Kolumbien | Nummer 390 - Dezember 2006

Der Weg der Gewalt

Die Friedensverhandlungen zwischen Regierung und FARC sind in weite Ferne gerückt

Nach einem schweren Bombenanschlag hat Kolumbiens Präsident Uribe die Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch mit der FARC-Guerilla abgebrochen. Er kündigte stattdessen an, den Krieg gegen die Aufständischen auszuweiten und die Geiseln mit Gewalt zu befreien.

Sven Schuster

Bei einem verheerenden Anschlag auf die Hochschule der Armee in Bogotá kamen am 19. Oktober 23 Soldaten ums Leben, große Teile des Gebäudes wurden zerstört. Da es sich bei dem Militärkomplex im Norden der Hauptstadt um eine der am besten bewachten Einrichtungen des Landes handelt, kamen eigentlich nur die „professionellen Terroristen“ der linksgerichteten FARC-Guerilla in Betracht. So zumindest die Überzeugung des kolumbianischen Vizepräsidenten Francisco Santos: „Ich kann mir nur vorstellen, dass es sich bei diesen Herrschaften um die Anhänger der FARC handelt“.
Am Tag darauf fiel die Rede des Staatspräsidenten Álvaro Uribe noch heftiger aus, als von den meisten BeobachterInnen erwartet. Denn mehr als fünf Monate blumiger Friedens- und Verhandlungsrhetorik waren mit einem Mal weggewischt. Er könne „die Farce der Verhandlungen über den Gefangenenaustausch“ nicht mehr fortführen, entfuhr es ihm. Schließlich habe man es bei den FARC mit „verlogenen und feigen Terroristen“ zu tun, die seit jeher einen „doppelten Diskurs“ führen. Daraufhin richtete er sich direkt an die Führungsspitze der FARC, der er vorwarf, sich „feige“ in den Nachbarländern Venezuela und Ecuador zu verstecken.

Sturm des Protestes

Schon kurz nach Bekanntwerden des Verhandlungsabbruchs mobilisierten sich die ersten Opferverbände und Menschenrechtsgruppen. Yolanda Pulecio, die Mutter der im Jahre 2002 von den FARC entführten Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, warf dem Präsidenten vor, nicht nur mit dem Leben ihrer Tochter zu spielen, sondern auch staatliche Abkommen zu brechen. Sie wies darauf hin, dass Kolumbien mit Spanien, der Schweiz und insbesondere Frankreich mehrere Vereinbarungen getroffen habe, die eine militärische Befreiung der über 3.000 FARC-Geiseln verbieten. Der von den Rebellen geforderte Gefangenenaustausch sei die einzig realistische Möglichkeit, das Leben der Geiseln zu retten. Denn vergangene Befreiungsaktionen hätten meistens den Tod der Entführungsopfer zur Folge gehabt.
In die gleiche Richtung ging auch der Protest von über 300 Angehörigen einer Gruppe entführter Lokalpolitiker aus dem Departement Valle del Cauca. Vor der Stadtverwaltung in Cali legten sie Hunderte schwarzer Plastiksäcke nieder, auf denen ein Schild mit der Aufschrift „befreit“ prangte. In Bogotá und Medellín kam es ebenfalls zu Protestaktionen.

Druck aus Frankreich

Doch nicht nur aus der Zivilgesellschaft, sondern auch von staatlicher Seite musste sich Uribe reichlich Kritik anhören. Unter anderem verurteilte der französische Außenminister, Philippe Douste-Blazy die Entscheidung der kolumbianischen Regierung und betonte, dass eine friedliche Lösung auch im Interesse des französischen Staatspräsidenten liege. Das besondere Engagement der französischen Regierung in der Frage des Gefangenenaustausches erklärt sich daraus, dass die entführte Ingrid Betancourt neben der kolumbianischen auch über die französische Staatsbürgerschaft verfügt. Dank französischer Vermittlung schien ein Kompromiss zwischen kolumbianischer Regierung und Guerilla bis zum 19. Oktober noch möglich. Vorgesehen war, 58 Geiseln der FARC, darunter Ingrid Betancourt, gegen 500 gefangene Rebellen auszutauschen.
Trotz der öffentlich zur Schau gestellten Entrüstung des Präsidenten und seiner Hasstiraden gegen die FARC ist noch nicht erwiesen, ob die Guerilla wirklich hinter dem Anschlag steckt. Obwohl nach dem 19. Oktober noch einige kleinere Bomben explodierten (am 28. Oktober in Villavicencio; am 3. November in Fusagasugá), die dem militärischen Geheimdienst zufolge ebenfalls die Handschrift der FARC trugen, melden zahlreiche BeobachterInnen Zweifel an. Nachdem die kolumbianische Armee in den vergangenen Monaten durch eine Serie gefälschter Attentate in Misskredit geraten war (siehe LN 389), hat das Vertrauen in die Streitkräfte rapide abgenommen. So liegen auch bei dem Anschlag gegen die Hochschule der Armee keine schlagkräftigen Beweise vor. Die Generäle behaupten zwar, einen Anruf des FARC-Kommandeurs Jorge Briceño, alias „Mono Jojoy“, abgefangen zu haben. Jedoch hat der zuständige Staatsanwalt Mario Iguarán nach eigener Aussage davon keine Kenntnis.

Seltsame Vorkommnisse

Ebenfalls seltsam ist, dass von dem mutmaßlichen Täter vier vollkommen verschiedene Phantomzeichnungen existieren und er scheinbar ungehindert in das von mehreren Sicherheitsringen umgebene Gelände eindringen konnte. Die Armee begründet dies mit einer technischen Panne in der Kamera-Überwachungsanlage sowie der Tatsache, dass es sich ja auch um vier „völlig verschiedene“ Zeugen handeln würde.
Präsident Uribe reichten diese „Beweise“ offenbar aus, um im Fernsehen zu verkünden, dass in Zukunft mit weiteren FARC-Anschlägen in der Hauptstadt zu rechnen sei. Eine generelle Aufrüstung, um die „Terroristen endgültig niederzuwerfen“, sei daher unumgänglich.

Uribes „Erfolgsbilanz“

Man mag darüber spekulieren, ob das Attentat vom 19. Oktober den Präsidenten wirklich so erschüttert hat, wie er in der Öffentlichkeit vorgibt. Tatsache ist, dass Uribe seit Beginn der Verhandlungen mit den beiden Guerillagruppen FARC und ELN ein gewisses „Unwohlsein“ verspürte. Nichtsdestotrotz willigte er ein, mit dem ELN auf Kuba zu verhandeln und den FARC eine entmilitarisierte Zone für den Gefangenenaustausch anzubieten. Während die Friedensgespräche mit der ersten Guerilla eher schleppend verlaufen, sind die Verhandlungen mit den FARC nun endgültig beendet.
Insgesamt betrachtet ist Uribe also wieder bei seinem ursprünglichen Diskurs angekommen: „totaler Krieg gegen den Terror“. Im Wahlkampf des Jahres 2002 hatte er sich schließlich erfolgreich als rechter Hardliner präsentiert und versprochen, ein für alle mal mit der Guerilla aufzuräumen. Doch auch wenn er in Sachen Armutsbekämpfung oder Korruptionseindämmung kläglich gescheitert ist, mussten selbst die härtesten KritikerInnen des Präsidenten einräumen, dass sich im Bereich der öffentlichen Sicherheit vieles zum Positiven verändert hat. So eroberte die Armee zahlreiche Provinzhauptstädte zurück, die wichtigsten Straßenverbindungen wurden sicherer, die Gewaltkriminalität in den Großstädten fiel um mehrere Prozentpunkte und vor allem drängte Uribe die Guerilla in entlegene Landesteile ab. Aber trotz dieser Erfolge, und auch wenn die Armeeführung weiterhin das Gegenteil behauptet, ist die Struktur der Guerilla weitgehend intakt geblieben. Insbesondere ist es Uribe nicht gelungen, die Führungsspitze der FARC, das so genannte secretariado, zu zerstören. Wie ein aktueller UNO-Bericht enthüllt, ist zudem die Koka-Anbaufläche allein im Jahr 2005 um mehr als 8 % gewachsen, womit die Finanzierung der Gueriller@s sichergestellt ist.

Die zweite Phase des Plan Colombia

Um sein Wahlversprechen einzuhalten, tut Uribe nun wieder das, was er am besten kann: Krieg führen. Der bereits unter seinem Vorgänger Andrés Pastrana von den USA und Kolumbien unterzeichnete Plan Colombia ist in dieser Hinsicht stets das Rückgrat der Kriegsfinanzierung gewesen. Obwohl ein nicht geringer Teil der bisher ausgeschütteten vier Milliarden US Dollar spurlos verschwunden ist, strebt Uribe um jeden Preis eine Verlängerung der US-Militärhilfe an. Dass die ursprünglich im Plan Colombia enthaltene soziale Komponente mittlerweile keine Rolle mehr spielt, steht außer Zweifel. Anstatt sich nämlich Gedanken über die historischen Wurzeln und den sozialen Hintergrund des bewaffneten Konflikts zu machen, setzt Uribe nun alles auf die militärische Karte. Im Rahmen der so genannten „Politik der Eroberung des Friedens“ sollen die Rüstungsausgaben noch weiter hochgefahren werden.
Voraussetzung für die dauerhafte „Erlangung des Friedens“ ist allerdings ein jährlicher US-Zuschuss von 700 Millionen US-Dollar (über den Plan Colombia) sowie eine neu einzuführende Vermögenssteuer. Unter diese Besteuerung würden schätzungsweise 56.000 der reichsten Haushalte Kolumbiens fallen und in der Folge mehr als 1,2 Milliarden US Dollar zusätzlich zur Verfügung stehen. Sollten diese Prognosen zutreffen, dürfte sich die Zahl der Soldaten und Militärpolizisten auf geschätzte 436.000 erhöhen. Ferner ist geplant, 34 Helikopter, sechs Transportflugzeuge, 66 Panzer bzw. gepanzerte Fahrzeuge sowie U-Boote und Aufklärungsflugzeuge in den USA einzukaufen. Ob diese Rüstungsgegenstände aber jemals zum Einsatz kommen, ist indes fraglich. Denn bereits die vorhandenen Hubschrauber und Panzer sind vielfach unbrauchbar, weil Ersatzteile fehlen. Es ist vielmehr zu befürchten, dass bestimmte Interessengruppen die Rüstungsdeals nutzen, um sich persönlich zu bereichern. Sollten sich zudem die FARC auf venezolanischem oder ecuadorianischem Staatsterritorium befinden – wie Uribe behauptet –, ist ein militärisches Eingreifen ohnehin unmöglich.
Auch wenn Kolumbiens Rüstungspläne bei anderen lateinamerikanischen Staatschefs auf wenig Gegenliebe stoßen, zeigt sich der Kriegsherr bislang unnachgiebig. Auf dem Iberoamerika-Gipfel in Montevideo verteidigte er am 5. November seine Politik mit folgenden Worten: „Wenn wir einen guten Willen [bei der Guerilla] erkennen, dann stehen alle Wege offen. Inmitten von Autobomben ist die einzige Lösung jedoch der Weg der Gewalt.“

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