Kolumbien | Nummer 360 - Juni 2004

Dialog als Strategie des Widerstands

Interview mit einem Vertreter der kolumbianischen Organización Indígena de Antioquia

Zwei Monate lang bereiste eine Delegation indigener VertreterInnen aus der kolumbianischen Provinz Antioquia verschiedene Länder Europas. Auf dieser ersten von insgesamt drei geplanten Reisen wollen sie ihre spezifischen Strategien im Umgang mit der Bedrohung durch Paramilitärs und Guerilla vorstellen und Kontakte mit PolitikerInnen und NROs knüpfen. Im April machten sie auch in Berlin Station, wo die Lateinamerika Nachrichten mit Luis Agudelo Suárez sprachen.

Oliver Commer

Wer ist die OIA?

Die Organización Indígena de Antioquia (OIA) ist eine regionale Organisation, die sämtliche Indígenas aus dem Bezirk Antioquia unter einem Dach zusammenfasst. Insgesamt sind es 22.000 Angehörige von vier verschiedenen ethnischen Gruppen, die Embera Chamí, die Embera Catío, die Tule, bekannter unter dem Namen Kuna, und die Zenú. Alle diese Gruppen sind organisiert und verfügen über eigene Autoritäten. Gleichzeitig formen sie eine regionale Organisation, nicht nur für die Verteidigung ihres Territoriums, sondern auch um eine Entwicklungspolitik zu konsolidieren, die auf jede Gruppe abgestimmt ist.

Wie ist die generelle Situation der indigenen Völker in Kolumbien?

Generell sehr schwierig. Die indigene Bevölkerung beteiligte sich 1991 an dem Erlass einer neuen nationalen Verfassung, in der ausdrücklich Kolumbiens kulturelle Vielfalt anerkannt wurde, das heißt die Existenz von 85 verschiedenen indigenen Völkern und 65 autochthonen Sprachen. Damit einher ging auch das Zugeständnis lokaler Autonomie und die Anwendung verschiedener Entwicklungsmodelle. Heute verfügen die Indígenas Kolumbiens über 30 Millionen Hektar Land, sie selber konstituieren gerade einmal knapp zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Eine sehr kleine Bevölkerungsschicht verfügt also über ein sehr großes Territorium. In diesen schwer zugänglichen Dschungelregionen existiert eine enorme Biodiversität und es entspringen dort fast alle Flüsse des Landes. Vor allem gibt es aber große Öl-, Kupfer-, Uran- und Goldvorkommen. Wegen ihrer landwirtschaftlichen Unproduktivität und des schweren Zugangs waren diese Gebiete lange Zeit uninteressant für die nationale wirtschaftliche Entwicklung. Doch Mitte der neunziger Jahre begann der Staat mit einer neuen nationalen Entwicklungspolitik und schränkte die Anerkennung der kurz zuvor gemachten konstitutionellen Garantien an die Indígenas ein. Die Gebiete der Indígenas gelten nun als Quelle für wirtschaftliche Investitionen, gerade aus dem Ausland. In diesem Sinne verwandelt sich die Unveräußerlichkeit der Gebiete zu einem Hindernis bei der nationalen Entwicklungspolitik, weil der Staat das Territorium für die Ausbeutung von Bodenschätzen vorsieht und mit dem Ausbau von Infrastruktur oder dem Bau von Wasserkraftwerken beginnt. Gleichzeitig verschärfen die bewaffneten Gruppen den Konflikt in eben diesen Gebieten, weil sie in diesen strategisch wichtigen Zonen zirkulieren. Sowohl die Paramilitärs als auch die Guerilla tragen an diesen Orten ihre Kämpfe aus und die Gemeinden der Indígenas befinden sich inmitten dieses Konfliktes. Ihr Territorium verwandelt sich in Kriegsbeute und ihre anerkannten Rechte werden zum Hemmnis für die Interessen des Staates. In dieser Situation leben die Indígenas in Kolumbien, und so sieht es auch in Antioquia aus.

Wie begegnet die OIA dieser Situation?

Anfangs organisierten sich die indigenen Völker, um ihre Rechte gegenüber dem Staat zu verteidigen. Wegen der Verschärfung des bewaffneten Konfliktes leisten sie mittlerweile aber auch Widerstand gegenüber der Guerilla, den Paramilitärs und der Armee. Die OIA hat verschiedene Strategien entwickelt. Eine davon ist die Gewähr von Zuflucht. Wenn sich die Konfliktparteien in den indigenen Gebieten bekämpfen oder die Armee Luftangriffe durchführt, verlagern wir die betroffenen Gemeinden in andere Zonen, wo ihnen Unterkunft und Versorgung gewährt wird. Diese Strategie soll verhindern, dass die Gemeinden direkt von den Kämpfen betroffen sind und dass sich die Vertriebenen in den Städten niederlassen, wo Verelendung und vor allem der Verlust ihrer Kultur und ihrer Organisationsform drohen. Außerdem ist durch diese Strategie immer auch die Rückkehr in ihr Territorium gewährleistet. Eine andere Strategie ist die permanente Unterrichtung der indigenen Führer. Sie sollen befähigt werden, mit den bewaffneten Gruppen zu sprechen, den Konflikt und seine politischen Hintergründe zu kennen und ihre eigenen Gemeinden auf lokaler Ebene zu verteidigen. Sie werden mit Menschenrechten und speziellen Rechten von Indígenas vertraut gemacht, um bei Konflikten für ihre Gemeinden zu verhandeln und in den Dialog zu treten.
Die konstante Aufdeckung und Anklage der Problematik sind weitere Strategien. Jeglicher Zusammenstoß und jegliche Misshandlung in den Gemeinden werden national und international angezeigt, sei es durch Mitteilungen an die Öffentlichkeit oder auch auf juristischem Wege. Die Konsolidierung einer gemeinsamen Agenda auf nationaler und lateinamerikanischer Ebene ist eine andere Strategie. Darüber hinaus aber auch Vereinbarungen mit den übrigen Sektoren der Zivilgesellschaft, die ebenfalls von dem bewaffneten Konflikt betroffen sind, wie Gewerkschafter oder Lehrer. Wir haben also damit begonnen, durch den Dialog eine gemeinsame Agenda zu gestalten. Wir glauben, dass eine Lösung des bewaffneten Konfliktes schnell gefunden werden muss. Diese durch Verhandlungen zu erreichende Lösung zwingt aber auch die Zivilgesellschaft dazu, sich zu vereinen und Vorschläge zu machen. Und wir leisten dazu unseren Beitrag.

Wie sind die konkreten Erfahrungen mit diesen Strategien?

Im Westen Antioquias gibt es eine Front der FARC, die vor zwei Jahren eine extrem harte Haltung gegenüber den indigenen Gemeinden dort ausgeübt hat. Das Territorium wurde dicht gemacht, großer Druck auf die Indígenas ausgeübt und Jugendliche zwangsweise rekrutiert. Sie ließen die Führer eine Abmachung unterschreiben, in der sie all dies billigen mussten. Beauftragte unserer Organisation und der indigenen Gemeinden bildeten dann eine Kommission und versammelten sich mit der FARC. Sie forderten den Respekt vor den Gemeinden und dass man deren Jugendliche nicht mehr zwangsweise einzog – und diese Einheit der Guerilla akzeptierte es. Ein anderes Beispiel ist der Einfall von Paramilitärs in eine Gemeinde, die an Panama grenzt. Vier Kaziken der Tule wurden umgebracht und zahlreiche andere Führer entführt. Die ganze Gemeinde flüchtete nach Panama. Die OIA organisierte eine humanitäre Mission und begab sich zusammen mit vielen anderen nationalen und internationalen NROs, unter anderem dem Roten Kreuz und dem UN-Flüchtlingskommissariat, in die Region.
Was erwartet ihr von eurer Reise nach Europa?
Uns ist es wichtig, dass die Europäer auf die kolumbianische Regierung Druck ausüben, durch Verhandlungen eine Lösung des bewaffneten Konfliktes zu finden. Um das Thema aber in der Diskussion zu halten, benötigen wir ein Netzwerk für die Unterstützung der Indígenas. Wir sprechen mit Abgeordneten, Bürgermeistern, Akademikern, sozialen und zivilen Organisationen, um unsere Situation zu schildern und Unterstützung für solch ein Netzwerk zu gewinnen. Langfristig planen wir eine Mission der Aufklärung über die Situation der Gewalt gegenüber den Indígenas, mit Beteiligung europäischer und lateinamerikanischer Persönlichkeiten. Konkrete Menschenrechtsverletzungen an Indígenas sollen durch ein internationales Tribunal bekannt gemacht und sowohl die bewaffneten Gruppen als auch die Regierung unter Druck gesetzt werden.

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