Chile | Nummer 325/326 - Juli/August 2001

“Die Forstwirtschaftsfirmen müssen gehen“

Der Mapuche-Vetreter José Naín Perez über das Recht auf Land und das Verhältnis seiner Organisation zu staatlichen Institutionen

José Naín Perez ist Vertreter des „Consejo de Todas las Tierras“ (CTT, Rat aller Länder), einer Mapuche-Organisation, die sich 1990 von der der Kommunistischen Partei angegliederten Organisation Ad Mapu abspaltete. Ziel war es, eine parteienunabhängige Vertretung der indigenen Bevölkerung Chiles zu schaffen. Heute repräsentiert der in Temuco ansässige CTT rund 300 der 2000 Mapuche-Gemeinden Chiles und kämpft vor allem gegen den Bau des Staudammes Ralco am Alto Bío Bío (s. LN 319) und für die Rückgabe von Ländereien, die von Forstwirtschaftsfirmen genutzt werden.

Dinah Stratenwerth

In einem Interview sagten Sie, dass der „Rat aller Länder“ nach traditionellen Richtlinien der Mapuche organisiert und immer mit der Geschichte Ihres Volkes verbunden sei. Was bedeutet diese traditionelle Bindung für die Struktur Ihrer Organisation?

Die Struktur richtet sich nach den philosophischen, religiösen und kulturellen Ideen der Mapuche. Wir haben eine andere Organisationsstruktur als die westliche Welt. Es gibt keinen Präsidenten, keinen Sekretär und keinen Schatzmeister, sondern einen Rat der Lonkos, der Ältesten, der die Mapuche-Bewegung leitet, der der Kern der Bewegung ist. Wir, die wir die Möglichkeit hatten, zur Schule zu gehen und Spanisch zu lernen, sind diejenigen, die auf die eine oder andere Weise der westlichen Welt eine Botschaft überbringen.

Eines Ihrer Ziele ist, ein unabhängiges Parlament zu gründen. Wie stellen Sie sich seine Zusammenarbeit mit den chilenischen Institutionen vor?

Das Parlament ist keine institutionelle Angelegenheit, die man mit dem chilenischen Staatsapparat vergleichen könnte. Was wir wollen, ist die Schaffung einer juristisch und politisch anerkannten Instanz, die als Vermittler zwischen dem chilenischen Staat und den Mapuche-Gemeinden fungiert. Wir wollen nicht den Staat unterstützen, sondern uns selbst.
Das heißt, wir wollen nicht in jeder staatlichen Institution Leute sitzen haben, sondern wir brauchen eine Gruppe von Personen, die uns gegenüber der staatlichen Politik repräsentiert und die eine beratende Funktion hat bei jedem Projekt und jeder Entscheidung, die uns betreffen könnte.

Unterstützt die staatliche Indígena-Behörde CONADI Ihre Arbeit?

Die CONADI ist eine Instanz der Regierung, eingesetzt zur Kontrolle des Themas „Indígenas“. Sie ist nicht geschaffen worden, um Probleme zu lösen, sondern, um sie einzudämmen. Deshalb hat die CONADI dieselbe Beziehung zu den Mapuche wie das Bürgermeisteramt.

Was halten Sie von staatlichen Projekten, wie der zweisprachigen Erziehung, die an einigen wenigen Schulen eingeführt wurde?

In Chile gibt es noch keine zweisprachige Erziehung, es ist ein Projekt. Man entwirft gerade Methoden, wie man Interkulturalität vermitteln kann. Ich glaube allerdings, dass diese einzig darauf abzielen, auf der Basis der Mapuche-Kultur ein Erziehungskonzept zu etablieren, das, anstatt unsere Kultur zu stärken, ihren kulturellen Reichtum der westlichen Welt vorführen will.
Ich denke, dass ein interkulturelles Konzept andersherum funktionieren muss: Es muss speziell die Kultur der Mapuche festigen und davon ausgehend einen Raum schaffen, um diese auch kennen zu lernen.

Von den Forstwirtschaftsfirmen, die zu einem großen Teil auf dem von den Mapuche beanspruchten Territorium ansässig sind, fordern Sie dreißig Prozent des wirtschaftlichen Gewinns. Wie würde sich denn die Situation Ihres Volkes verbessern, wenn es über diese dreißig Prozent verfügen könnte, aber immer noch nicht über das Land?

Unser Ziel ist es, dreißig Prozent vom Ertrag des Waldes zu bekommen. Wenn die Bäume gefällt werden, bleibt die Erde, und wir wollen, dass sie uns überlassen wird. Das Geld, das wir von der Forstwirtschaftsfirma erhalten würden, würde sofort für die Wiederaufbereitung des Bodens genutzt werden, damit die Gemeinden in Zukunft von der Landwirtschaft leben könnten. Die Holzfirma muss endgültig gehen, sie kann nicht zurückkommen.

Als Gegenargument werden negative wirtschaftliche Folgen für die Region vorgebracht…

Uns nützt die Anwesenheit der Holzfirma überhaupt nichts. Arbeitsplätze hat sie nicht für Leute aus der Region geschaffen. Von denen arbeitet da keiner. Wir ziehen keinen Gewinn aus der ganzen Sache, die können uns also nicht mit ökonomischen Aspekten kommen. Die Mapuche sind die Ärmsten der Welt und Chiles. Dann kann doch niemand sagen, dass der Rückzug der Firmen die Ökonomie schädigt. Ich habe nämlich noch nicht herausgefunden, wie die Präsenz der Forstwirtschaftsfirmen die wirtschaftliche Situation der Mapuche verbessert haben soll.

Wäre es schwierig, die Ländereien nach der Rückgabe zu bebauen, nachdem sie so lange nur mit Eukalyptus und Kiefer bepflanzt waren?

Ja, sehr schwierig. Deswegen ist es notwendig, dass die Firmen uns Mittel überlassen, um ökologische Schäden beheben zu können. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie es tun werden, ist zwar nicht sehr hoch, aber ich galube, dass sie sich auf jeden Fall aus den Gebieten Mapuche zurückziehen werden.

Wie können Sie da so sicher sein?

Ich bin sicher, weil alle Mapuche sich gerade mobilisieren. Einer von beiden muss gehen, und das werden nicht wir, sondern die Forstwirtschaft sein. Ich weiß nicht wie, aber sie werden gehen.

Im Mai reisten Sie nach Europa und sprachen unter anderem bei der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen und beim europäischen Parlament vor. Was erhoffen Sie sich von diesen Kontakten?

Ich hoffe auf Verständnis, Akzeptanz und Solidarität für die Mapuche. Ich denke, die Zivilgesellschaft in Europa, die sich ökologisch, demokratisch und politisch für so fortschrittlich hält, will sich kaum zu einem Mitschuldigen für die Diskriminierung, das Sterben, das Verschwinden der indigenen Kulturen Amerikas machen. Sie müssen entscheiden, ob sie damit einverstanden sind, dass unsere Kultur verschwindet, oder ob sie etwas dazu beitragen wollen, dass wir nicht verschwinden. Das sind die Optionen, die sie haben.

Interview: Dinah Stratenwerth

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