Nummer 391 - Januar 2007 | Queer

Die linkshändige Seite der Liebe

Pedro Lemebels Kampf wider die chilenische Scheinheiligkeit

Der chilenische Performance-Künstler und Schriftsteller hat im November 2006 den Anna-Seghers-Literaturpreis für sein Gesamtwerk erhalten. Als Chronist der Marginalität, Symbol des homosexuellen Aktivismus und Akteur des Widerstandes gegen die Diktatur Augusto Pinochets ist er eine noch immer unterschätzte Figur der lateinamerikanischen Kulturszene.

Katharina Severin

Majestätisch balanciert sich Pedro Lemebel auf seinen Pfennigabsätzen durch den Saal der Aka­demie der Künste und ergreift das Wort. Nein, er werde sich nicht mit einem Knicks bei der Anna-Seghers-Stiftung für deren Literaturpreis bedanken. Zu unterwürfig sei diese Geste. Viel lieber benutzt er das Wort Verbundenheit und verwandelt die bloße Geste in Aktion: Kaum einen Tag in Berlin hat er an einer Demonstration gegen die NPD teilgenommen: „Nicht viele waren wir“. Aber unter den Wenigen glaubte er Anna Seghers selbst zu spüren und hat sich im Einsatz gegen Nazis mit ihr verbrüdert.
Pedro Lemebel, das ist in Chile ein Symbol für permanente Kritik, für das Engagement für die Rechte der Minderheiten, vor allem der sexuellen Minderheiten. Aber nicht exklusiv, denn „auch unter ihnen gibt es Faschisten“. Und die kann er, da spielt ihre sexuelle Orientierung keine Rolle, gar nicht aus­ste­hen. „Ich toleriere Faschisten nicht. Und es ist auch keiner gezwungen, mich zu tolerieren.“ Das Wort Toleranz impliziere eine zu erhabene Haltung, komme einer von oben herab ausgesprochenen Duldung gleich und verfehle somit die Idee, die vielleicht dahinter steht. Er folgt Derrida, wenn er stattdessen von „freundlicher Großzügigkeit“ spricht.
Und die fehlt in der chilenischen „demos-gracia“ – ein Wortspiel, das zwischen „Wir bedanken uns für diese Demokratie“ und „Wir belächeln diese Demokratie“ zum Nachdenken anregt – an allen Ecken. Einer der Hauptkritikpunkte, die Pedro in seinen Chroniken in Zeitungen und Radio immer wieder aufgreift, ist die Scheinheiligkeit der chilenischen Gesellschaft. Er beschreibt sie mit bissig schwarzem Humor und viel Gefühl.
Chile, das ist für ihn das Land wo Homophobie alltäglich ist, es kein Gesetz zum Schutz sexueller Minderheiten gibt und manch eine Dame aus der rechten Oberschicht immer noch glaubt, ihren General anrufen zu können, um die „Schwuchtel“, die dummerweise vor ihr in der Reihe am Flughafen steht, aus dem Weg räumen zu lassen.
Erst 2003 hatte eine Umfrage zu der Initiative „Nein zur Diskriminierung“ ergeben, dass fast 50 Prozent der Befragten immer noch an eine medizinische Formel zur Verhinderung von Homosexualität glauben.
„Er ist eine Schwuchtel, aber er schreibt gut.“ Auf diese Haltung trifft Pedro spätestens seit seinem im Jahr 2001 veröffentlichten Roman „Tengo miedo Torero“ (der Suhrkamp Verlag machte daraus „Träume aus Plüsch“, 2003) immer häufiger. Und ihn widert diese hinter vermeintlich politisch korrekter Fassade versteckte Diskriminierung an. Begonnen hatte er mit dem Schreiben unter der Pinochet-Diktatur, als er Kurzgeschichten verfasste, mit denen er vielleicht der Realität zu entfliehen versuchte. Den Bruch mit der Fiktion vollzog er mit seiner Namensänderung: Aus Pedro Mardones wurde „der Lemebel“, der in der Annahme des mütterlichen Nachnamens eine „Allianz mit dem Weiblichen“ einging. Und es war und ist jene neue Identität Pedros, die fortan in der politischen Kulturszene Chiles eine aufregende Rolle spielen sollte.

Rechte für das 3. Geschlecht

Die erste öffentliche Demonstration von einer handvoll Homosexueller und Transvestiten, die ihre Rechte als „3. Geschlecht“ einforderten, fand Ende des Jahres 1972 in Santiago statt. Doch diese spontane Manifestation wurde von der Polizei niedergeschlagen.
Der revolutionäre Geist der Zeit reichte nicht, um die herrschende homophobe Einstellung in Frage zu stellen. Die soziale Unruhe, die spürbaren Zeichen des kommenden Putsches ließen eine organisierte homosexuelle Bewegung erst recht nicht zu und die ersten Mutigen verkrochen sich wieder in ihrem Ghetto – dem ausharrenden Schweigen.
Und dann kam Pinochet. Und Verbrechen gegen die Menschlichkeit standen auf der Tagesordnung. Am Rande der Opposition, jener Linken, die innerhalb ihrer Reihen keine sexuelle Andersheit thematisieren wollte, brach Pedro Lemebel 1986 mit seinem „Manifest (Ich spreche für meine Differenz)“ das Schweigen. Er nannte die herrschende machistische Angst beim Namen: „Habt ihr Angst, dass das Leben sich homosexualisiert, Kameraden?“ Korrumpiert er mit seinem Schwulsein die revolutionäre Moral? Hat irgendjemand überhaupt eine Ahnung, was es heißt „mit jener Lepra behaftet zu sein?“ Nein, sie hatten nur gelacht über seine „verschwuchtelte Stimme“ und von diesem Gelächter trägt er „Narben auf dem Kreuz davon“.

Homosexuelle für die Demokratie

Pedro gründet zusammen mit Fransisco Casas im Jahr 1987 Las Yeguas del Apocalipsis, die Stuten der Apokalypse. Ein provokantes Duo, das mit seinen künstlerischen Performances, Video- und Fotografie-Installationen in den kulturellen Zirkeln Santiagos für Aufregung sorgte. „Wir wollten die Stimmung der Komplizität mit der staatlichen Repression brechen, dieses Einnisten im Entsetzen der Diktatur angreifen“, erklärt Pedro ihr Anliegen. In der ohnehin verängstigten Zeit hat der Name des Kollektivs selbst schon für Grauen gesorgt: „Las Yeguas del Apocalipsis“ sagt er heute lächelnd, „das muss wohl nach einer Horde militanter Schwuchteln geklungen haben“. Und dann zwei dürre, nackte Männer auf einem weißen Pferd durch die Stadt traben zu sehen, die Aktion, die sich am tiefsten in die Erinnerung der ChilenInnen gefressen hat, offenbarte deutlich ihr Anliegen: Provokation. Mit hoch erotischen, eindeutig homosexuellen Bildern machten sie sich ans Werk, die politischen und kulturellen Diskurse der Zeit zu ‚homosexualisieren‘.
Noch vor der Volksabstimmung für die Demokratie erschienen die Yeguas im Theater Cariola in Santiago, wo ein politischer Akt der Opposition stattfand, zu dem sie eigentlich nicht eingeladen waren. Sie saßen in schwarzen Regenmänteln in der ersten Reihe, bis sie plötzlich die Bühne stürmten, ihre Hüllen fallen ließen und in Badehosen und auf Stöckelschuhen ein Plakat mit der Aufschrift: „Homosexuelle für die Demokratie“ präsentierten. In ihrer Intervention „Die Konquista Amerikas“ im Sitz der Chilenischen Kommission für Menschenrechte nahmen sie eine Idee der Mütter und Ehefrauen der Verschwunden-Verhafteten auf. Diese hatten den chilenischen Nationaltanz, die cueca, als Solotanz etabliert, um die unerklärte Abwesenheit ihrer Kinder und Männer zu symbolisieren. Die Yeguas tanzten dieses kokette Spiel zwischen den Geschlechtern nun auf einer Landkarte Lateinamerikas voller Glas­scher­ben, auf der ihre bloßen Füße die blutenden Spuren der Diktaturen markierten. Mit solchen Aktionen aus der exzentrischen Position des Transvestismus heraus, versuchten sie die Diskriminierung gegen sexuelle Minderheiten in den politischen Diskurs über die Menschenrechtsverbrechen der Militärdiktatur einzuschreiben.

Chroniken wider Intoleranz

Mit dem Übergang des chilenischen Staates zur Demokratie, vollzog auch Pedro einen Genrewechsel: Von der Performance Kunst wieder zum Schreiben gefunden, wandte er sich der Chronik zu. Er wollte keine Fiktion mehr produzieren, sondern die Dinge bei ihrem Namen benennen. Das Schreiben ist für ihn, der „auf der linkshändigen Seite der Liebe geboren“ wurde, eine politische Kampfzone gegen die Intoleranz. Anfangs, 1992, publizierte er seine urbanen, sozialkritischen Beobachtungen in der Zeitschrift Página Abierta, dann in Punto Final, Rocinante und anderen. Heute schreibt er vor allem in der Satire-Zeitschrift The Clinic, die in hohen Auflagen zirkuliert und mit ihren karikierenden Kommentaren des Alltagsgeschehens genau Pedros Anliegen entspricht: Die chilenische Gesellschaft authentisch zu porträtieren, herkömmliche Geschlechtskonstrukte anzugreifen und soziale Marginalisierung anzusprechen. Ganze fünf Bücher füllen seine Beobachtung bis heute, in denen er versucht „die sozialen Phobien, diese gegenseitigen Ängste, die Unkenntnis“ abzubauen. Und AIDS gehört dazu. AIDS hatte Ende der 80er Jahre jede sexuelle Haltung revolutioniert, das Stigma gegen Homosexuelle vertieft. Pedro schrieb über die Anfänge der Plage:

„Sieh` mich an.
Ich seh` dich doch an.
Nein, du siehst nicht mich, du blickst meinem Tod ins Gesicht. Der Tod ruht sich in meinen Augen aus.
Warum soviel Poesie? Macht sie das Drama erträglicher?
Hör` mal ich rede nicht von Poesie, sondern vom Besessensein.“
(freie Übertragung von „Los diamantes son eternos“ in: „Loco Afan. Crónicas de sidario”, LOM Ediciones, 1996)

Gay Zoo

Bei allen a-, bi-, hetero-, homo-, inter-, metro-, pan-, retro-, oder transsexuellen Identitäten lässt Pedro lieber diese ganzen Vorsilben beiseite und spricht schlicht von „seres sexuados“, von „sexierten Lebewesen“, die sich auf der Landkarte der Geschlechtlichkeit orientieren müssen.
Wenn von Homosexuellen die Rede ist, „warum muss dann immer an die Leder & Latex-Schwulen, die weiblichen Typen mit Perücke und Hackenschuhen oder jene in weißem Markenshirt, mit modischem Kurzhaarschnitt und dem obligatorischen Ohrring, gedacht werden?“ Der Gay Zoo, wie Pedro diese Aufstellung nennt, ist viel umfassender als alle Stereotypen besagen. Fakt ist, dass die Ka-te-go-ri-sie-rung – er zieht die Vokale unendlich in die Länge, wenn er Vorurteile benennt – Homosexueller immer noch nach dem Schema a) sensibel und b) künstlerisch funktioniert. „Und das ist Diskriminierung“, stöhnt Pedro. Warum sollten sie nur bestimmte, – de-ko-ra-ti-ve – Räume im gesellschaftlichen Geschehen einnehmen? „Natürlich stellt die Schwuchtel in Anführungszeichen, eine Herausforderung an den Phallozentrismus dar, denn sie theatralisiert diese Macht durch ihre parodistische Aneignung.“ Aber die Homosexualität ist eben weit mehr als jenes Theater um die Performanz des Geschlechts. Pedro definiert die ‚homosexuelle Kondition‘ eher als eine Form des Handelns, „die nicht unbedingt über Sex ausgedrückt wird“.
Erst wenn andere ihn nicht mehr nach seiner Sexualität befragen, „erst, wenn ich nicht mehr als Ausnahme behandelt werde, werden wir eine gewisse Gerechtigkeit erreicht haben.“

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