Chile | Nummer 273 - März 1997

Die Einheit von Boden und Wasser

Erfolge beim Streit um das Wasser für Indígenas

Die Atacamawüste ist eine der trockensten Regionen der Erde, Wasser ist dort umso wertvoller. Während in der Vergangenheit Minengesellschaften ein leichtes Spiel im Zugriff auf das Wasser hatten, verstärkt sich nun der Widerstand der indigenen Gemeinschaften – und sie verzeichnen erste Erfolge. Hauptstreitpunkt zwischen Minengesellschaften und Indígena sind die beiden sich widersprechenden Gesetze Código de Agua (Wassergesetz), und das Ley Indígena (Indigenengesetz).

Ingo Gentes

Die Skepsis bei Honorio Ayavire sitzt tief. Bis vor kurzem war er der Vertreter der Atacameños innerhalb der Comisión Especial de Pueblos Indígenas (CEPI). “Früher,” so Honorio, “entstanden unsere Dörfer, dort wo es Wasser gab, sie wurden an den Berghängen oder an Ausläufern des Río Loa gegründet. Viele Bauten sind Beispiel dafür, wie es die Atacameños schafften Ingenieursarbeiten zu vollbringen, kilometerlange Kanäle zu legen, die das Wasser von der Kordillere bis in die Täler gelangen ließen und von dort auf die Felder. Unser ganzer sozialer Umgang in den Dörfern wurde durch das Wasser bestimmt: Da waren und sind die Puricamanis, die Wasserhoheiten, die die kulturelle Tradition rund um das Wasser aufrechterhalten. Sie erneuern mit jedem Ritual aufs neue die innige Verbindung unserer Menschen mit der Pacha Mama, der Mutter Erde. Doch heute dreht uns die Mine mitsamt der Mithilfe der Regierung das Wasser einfach ab. Zurück bleiben wir, die Älteren, allein, auf dem immer mehr austrocknenden Land.”
Seit fast zwei Jahren herrscht in der I. bis IV. Verwaltungsregion Chiles akuter Wassermangel. Dies ist ein geographischer Raum, der in seiner Ausdehnung von Nord nach Süd rund 2000 km lang ist. Die letzten beiden Winter blieb der erhoffte Regen aus, die Sommer wurden immer heißer. Die vielen halbstaatlichen Minen in der Atacamawüste nehmen darauf bei der Wassernutzung immer weniger Rücksicht, so daß ganze Dörfer in den Sommermonaten Dezember bis März ohne fließende Wasserversorgung sind. Selbst die größeren Küsten- und Industriestädte bilden da keine Ausnahme, wie das Beispiel der Stadt Iquique zeigt. Hier galt bereits in den Monaten Dezember 1995 bis März 1996 täglich knapp 18 Stunden Wasserstopp. Nur in den Abendstunden war der Zugriff auf fließendes Wasser gegeben. Den Rest der Zeit konnte sich nur der glücklich schätzen, wer über eine gefüllte Zisterne oder Unmengen Pfandflaschen voller Wasser verfügte. Und diesen Sommer ist die Bilanz nicht besser. Die Folgen sind fatal: Brände an den aus dem Salpeterboom stammenden Holzhäusern konnten nicht rechtzeitig gelöscht werden, Menschen, die aufgrund der Hitzewelle und des Wassermangels zusammenbrachen, gaben den Einwohnern der Stadt eine düstere Vision von den Ausmaßen der, im wahrsten Sinne des Wortes, Verwüstung.
Im Landesinneren, der auf 2000 bis 4000 Meter ansteigenden Gegend der Puna, ist die Bilanz noch trauriger. Ganze Landstriche liegen brach, sind ausgetrocknet und verlassen. Dort, wo einst Subsistenzlandwirtschaft auf den fruchtbaren salpeterhaltigen Böden betrieben wurde, zeugen nur noch die zurückgelassenen Gerätschaften von der ehemaligen menschlichen Präsenz. In den von der Jugend verlassenen Ortschaften nennen die übriggebliebenen Älteren alle denselben Grund für die Abwanderung: “No hay agua, pué! – Es gibt halt kein Wasser!”
Was mit dem noch vorhandenen Wasser passiert, wissen die Einwohner der Dörfer nur zu genau: Abgesehen von den halbstaatlichen Minengesellschaften, zapft auch die staatliche Minengesellschaft CODELCO, neben den recht fragwürdig zugesprochenen Wasserquellen, andere Quellen an. Die meist indigenen Besitzer dieser Quellen können, den selbst für Juristen nur schwer verstehbaren Weg zur Erlangung einer Wasserkonzession, kaum nachvollziehen. So zieht das Ganze nach der Einschreibung in das örtliche Register der Wasserdirektion, einen mehrmonatigen Prozeß von Kartierung, Wider,- bzw. Einspruchsphase nach sich. All das spielt sich im über 1000 km entfernten Santiago de Chile ab, dort, und nicht im hohen Norden vor Ort, wird über die Vergabe der lebenswichtigen Wasserkonzessionen entschieden.

Ein kleines Dorf macht Geschichte

Mußten die Minengesellschaften in der Vergangenheit weder Staat noch sonst wen fürchten, könnte sich das in Zukunft schlagartig ändern. Indigene Organisationen wie die Colla Marka aus Iquique, der größtenteils Aymaras aus Iquique und dem Landesinneren angehören, gehen mittlerweile dazu über Rechtsanwälte die Klage gegen den illegalen Wasserzugriff durch die Minengesellschaften führen zu lassen. Erste Erfolge sind spürbar. Die Oasensiedlung ChiuChiu, eine halbe Autostunde nordöstlich des Kupfermolochs Chuquicamata gelegen, gewann eine dieser Klagen und erhält seit Februar 1996 mehr Wasser. Dieses dient jetzt dem Anbau von Karotten, Rote Beete und Mangold und gibt dem Handel mit der nahegelegenen Bergarbeiterstadt Calama enormen Auftrieb. Dem Dorf gelang es auch, durch die intensive Arbeit der Nachbarschaftsverwaltung, als lokale Wassergemeinschaft weitere Wasserkonzessionen zu erhalten. Die Bewässerungszyklen der einzelnen Felder können seither wieder regelmäßig durchgeführt werden. Ein Beispiel, das Geschichte machen kann: Die erste Siedlung, die eine Klage gegen den übermächtig scheinenden Minengiganten CODELCO gewann, in einem Land, in dem die neoliberalen Strukturen auch nach 6 Jahren Post-Pinochet die aktuelle Wirtschaftspolitik bestimmen.
Bestandteil dieser Politik ist der Código de Aguas (Wassergesetzgebung), der 1981 unter der Militärregierung von Augusto Pinochet entstand. Sie trennt erstens Wasser- von Bodenbesitz als legale und kulturelle Einheit. Zweitens ermöglicht sie den privaten Erwerb von Wasserrechten und drittens erschwert sie den Erwerb von gemeinschaftlichen Wasserrechten, sprich die Bildung von legal gestützten Wassergemeinschaften, wenn sie sie nicht gar unmöglich macht.
12 Jahre später allerdings, 1993, verkündet die 5-Parteienregierung der damaligen Übergangsphase das Ley Indígena. Sie gab damit die Richtung einer sozialethnisch gerecht verlaufenden Integration vor. Zum ersten Mal in der chilenischen Geschichte, seit der Unabhängigkeit von 1818 sprach die Ley Indígena allen indigenen Gruppen ein legales Recht zu, ihre eigene Kultur, innerhalb der Eckpfeiler der Demokratie, zu entfalten.
Die Artikel 20-22 des Ley Indigena schreiben die Gründung eines nationalen Fonds für indigenes Land und Wasser, den Erwerb, Schutz und Ausbau der Wasserquellen, insbesondere der nördlichen Ethnien vor. Somit wird implizit die im Código de Aguas festgelegte Trennung zwischen Land und Wasser aufgehoben.
Während die einen nun also versuchen, mehr Wasserrechte anhand der im Ley Indígena formulierten schrittweisen Sicherung und Ausweitung ethnischer Land- und Bodenrechte zu erlangen, besteht für die anderen mit dem nationalpolitisch als vorrangig eingestuften Minenbergbaus, die Möglichkeit private Wasserrechte Schritt für Schritt einfach aufzukaufen.

Wer hat Recht?

Die Anwendung des Ley Indígena wird von der staatlich unabhängigen indigenen Organisation des Rats aller Ländereien (Consejo de todas las tierras), gemeinsam mit der staatlichen Indianerkommission CEPI sowie den NROs vor Ort vertreten. Sie berufen sich hierbei vor allem auf die Beschlüsse der International Labour Organisation (ILO) die seit dem Jahr 1993, dem UN-Jahr der indigenen Gemeinschaften, und auf die Diskussionen der Rio-Konferenz von 1992, den Schutz und weiteren Erwerb indigener Ländereien aktiv zu unterstützen.
Demgegenüber steht die nationale Bergbaugesellschaft CODELCO, Hand in Hand mit der Regierung des Christdemokraten Eduardo Frei. Diese stellen die wirtschaftliche Entwicklung des Landes in den Vordergrund. Wie es der Zufall so will, liegen in einem Großraum des Landesinneren des Norte Grande lukrative Kupfer-, Bauxit- und Lithiumvorkommen. Und gerade in den reichen Kupfervorkommen um den Atacamasalzsee wird kurzfristig auf immer mehr unterirdische Wasservorkommen zurückgegriffen, um langfristig ein nationales und auf erschöpfbaren Ressourcen basierendes “Entwicklungsmodell” zu präsentieren. Die Kupferexporte stellen immer noch fast 40 Prozent der chilenischen Exporterzeugnisse dar.
Noch bilden die privatrechtlichen Auslegungen des Código de Aguas die dominantere Regelung beim Streit um das Wasser. Die Auslegungen der Ley Indígena bedeuten in ihrer jetzigen Form eher “Ausnahmeregelungen”, wie es Honorio Ayavire betont und lassen “keinen eindeutigen Willen von Seiten des Staates erkennen, die Wasserfrage zu Gunsten der indigenen Gemeinschaften zu ändern.”
Auf längere Sicht jedoch wird sich zeigen müssen, inwieweit die indigenen Gruppen des Norte Grande, gemeinsam mit anderen Gruppen des Landes (die südlich des Biobío siedelnden Mapuchegruppen haben ähnliche Probleme bei der Vergabe von Waldkonzessionen) zu einer gemeinsamen ethnoökologisch motivierten Kraft zusammenschmelzen werden. Zentrale Anliegen beider Gruppen sind die dringende Regionalisierung der Ressourcenfragen und die Durchsetzung von langfristig angesetzten Planungen einer nachhaltigen und sozialethnisch gerechten Form der Entwicklung.

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