auf einigen deutschen Filmfestivals zu sehen sein.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren