Costa Rica | Nummer 287 - Mai 1998

Der Präsident der NichtwählerInnen

Die Sozialdemokraten stellen den neuen Präsidenten und die NichtwählerInnen werden die drittgrößte Kraft

Daß in Costa Rica alle vier Jahre ein neuer Präsident gewählt wird, ist nicht ungewöhnlich. Die Verfassung verbietet eine direkte zweite Amtszeit. Neu für die politische Landschaft ist der stetige Wechsel zwischen den Christlichsozialen und Sozialdemokraten. Eine Nachbetrachtung der Wahlen von Februar analysiert den Abschied vom Erbhof der Sozialdemokratie.

Jochen Fuchs

Costa Rica wird ab dem 8. Mai 1998 einen neuen Präsidenten haben: Miguel Angel Rodríguez vom christdemokratischen Partido Unidad Social Cristiana (PUSC). Er löst nach der Wahl vom Februar 1998 seinen Vorgänger José María Figueres vom sozialdemokratischen Partido Liberación Nacional (PLN) ab. Ein neuer Präsident alle vier Jahre ist an sich nicht ungewöhnlich in Costa Rica, das sich gerne selbstgefällig als die „Schweiz Mittelamerikas“ bezeichnet. Auch vor der Gründung der II. Republik vor einem halben Jahrhundert wurde das in der Verfassung enthaltene Verbot einer unmittelbaren Wiederwahl eines Amtsinhabers strikt beachtet.
Costa Rica ist nun definitiv nicht mehr der nahezu sichere Erbhof der Sozialdemokratie in Lateinamerika. War es vor den 80er Jahren lediglich zweimal rechten Parteien gelungen, die Spitze der Exekutive zu erobern, so wechseln sich seit der Präsidentschaft des Friedensnobelpreisträgers Oscar Arias (PLN) von 1986 bis 1990 die Kandidaten der beiden großen Parteien des Landes, PLN und PUSC, in schöner Regelmäßigkeit in der Casa Presidencial ab. Die Wahl des Christdemokraten Calderons im Jahre 1990 kann vom PLN nun nicht mehr als kleiner ‘Betriebsunfall’ interpretiert werden.
Bereits 1994 war es der sozialdemokratischen PLN nicht gelungen, die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten zu stellen. Der damalige Sieg ihres Kandidaten Figueres war weniger der Partei und einer ihr ‘in Treue fester’ Klientel zu danken, als vielmehr dem Umstand, daß jener sich erfolgreich als ‘Macher’ gerieren konnte und vom Nimbus seines Vaters ‘erleuchtet’ wurde, der nicht nur ‘Begründer’ des PLN, sondern auch mehrfacher Präsident des ‘Neuen’ (sozialdemokratischen) Costa Ricas war.

Talfahrt für den PLN

Die 98er Wahl wurde für den PLN zum Desaster: Die Präsidentenschärpe geht an ein PUSC-Mitglied, die Parlamentsfraktion verkleinert sich von 28 auf gerade noch 22 Diputados (also nur noch 40,4 und nicht mehr 49,1 Prozent der Sitze) und nur noch fünf von 81 Kommunalparlamenten werden in Zukunft von einer absoluten PLN-Mehrheit beherrscht werden. Bei diesen Zahlen wundert es nicht, daß es dem PLN in keiner der sieben Provinzen des Landes gelungen ist, die Mehrheit der Abgeordnetenmandate zu erringen.
Beließe man es bei dieser Betrachtung, so entstünde unweigerlich der Eindruck, die Pfleglinge der Konrad-Adenauer-Stiftung, die PUSC, hätten einen Sieg auf der ganzen Linie zu verbuchen gehabt. Doch weit gefehlt: zwar siegte Rodríguez mit 46,85 Prozent der Stimmen, doch sein Hauptgegner vom PLN, José Miguel Corrales, lag nur 2,41 Prozentpunkte beziehungsweise knappe 34.000 Stimmen hinter ihm.
Hinzu kommt, daß die christlich-soziale Union keine absolute Mehrheit im Parlament hat, sondern lediglich 27 von 57 Abgeordneten stellt und nur in knapp 46 Prozent der Cantones mit einer eigenen Mehrheit allein regieren kann.
Wer sind nun die eigentlichen ‘Gewinner’ der Wahlen von 1998? Die Gewinner sind zum einen die ‘Parteien’ der NichtwählerInnen beziehungsweise der Ungültig-Stimmenden. Diese steigerten ihren Anteil unter den wahlberechtigten BürgerInnen beim Kampf um das Präsidentenamt um mehr als 50 Prozent und konnten fast ein Drittel für sich verbuchen. Damit sind sie jetzt die neue ‘Dritte Kraft’, die nahezu so stark ist, wie jede der beiden bisherigen traditionellen Parteien PUSC und PLN. So stark wie im übrigen noch nie seit Ende der 50er Jahre. Damals reagierte man auf ein vergleichbares ‘Hoch’ dieser ‘Fraktion’ mit der Umdeklarierung des Wahlrechts in eine BürgerInnenpflicht. Eine Nichtbefolgung derselben zog und zieht allerdings keine Sanktionen nach sich. Dennoch war dieser Akt ausreichend, um seither eine hohe Wahlbeteiligung zu gewährleisten.
Zum anderen sind die Gewinner der Wahlen eine Reihe von Klein-, Kleinst- und Regionalparteien, die zusammen beim Kampf um das Präsidentenamt 8,8 Prozent der gültigen Stimmen errangen. Um ein Vielfaches größer war ihr Erfolg bei der Parlamentswahl: Fast 332.000 Stimmen entfielen auf KandidatInnen einer der bei der Wahl von Diputados angetretenen Kleinparteien, so daß nun nahezu jede vierte der überhaupt gültigen Stimmen (genau 23,9 Prozent) den beiden traditionellen Parteien vorenthalten wurde. Aufgrund der Stimmenverteilung auf eine solche Vielzahl von Parteien errangen sie allerdings nur gut 12 Prozent der Parlamentsmandate. Insofern wird ihr Gewicht im nationalen Parlament selbst weit unter ihrer gesellschaftlichen Relevanz liegen. Was die kommunale Ebene anbelangt, so ist hier die Situation eine andere: in 39 von 81 Gremien werden VertreterInnen aus ihren Reihen das Zünglein an der Waage darstellen, soweit es nicht zu Koalitionen oder Absprachen zwischen den beiden Großparteien kommt.

Zünglein an der Wage

Interessant dürfte sein, wie sich Rodríguez eine parlamentarische Mehrheit verschafft. Eine Möglichkeit besteht in einer intensiveren Zusammenarbeit mit dem PLN, was allerdings angesichts der Tradition des bipartidismo im Lande wenig wahrscheinlich ist. Denkbar ist auch der ‘Einkauf’ der fehlenden beiden Stimmen oder ein Regieren mit wechselnden Mehrheiten. Unabhängig davon, welchen der beiden Wege man gehen wird, eine Erhöhung des Ansehens der Parteien und Institutionen und des Vertrauens in diese ist von keinem derselben zu erwarten.
Zu klären bleibt allerdings, wie es zu einer solchen Situation gekommen ist. Die Krise des zentralamerikanischen Landes hat nicht erst gestern begonnen. Den zu ihrer Beendigung versuchten Rezepten blieb bislang ein allgemein überzeugender Erfolg versagt. Nachdem der PLN weitgehend abgewirtschaftet hatte, hatte man es mit dem ‘jungen’ Calderon von der PUSC versucht. Als der Junior, von 1990 bis 1994 im Amt, die in ihn gesetzten Erwartungen allerdings nicht erfüllte, erhielt der Sohn desjenigen, der einst mit Waffengewalt seinen Vater von den Schalthebeln der Macht entfernte, sein Sozialstaatsmodell aber übernahm und ausbaute, seine Chance, die er aber ebenso wie sein Vorgänger verspielte. Als Calderon und Figueres Mitte 1996 auch noch zu kooperieren begannen, hatte sich ein Bild herausgeschält, das auf folgenden Nenner gebracht wird: „Wenn die PRI in Mexiko ein Monster ist, so haben wir in Costa Rica auch eins, aber ein Monster, das sogar zwei Köpfe hat: PUSC und PLN.“

Viel Geld, wenig Erfolg

Der Wahlkampf trug wenig dazu bei, diesen Eindruck zu verwischen. Der jetzt gewählte Rodríguez hatte seine Kampagne seit Mitte ’96 weitaus professioneller angegangen als die potentiellen ‘Thronanwärter’ in den Reihen des PLN, die zudem untereinander stark zerstritten waren. Der PLN hatte zudem noch unter dem wachsenden Sympathieverlust ‘seiner’ Regierung Figueres zu leiden.
Berücksichtigt man allein die Quantität des bei der Wahlschlacht eingesetzten Materials, so hätte der PUSC eigentlich einen haushohen Sieg davontragen müssen: in den ersten sechs Monaten 1997 gab die Partei mehr als 123 Millionen Colones – und damit fast dreimal soviel wie der PLN – für Fernsehwerbung aus. Sie verdoppelte in den letzten drei Monaten diese Summe sogar noch und übertrumpfte so den Gegner um mehr als das Zehnfache. Allein die WählerInnen honorierten diese Anstrengungen finanzkräftiger Kreise hinter dem PUSC nur bedingt.
Mehr als die Hälfte der im Rahmen einer länderver- gleichenden Studie in Costa Rica Befragten mochten den Parteien auch nicht nur das geringste Vertrauen entgegenbringen, was im Vergleich zu den anderen zentralamerikanischen Ländern diesem ‘Hort der Demokratie’ einen Spitzenplatz auf der negativen Rangliste beschert. Auch gegenüber dem Parlament und der Regierung sind in Costa Rica die Vorbehalte so groß wie in keinem seiner Bruderländer.
Insofern war es fast gleichgültig, mit welchen Themen man hausieren ging, und nur folgerichtig, wenn zunehmend an die Gefühle der Umworbenen appelliert wurde. Der PLN beschwor seine Dekade del oro während der Gründungszeit der II. Republik, der PUSC die wenigen Heroen des Landes aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und die allseits geliebte Virgen de los Angeles. Beide Präsidentschaftskandidaten gerierten sich als brave Söhne ihrer Kirche, um so wenigstens den Glanz einer angesehen Einrichtung auf sich abstrahlen zu lassen.
Ansonsten war der Wahlkampf nicht nur arm an Inhalten, sondern noch ärmer an Konzepten. Wurde die Wahl in früheren Zeiten nicht ‘nur’ als staatsbürgerliche Pflicht vollzogen, sondern enthusiastisch als „FIESTA cívica“ gefeiert, und zwar nicht ausschließlich von oben, wurde sie nun von den BürgerInnen in einer Art und Weise durchgezogen, als ob es darum ginge, ob man lieber Skylla oder Charybdis den Untergang verdanken will.
Zum Schluß noch eine gute Nachricht: die Repräsentanz der Frauen ist zwar noch weit entfernt davon, als angemessen bezeichnet zu werden, gleichwohl war sie noch nie so gut wie heute. Konnte bis in die 70er Jahre hinein mit zwei Ausnahmen allein der PLN überhaupt Frauen in seinen parlamentarischen Reihen aufweisen, so ist der Frauenanteil in politischen Ämtern bei beiden Großparteien inzwischen auf nie gekannte Höhen geklettert. Beim PLN verfügen Frauen über 26,1 Prozent der Mandate, beim PUSC sind es immerhin noch 18,5 Prozent, so daß nun auf 11 von 57 Parlamentssesseln Frauen sitzen. Noch überraschender aber ist, daß nicht nur beide StellvertreterInnen von Rodríguez Stellvertreterinnen sind, sondern daß dies auch bei einem PLN-Sieg nicht anders gewesen wäre.Man darf gespannt sein, inwieweit diese Entwicklung einen positiven Einfluß auf den weiteren Verlauf der Dinge haben wird.

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