Kolumbien | Nummer 360 - Juni 2004

Die Insel der Unantastbaren

Spezialzone soll Friedensprozess mit Paramilitärs beleben

Die kolumbianische Regierung hatte den beinahe gescheiterten Gesprächen mit den Paramilitärs eine zweite Chance gegeben. In einer kleinen Zone unter Kontrolle der Paramilitärs soll nun mit deren Chefs weiter verhandelt werden. Jedoch ohne Carlos Castaño. Der bisherige politische Chef der AUC ist am 16. April offenbar einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Andere Quellen sprechen von einer Inszenierung, die dem Para-Kommandanten die Selbstauslieferung in die USA erlaubt habe.

Tommy Ramm

Mehrfach hatte Uribe in der Vergangenheit beteuert, dass es unter seiner Amtszeit keine entmilitarisierten Zonen für die illegal bewaffneten Gruppen geben wird. Schließlich hat er die Wahl damit gewonnen, dass er dem Friedensprozess der Regierung Pastrana mit der FARC-Guerilla permanent Breitseite gegeben hatte. Sein Versprechen lief am 13. Mai offenbar aus. Luis Carlos Restrepo, Friedensbeauftragter unter Präsident Uribe, verkündete an diesem Tag stolz die Schaffung einer knapp 370 Quadratkilometer großen Spezialzone im Norden des Landes, die dem seit Monaten strauchelnden Friedensprozess mit den Paramilitärs neuen Aufwind geben soll.
Hatten die verschiedenen Chefs der paramilitärischen Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC) den Friedensprozess offenbar bereits abgehakt, ließ sie der Vorschlag Restrepos in der zweiten Maiwoche aufhorchen. In der nordwestlichen Provinz Córdoba, seit Anfang der neunziger Jahre de facto unter Kontrolle der Paras, setzte sich dieser mit der offiziell von der Justiz gesuchten und von der Auslieferung in die USA bedrohten zehnköpfigen Kommandantur der AUC zusammen und versprach ihnen Immunität. Sollten sie während der Gespräche in einer von der Regierung deklarierten Zone ansässig werden, würde ihnen weder die Justiz auf den Leib rücken, noch die Gefahr einer Auslieferung drohen. Weiterhin würde ihnen das Recht zugesprochen, 400 eigene bewaffnete Milizen zum Schutz gegen Guerillaübergriffe in diesem Terrain stehen zu lassen, während die Armee einen Schutzring um die Zone ziehen würde.

Friedensprozess wird politische Show
Die AUC-Chefs nahmen dankend an. Zwar ist noch nicht geklärt, ab welchem Zeitpunkt die Zone existieren wird, fest steht jedoch, dass den Verantwortlichen für unzählige Massaker und Drogenhandel der erste Schritt zur Unantastbarkeit gelungen ist. Der linke Kongressabgeordnete Wilson Borja interpretierte das Abkommen zwischen Regierung und AUC als Druckmittel, das die Verabschiedung eines eigens für den Friedensprozess initiierten Strafgesetzes zu Gunsten der Paras beeinflussen könnte. Denn während schon vor mehr als sechs Monaten über 1.000 rechte Milizen pompös entwaffnet wurden, fehlt weiterhin jegliche juristische und gesetzliche Regelung im Umgang mit den Verantwortlichen von Menschenrechtsveretzungen.
Während die AUC klar machten, dass sie nicht einen einzigen Tag im Gefängnis verbringen würden, debattierte man im Kongress über Mindeststrafen von fünf Jahren. Das Gesetz, das im August eventuell verabschiedet wird, „könnte grundsätzliche Veränderungen zu Gunsten der Paras erleiden“, so Borja, „da die neue Gesprächsatmosphäre das erlauben wird.“
Solange das Gesetz seinen Lauf bis zur Verabschiedung nimmt, werden die AUC ihre Zone dafür nutzen politische Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Ohne Angst vor juristischer Verfolgung, und da die Justiz seit jeher ein Auge bei den AUC zugedrückt hatte, kann die Kommandantur die Presse und öffentliche Persönlichkeiten einladen, um ihre Positionen zu vertreten. Sollte einer der Chefs die Spezialzone verlassen müssen, kann er den Staat um Erlaubnis bitten. „Die Vereinbarung ist letztlich die Legalisierung einer Situation, die schon immer existiert hat“, bringt Mauricio Romero, Forscher an der Nationaluniversität, das Abkommen auf den Punkt. Seit Jahren steht das Gebiet Tierralta in Córdoba unter paramilitärischer Verwaltung, in dem sich die Kommandanten nahezu frei bewegen konnten.

Knackpunkte des Friedensprozesses
Was jedoch am Verhandlungstisch die nächsten Wochen und Monate zu erwarten sein wird, ist weit gehend unklar. Die Regierung mag das Abkommen zur Zone als Erfolg feiern, eine Lösung für die Knackpunkte im Friedensprozess mit den Paras ist es aber keinesfalls. Zwar wurden schon vor einiger Zeit Zonen festgelegt, in denen sich die mehr als 11.000 bewaffneten Milizen konzentrieren und entwaffnen sollen. Doch die Paramilitärs haben bisher noch keine Motivation gezeigt, diesen Schritt ernsthaft anzugehen. Zunächst fordern sie vom Staat die Auffüllung des militärischen Vakuums gegenüber der Guerilla, das sie im Falle einer Entwaffnung hinterlassen würden. Ohne dieses Zugeständnis seien sie zu keinem Frieden bereit.

Festgeschriebene Straffreiheit
Der seit November 2002 ausgerufene Waffenstillstand seitens der AUC wurde zu keiner Zeit ernsthaft verfolgt. Internationale Organisationen wie die UNO und die bei den Gesprächen beteiligte Organisation Amerikanischer Staaten OAS fordern zwar dessen bedingungslose Erfüllung, doch unter dem Vorwand der Verteidigung gegen Angriffe seitens der Guerilla und abtrünniger Para-Gruppen sehen die AUC dazu derzeit keine Möglichkeit
Sollte das in den nächsten Monaten zu verabschiedende „Gesetz für Gerechtigkeit und Entschädigung“ nicht den Vorstellungen der Paras entsprechen, sprich eine festgeschriebene Straffreiheit, werden diese ohne Skrupel den Verhandlungstisch verlassen.
Der einzige Para-Kommandant, der offensichtlich eine Strafe oder zumindest ein Abkommen darüber mit der kolumbianischen Regierung und den USA in Kauf genommen hätte, war Carlos Castaño. Dieser hatte vor mehreren Wochen auf einem Treffen, bei dem die höchsten regionalen Paramilitär-Kommandanten geladen waren, unter reichlich Alkoholeinfluss erklärt, sich den USA auszuliefern und über Drogenhandelsrouten und deren Strukturen auszusagen. Seit Jahren ist seitens Washington ein Haftbefehl und Auslieferungsantrag gegen Castaño anhängig, dem die intellektuelle Verantwortung hunderter Massaker und die Lieferung mehrerer Tonnen Kokain in die USA angelastet werden.
Kein Gesicht war die letzten Jahre so eng mit Greueltaten und dem organisierten Drogenhandel verknüpft wie das von Carlos Castaño. Seit einiger Zeit kursieren nun die unterschiedlichsten Gerüchte über das Schicksal des Para-Chefs. Am 16. April kam es zwischen Leibwächtern Castaños und befreundeten Milizen zu Schießereien. Letztere hatten offenbar den Auftrag, Castaño auszuschalten und mundtot zu machen, der seitdem spurlos verschwunden ist.
Castaño hatte 1997 die verschiedenen rechtsextremen paramilitärischen Truppen unter dem Dachverband der AUC formiert und eine schlagkräftige Truppe von mehr als 11.000 Kämpfern entstehen lassen, die seitdem über 40 Prozent des Drogenhandels kontrolliert und das Land mit Terror überzieht. Unter dem Vorwand, die Guerilla zu bekämpfen, wurden ganze Landstriche entvölkert und unter Kontrolle der AUC gestellt.

Am Imagewechsel gescheitert
Mit der Amtseinführung des rechtsautoritären Präsidenten Alvaro Uribe Vélez im August 2002 änderte sich die marginalisierte Situation der AUC. Erstmals bestand die Möglichkeit, die Gruppe als politisches Projekt zu verkaufen. Castaño erkannte die Möglichkeit, die AUC wenn nicht gar zu legalisieren zumindest in die Gesellschaft zu reintegrieren und zivile rechte Politik zu betreiben. Mit Hilfe der Regierung, die ein Gesetz außer Kraft setzte, das nur Verhandlungen mit Gruppierungen mit politischem Status erlaubte, wurden die Friedensgespräche in Gang gesetzt. Um das Image der AUC zu säubern, versuchte Castaño in den letzten Monaten, den Einfluss des Drogenhandels in den eigenen Reihen zu tilgen. Es kam zu offenen Brüchen innerhalb der AUC, die durchsetzt sind von Drogenhändlern.
Um ihr Millionengeschäft zu sichern, schien die neue Garde der Paramilitärkommandanten ihre Gallionsfigur der letzten zehn Jahre geopfert zu haben. Zwar gehen Regierung und AnalystInnen davon aus, dass das Verschwinden von Castaño den Friedensprozess nicht ernsthaft verändern wird. Dieser hatte seit Monaten nicht mehr am Verhandlungstisch mit der Regierung gesessen. Doch das ungeklärte Schicksal von Castaño macht viele nervös.
Der erklärte AUC-Chef Salvatore Mancuso, in der Vergangenheit die rechte Hand Castaños, weist einen geplanten Anschlag seitens der AUC zurück. „Es ist eine konfuse Situation für uns, wirklich beängstigend“. Der Hardliner Mancuso gilt als Verdächtiger eines möglichen Anschlags. Denn: sollte Castaño den Weg in die USA gesucht haben, könnte er dort Informationen über die Verbindungen der Paras mit dem Drogenhandel und deren Köpfe preisgeben. Nicht wenige würden deshalb lieber die Leiche Castaños im Nordwesten Kolumbiens finden, als ihn plaudernd in Washington zu wissen.
Sollte Castaño tatsächlich tot sein, wäre laut der Analystin Bibiana Mercado der Kronzeuge eliminiert, „der die historische Wahrheit des kolumbianischen Paramilitarismus hätte klären können“. Opfer wären nach ihrer Ansicht die Menschen, die Angehörige bei Massakern verloren haben und nach Gerechtigkeit und Aufklärung suchen. Bei einer gelungenen Flucht in die USA sieht Mercado jedoch ein Szenario eintreten, das viele PolitikerInnen, Militärs und Mächtige in Kolumbien, die mit den Paramilitärs verstrickt sind, unter Druck setzen würde. Eine strukturelle Veränderung des Friedensprozesses mit der AUC sei nicht ausgeschlossen, da plötzlich Köpfe rollen könnten.
Die US-Botschaft stritt nach dem Verschwinden Castaños jegliche Mitwisserschaft ab und erklärte, keine direkten Kontakte mit dem Paramilitärchef gehabt zu haben. Eine angeblich vertrauliche Quelle der kolumbianischen Tageszeitung El Tiempo sagte jedoch aus, dass es zwischen den Regierungen beider Länder direkte und geheime Verhandlungen um den Fall Castaño gab. Eine Festnahme in Kolumbien und eine direkte Auslieferung an die USA sei nach der Gesetzeslage nicht möglich gewesen.

Mehr US-Truppen in Kolumbien
Unterdessen macht sich der Einfluss der USA nicht nur im Falle der Paramilitärs immer stärker bemerkbar. Im April denunzierte die FARC-Guerilla, dass US-Militärs mittlerweile direkt in Operationen und Kämpfe im Land verwickelt seien, die das Ziel hätten, Entführte aus den Händen der Guerilla zu befreien. General James Hill, Oberkommandeur für Operationen der US-Truppen in Lateinamerika, forderte Ende April in Bogotá eine Aufstockung der US-Militärpräsenz in Kolumbien auf 800 SoldatInnen. Seit dem Jahr 2000 sind legal 400 professionelle US-Militärs in Kolumbien im Einsatz, sowie die gleiche Zahl privater SöldnerInnen, die vom Pentagon bezahlt werden. Eine Kommission des US-Repräsentantenhauses erhöhte am 13. Mai zwar die Zahl der US-Militärs um nur 100 weitere Soldaten, hob jedoch die Grenze für die Anzahl der Söldner auf. Diese sind für die Ausbildung der kolumbianischen Militärs, zum Schutz von Ölpipelines und für die Besprühungen von Kokafeldern zuständig. Eine definitive Entscheidung über die weitere militärische Einmischung der USA in den kolumbianischen Konflikt wird für Ende Mai erwartet.

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