Nummer 467 - Mai 2013 | Peru

Die Erben Fitzcarralds

Im peruanischen Amazonas soll das größte Erdgasfeld Perus, Camisea, erweitert werden – mitten in das Schutzgebiet unkontaktierter indigener Gruppen

Die peruanische Regierung und transnationale Rohstoffkonzerne planen eine umstrittene Erweiterung des Camisea-Projektes im peruanischen Regenwald. Zwei Drittel des neuen Erdgasfeldes Fitzcarrald lägen dann mitten in einem geschützten Reservat – dem letzten Rückzugsgebiet mehrerer unkontaktierter Völker. Wie einst der historische Namensgeber, droht das Projekt diese Gruppen und ihre Kultur auszulöschen.

David Vollrath

„Die Verschmutzung hat hier weiter zugenommen, wie schon im Wald bei Urubamba. Vor einigen Monaten gab es wieder ein Leck in der Pipeline, wodurch viele Tiere und Kinder starben, unsere Alten sind erkrankt. Und die Unternehmen ignorieren uns einfach. Wir Jungen müssen unser Recht und unsere Familien verteidigen“, schreibt mir verzweifelt Tito, ein junger Machiguenga-Indigener vom Unterlauf des Urubamba-Flusses. An dem Strom im zentralen Amazonas-Tiefland liegt das größte Erdgasprojekt Perus. Es heißt Camisea, wie ein Seitenarm des Urubamba. In Peru tragen Rohstoffprojekte oft die Namen der Orte, die sie zerstört haben. Nun soll das größte Gasfeld Camiseas, Lote 88, erweitert werden. Das neue Projekt trägt den symbolischen Namen „Lote Fitzcarrald“ und wird von offiziellen Stellen in Peru wie ein Staatsgeheimnis behandelt.
Die Betreiber-Unternehmen erwarten von der peruanischen Regierung bis Anfang Mai 2013 eine Genehmigung, um seismologische Untersuchungen zur Erkundung des neuen Gasfeldes in Angriff zu nehmen. Das Betreiber-Konsortium Camisea ist ein Mischkonzern aus sechs Unternehmen. Geleitet wird es vom argentinischen Ölriesen Pluspetrol und die größten Anteilseigner sind das spanische Unternehmen Repsol sowie HuntOil aus den USA. „Peru muss konkurrenzfähig für den Weltmarkt sein. Camisea ist nur die Speerspitze für den Ausbau der peruanischen Gasproduktion und Petrochemie“, schwärmt der einflussreiche Wirtschaftslobbyist Anthony Laub in einem Interview.
Die geplante Ausweitung von Camisea stößt bei peruanischen und internationalen Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen jedoch auf heftigen Widerstand. Ende März richtete die Menschenrechtskommission der UNO einen dringenden Appell an die peruanische Regierung und forderte diese auf, den Ausbau von Camisea zu verhindern. Für den Weltmarkt opfert Peru Teile seiner eigenen kulturellen Identität und seiner Naturschätze, so die Kritik.
Lote Fitzcarrald liegt zu 73 Prozent im Reservat Kugapakori-Nahua-Nanti. In dem geschützten Gebiet leben viele indigene Völker, darunter bisher unkontaktierte Gruppen der Nahuas und Nantis. Das Reservat gehört zum Manu-Nationalpark. Mit seiner einzigartigen biologischen Vielfalt zählt das Regenwaldgebiet zum Weltnaturerbe der UNESCO. Eine Expansion von Camisea-Block 88 bedroht die Natur und somit das Leben der unkontaktierten Gemeinschaften, warnen zahlreiche Nichtregierungsorganisationen. „Wir fordern die Regierung auf, eine Politik zum Schutz der indigenen Völker Perus umzusetzen, die auf dem Respekt vor der indigenen Kultur und nicht auf der Ausbeutung natürlicher Ressourcen beruht“, schreibt AIDESEP, der Dachverband von 64 indigenen Organisationen in Peru. COMARU, FENAMAD, ORAU und andere indigene Verbände solidarisieren sich mit dem Widerstand gegen Lote Fitzcarrald.
Wenn der Namengebung zur geplanten Projekterweiterung kein Zynismus zu Grunde liegt, so symbolisiert sie dennoch eine historische Kontinuität im Naturverständnis der ökonomischen und politischen Eliten Perus. Die Natur wird ausschließlich auf ihre ökonomische Verwertbarkeit reduziert, ohne Rücksicht auf ihre ökologischen und kulturellen Funktionen. Das Kautschuk-Imperium von Carlom Fermin Fitzcarrald zu Beginn des 20. Jahrhunderts leitete die wirtschaftliche Ausbeutung des Regenwalds für den Weltmarkt ein – auf Kosten der Umwelt und der Indigenen „Wir sahen und spürten überall die Beweise für die grausame Behandlung der Ureinwohner, (…), Gewalt ist das vorrangige Mittel, um die Indianer der Region zu nötigen und zu terrorisieren“, schrieb 1912 Roger Casement. Als internationaler Berichterstatter untersuchte der Ire schon damals die Zustände auf den Plantagen des Unternehmers Fitzcarrald im peruanischen Amazonasgebiet.
„Der Amazonas ist unser wichtigster Rohstoff“, stellte 2010 Alan García in seiner Kolumne in der größten peruanischen Tageszeitung El Comercio klar. Der Amtsvorgänger des derzeitigen Präsidenten warf den indigenen Dachverbänden in Peru vor, sie verhinderten wirtschaftliche Entwicklung mit ihrer Forderung nach einem Schutzstatus für „erfundene unkontaktierte Ureinwohner“. Zu diesem Zeitpunkt waren nach Angaben des Energieministeriums bereits 70 Prozent der Fläche des peruanischen Amazonasgebiets für Erdgasförderung und andere große Wirtschaftsprojekte freigegeben. Ollanta Humala wurde 2011 auch zum neuen Präsidenten Perus gewählt, weil er mit der einseitig neoliberalen Politik brechen wollte. Sein Wahlprogamm Gran Transformación beschrieb eine Wirtschaftspolitik, die dem Rohstoffabbau soziale und ökologische Grenzen setzen sollte.
Humala legte nach seiner Wahl einerseits die vorherige Konsultation betroffener indigener Gruppen bei solchen Wirtschaftsprojekten rechtlich fest. Andererseits blieben die definierten Standards zur Umsetzung der indigenen Mitbestimmung äußerst vage. Unter Humalas Regierung ist die Zahl der sozio-ökologischen Konflikte konstant hoch geblieben und lag im März 2013 bei 167. Wenn die indigene Bevölkerung ihr Mitspracherecht bei geplanten Projekten einforderte, lehnte die Regierung Humala bisher mit der Begründung ab, dass die lokalen Umstände nicht den Bedingungen eines Konsultationsverfahrens entsprechen würden. Diese taktierende Politik ist im Interesse der großen Rohstoffkonzerne, führte aber 2012 in den Regionen Cajamarca und Cañaris zu gewaltsamen Konflikten mit der lokalen Bevölkerung (siehe LN 454 und 459/460). Auch im aktuellen Konflikt um Camisea beharren die indigenen Verbände auf ihr gesetzlich verbrieftes Mitspracherecht, da die Lebensgrundlagen der Menschen am Fluss Urubamba direkt von dem neuen Projekt bedroht sind.
Doch sowohl die Regierung als auch die beteiligten Unternehmen halten sich in ihren öffentlichen Äußerungen überaus bedeckt. Pluspetrol und das Energieministerium erklären nur, es sei kein neues Projekt geplant, sondern lediglich die Ausweitung des alten Lote 88. Vor der Kommission der indigenen Völker und Umwelt im Kongress (CPAAAAE) erklärte Energieminister Jorge Merino am 15. April 2013, dass Lote Fitzcarrald legal sei und keine Gefahr für Umwelt und die indigenen Gruppen darstelle. „Wir sagen nicht, dass es kein neues Projekt gibt. Das ist auch nicht der Punkt. Ich sage, dass es nicht gesetzwidrig ist. Das Gesetz soll nur zusätzliche Konzessionen neben Lote 88 verhindern“, ergänzte ausweichend der Vizeminister für Kultur, Iván Lanegra.
Dabei veröffentlichte sein Ministerium im Mai 2012 eine ausführliche Einschätzung, in der vor einer Erweiterung von Block 88 ausdrücklich gewarnt wurde. „Die geplanten Subprojekte liegen im Gebiet der isolierten und kontaktierten indigenen Gruppen. Die seismischen Erkundungen neuer Felder stellt eine extreme Gefährdung der unkontaktierten Gruppen dar“, heißt es in dem offiziellen Dokument des Kultusministeriums, das auf Anfrage von AIDESEP erstellt wurde. Außerdem verstoßen die Pläne gegen die nationalen Gesetze zum Schutz der Nationalparks und der indigenen Reservate, so die Analyse der Autor_innen. Weil das Projekt nun trotz dieser Einschätzung umgesetzt werden soll und bisher keine Konsultation mit indigenen Vertreter_innen stattfand, klagen AIDESEP und andere indigene Verbände gegen die Regierung und das Konsortium.
Die möglichen negativen Auswirkungen weiterer Gasprojekte sind hinlänglich bekannt. Als Shell 1984 erste Probebohrungen für Camisea durchführte, starben in dem Gebiet 60 Prozent der Nahua durch den „Erstkontakt“. Ihr Immunsystem war nicht auf eingeschleppte Krankheiten von Gasarbeiter_innen vorbereitet. Innerhalb weniger Monate erlagen viele Nahua der Grippe oder einfachen Erkältungen. Immer wieder lecken die Pipelines zur Küste und die im Flüssiggas enthaltenen Schwermetalle verseuchen großflächig die Umwelt. Das Gesundheitsministerium dokumentierte bei den Nanti Todesfälle durch Umweltgifte. Andere indigene Gemeinden verlieren durch die ökologischen Folgen der Gasförderung ihre Lebensgrundlagen. Die vergifteten Böden und Flüsse liefern keine Nahrung mehr. Erst im Januar 2013 verseuchte ausgelaufener Treibstoff eines Camisea-Transports einen Flussarm, der 2.000 Machiguengas als Lebensgrundlage diente. Das Unternehmen bestritt jede Kenntnis und Verantwortung.
„Seit Beginn der Gasförderung in Camisea gibt es nur Nachteile für die indigenen Gemeinden. Wir haben 70 Prozent unserer kulturellen Identität verloren und ein Großteil der Tierwelt ist aus dieser Gegend verschwunden. Es scheint fast so, als wollten sie die indigene Kultur auslöschen“, resümiert Rubén Binari Piñarreal, Vorsitzender des Machiguenga Rates am Urubamba Fluss.

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