Literatur | Nummer 227 - Mai 1993

Der Vorfahre

Susan Drews

Sein größter Wunsch ist es die “Neue Welt” zu sehen. Er, der inzwischen alte Mann, schreibt die Erlebnisse seiner Jugend auf.
Als Waise und auch sonst ohne Bindungen, läßt er sich im Alter von 15 Jahren auf einem Schiff anheuern, welches die Reise zum unbekannten Kontinent antritt. Nach monatelangem endlosen Meer kommt das Schiff irgendwo in Amerika an.
Sie werfen Anker an einem einsamen, schönen Strand, gehen an Land und sind fasziniert von der Schönheit und Unberührtheit der Natur. Vertieft in diesen Anblick, wird ihm im gleichem Moment bewußt, daß er allein ist.
Die Mannschaft liegt mit Pfeilen durchbohrt um ihn herum. Nur ihn haben sie verschont, sie, die IndianerInnen.
Sie nehmen ihn mit, und er wird bei ihnen zehn Jahre seines Lebens verbringen.
Sie sind Kannibalen. Sie essen auch seine toten Kameraden auf und fallen anschließend in einen Rausch der exzessiven Triebauslebung.
Einmal im Jahr wiederholt sich dieses Ritual. Sie gieren auf Menschenfleisch und mit dem Genuß des Fleisches werden alle niederen Gelüste in ihnen wach. Den Rest des Jahres sind sie dagegen ordentlich, sittsam und zurückhaltend, als schämten sie sich für ihr Tun.
Nach einem Jahrzehnt schicken sie ihn, den sie Def-ghi nennen (und der ansonsten in dem Buch keinen Namen hat) zurück zu den Weißen. Doch er findet sich nicht mehr zurecht in der “Zivilisation”. Die Welt der IndianerInnen bleibt für ihn bestimmend. Er trauert ihr nach, denkt viel an diese einmalige Landschaft und an diese merkwürdigen IndianerInnen.
Leider blieb mir blieb mir als Leserin völlig unklar, warum dies so ist. Während der Autor in Naturbeschreibungen schwelgt, die kein Ende nehmen wollen, ist die Darstellung der IndianerInnen sowohl abstoßend, unverständlich und ärgerlich. Dumm sind sie, eingebildet und einfältig. In ihren “Rauschtagen” werden sie nur von animalischen Trieben beherrscht, denen sie so bedingungslos unterworfen sind, daß sie für ihre Lust sogar sterben. Die übrige Zeit scheinen sie von Reue geprägt zu sein und verfallen in übertriebene Prüderie, Putzsucht, Wortlosigkeit und geheuchelte Freundlichkeit .
Der Autor beschreibt den Menschenfleisch-Verzehr, wie auch die anschließende Orgie mit einer Obszönität und Brutalität, daß mensch meint, einen verkappten Porno oder das “Kettensägen-Massaker” erwischt zu haben.
Dieses Buch ist nicht leicht zu klassifiezeren. Es will mystisch und exotisch sein und ist dann wieder völlig banal und platt.
Ich fand es einfach ärgerlich.

Juan José Saer, Der Vorfahre, Serie Piper, München, 1993, ISBN 3-492-11691-4

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