Literatur | Nummer 455 - Mai 2012

Die merkwürdigen Chinesen

Mit seinem neuen Buch Der Schwanz der Schlange kann der kubanische Autor Padura nicht an das Niveau seiner bisherigen Kriminalromane anknüpfen

Tobias Lambert

Der Mord ist aufwendig inszeniert. Mit auf die Brust geritzten geheimnisvollen Zeichen hängt der alte Pedro Cuang nackt an einem Deckenbalken. Der Zeigefinger seiner linken Hand ist abgetrennt, in der anderen Hand befinden sich zwei Kupfermünzen, die die gleichen Symbole tragen wie seine Brust. In einem Kreis kreuzen sich zwei Pfeile, vervollständigt durch vier kleine Kreuze. Teniente Mario Conde, seines Zeichens Liebhaber von gutem Essen, Alkohol, tiefgründiger Prosa und hübschen Frauen, hat eigentlich Urlaub. Seine attraktive afrochinesische Kollegin Patricia Chion überredet ihn jedoch dazu, in dem ominösen Mordfall Ermittlungen anzustellen. Diese führen Conde in das chinesische Viertel von Havanna, das Barrio Chino, wo er zunächst Hilfe bei Patricias Vater Juan Chion sucht. Die Indizien deuten im Laufe der Geschichte in Richtung Drogenhandel, religiöse Kulte und Wettmafia, ohne dass es Conde so recht gelingen mag, das Barrio Chino und dessen Bewohner_innen zu verstehen. Über plumpe Klischees kommen seine Gedanken nicht hinaus, denn „eigentlich kam ihm alles merkwürdig vor am Leben dieser Chinesen, die seit mehr als einem Jahrhundert mitten in Havanna lebten und dennoch Fremde geblieben waren”.
Mit Der Schwanz der Schlange kehrt Leonardo Padura in das Jahr 1989 zurück, in dem die ersten vier Folgen der Conde-Serie spielen. Trotz der Gleichzeitigkeit zählt der Autor das Buch literarisch jedoch nicht zum Havanna-Quartett. In Kuba erschien die Geschichte in einer früheren Form bereits als Erzählung, nun hat Padura sie für die Veröffentlichung in Europa zu einem Roman umgearbeitet. Der verharrt in weiten Teilen leider an der Oberfläche der Geschichte, die Figuren sind schwach entwickelt, die Aufklärung des Falls birgt nur wenig Spannung in sich.
Nun standen zwar auch im Havanna-Quartett nie die Kriminalfälle im Vordergrund. Diese dienten Padura stets nur als Handlungsgerüst, um in den kubanischen Alltag einzutauchen. Mit Hilfe der Figur des Polizisten Conde gelang es dem Autor meisterhaft, die Stimmung der kubanischen Krise einzufangen, wie sie durch das nahende Ende der Sowjetunion unausweichlich wurde. Auch die beiden weiteren Conde-Romane, in denen der Protagonist der Polizei frustriert den Rücken gekehrt hat und sich als Antiquar verdingt, funktionieren nach diesem Schema. Doch zeichneten sich die anderen Geschichten stets durch eine intelligente und tief gehende Beschäftigung mit den jeweiligen Themen aus, sei es etwa die Korruption hoher Parteikader oder Homosexualität in Kuba. Die hohen Erwartungen, die Padura durch die bisherigen sechs Conde-Romane geweckt hat, erfüllt Der Schwanz der Schlange daher kaum. Hier und da wird angedeutet, was die Conde-Serie interessant macht. Wer dem kubanischen Ermittler auf diese Weise erstmals begegnet, kommt ohne weiteres in dessen übersichtliche Welt hinein, weil alle für die Serie wichtigen Personen eingeführt werden. Als Einstieg sind die großartigen Romane des Havanna-Quartetts aber allemal vorzuziehen.

Leonardo Padura // Der Schwanz der Schlange // Aus dem kubanischen Spanisch von Hans-Joachim Hartstein // Unionsverlag // Zürich 2012 // 180 Seiten // 19,95 Euro //CHF 28,90 // www.unionsverlag.com

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