Kolumbien | Nummer 491 - Mai 2015

„Die Regierung löst ihre Versprechen nicht ein“

Interview mit der Gewerkschaftsaktivistin Ligia Ines Alzate und Enrique Daza vom kolumbianischen Aktionsnetzwerk gegen Freihandel RECALCA

Seit August 2013 ist das viel diskutierte Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kolumbien in Kraft. Zwei Jahre zuvor wurde bereits ein ähnliches Abkommen zwischen den USA und Kolumbien beschlossen. Die kolumbianische Regierung versprach der Bevölkerung Arbeitsplätze und Wachstum und verpflichtete sich im Rahmen eines Aktionsplans zur Einhaltung und Stärkung von Menschen-, Arbeits- und Umweltrechten. LN sprachen mich Ines Alzate und Enrique Daza über die Untätigkeit der kolumbianischen Regierung in Bezug auf die eingegangenen Verpflichtungen und den Stellenwert der Freihandelsthematik.

Lars Paprotta

Eineinhalb Jahre sind vergangen, seit das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kolumbien vorläufig in Kraft trat. Welche Rolle spielt dieses Abkommen derzeit in der politischen Debatte?
Enrique Daza: In den letzten Monaten wurde es wieder verstärkt thematisiert, da die Diskrepanz zwischen den von der Regierung gemachten Versprechungen und der Realität zu groß ist. Vor allem die Exporte sollten steigen, dank über 300 Millionen neuer potentieller Konsumenten. Aber neueste Daten vom Dezember 2014 zeigen: Unser Handelsbilanzüberschuss mit der EU ist um 20% eingebrochen.Unsere Handelsbilanz mit den Vereinigten Staaten ist bereits defizitär.

Wie erklärt sich diese Entwicklung?
E.D.: Der kolumbianische Exportsektor ist sehr stark abhängig von der weltweiten Nachfrage nach energetisch nutzbaren Rohstoffen, da spielt es zunächst einmal keine Rolle, ob und mit wem wir ein Freihandelsabkommen geschlossen haben. Da die Preise für diese Rohstoffe in den letzten Jahren stark gefallen sind, verlieren unsere Exporte an Wert. Im gleichen Zeitraum haben jedoch die Importe stark zugenommen, vor allem von Produkten die wir besser vor Ort produzieren könnten. Für diese Entwicklung sind die Freihandelsabkommen sehr wohl verantwortlich.
Es handelt sich hier neben Halbfertigwaren vor allem um landwirtschaftliche Erzeugnisse. Das Problem ist, dass diese Produkte in Europa sowie in den USA stark subventioniert werden, deshalb kommen sie sehr günstig auf den kolumbianischen Markt. Molkereiprodukte, Hühnchen, Getreide, Saatgut, um nur einige Wichtige zu nennen. Da es in Kolumbien keine Agrarsubventionen gibt, können wir vom Preis her mit den europäischen und amerikanischen Produkten kaum konkurrieren. Darüber hinaus sind diese auch qualitativ hochwertiger, da es in Kolumbien keine Qualitätskontrolle für Lebensmittel gibt, so dass sich die Leute bei preislich gleichwertigen Produkten letztendlich für das qualitativ bessere entscheiden. Diese Entwicklung ist ein harter Schlag für unsere bäuerliche Landwirtschaft.

Wie steht es um die Einhaltung der menschen- und arbeitsrechtlichen Ziele der Roadmap, dem Aktionsplan, der damals in einer Resolution vom Europäischen Parlament erstellt wurde?
Ligia Ines Alzate: In Bezug hierauf ist die Missachtung der Regierung gegenüber den eingegangenen Verpflichtungen nicht zu übersehen, vor allem beim Thema Arbeitsrechte: Versprochen wurde eine Formalisierung der Arbeitsverhältnisse, stattdessen werden aber weiterhin Kollektivverträge abgeschlossen und es gibt einen starken Trend zu mehr Zeitarbeit. Außerdem sind die Zahlen der offiziellen Arbeitslosigkeit zuletzt stark gestiegen, was darauf hinweist dass die Informalisierung von Arbeit weitergeht.

Hat die Stärkung der Arbeitsaufsicht – ein zentraler Baustein der Roadmap – stattgefunden?
L.I.A.: Offiziell ja. Es gibt jetzt zwar mehr Inspekteure als früher, jedoch sind es immer noch viel zu wenige, um der Aufgabe ernsthaft gerecht zu werden. Problematisch ist auch, dass die Inspekteure vom Staat nur prekär bezahlt werden und auch sonst nicht über die nötige Professionalität für den Umgang mit der strukturellen Missachtung von Arbeitsrechten verfügen. Da die Ergebnisse und Analysen ihrer Inspektionen den Gewerkschaften nicht mitgeteilt werden, können wir keine Verbesserungen erkennen. In Kolumbien gibt es nach wie vor keine funktionierende Arbeitsaufsicht. Und dann wäre da noch die Gewalt gegen Gewerkschaftsaktivisten…

… ein vor allem im US-kolumbianischen Aktionsplan für Arbeitnehme*innenrrechte thematisiertes Problem. Welche Entwicklung gibt es auf diesem Gebiet?
L.I.A.: Es hat sich schon ein wenig verbessert. Die Gewalt ist zurückgegangen, verschwunden ist sie allerdings nicht. Unser Ziel ist, dass nicht ein Gewerkschaftler, nicht eine Gewerkschaftlerin mehr bedroht, verfolgt, gefoltert oder getötet wird. Wir wollen, dass es in Kolumbien starke Gewerkschaften gibt, die ohne Einschüchterung und Repression öffentliche Aktionen und Kampagnen durchführen können und die von der Regierung und den Arbeitgebern als Gesprächspartner auf Augenhöhe angesehen werden, was heute absolut nicht der Fall ist. Der gesellschaftliche Dialog funktioniert nicht, weil uns die Regierung, selbst wenn wir mit ihr am Verhandlungstisch sitzen, nicht zuhört. Aber normalerweise finden die Verhandlungen und Konsultationen zum Thema Arbeitsrechte nur zwischen dem zuständigen Ministerium und den Arbeitgebern statt, die Interessen der Arbeiter haben dort keine Stimme.

Eine negative ökonomische Bilanz, kaum Fortschritte auf arbeits- und menschenrechtlicher Ebene: Ist ein Umschwung der öffentlichen Meinung gegenüber Freihandelsabkommen erkennbar?
E.D.: Das kolumbianische Volk war schon immer sehr skeptisch gegenüber Freihandelsabkommen, da diese an der Bevölkerung vorbei ausgehandelt wurden. Das Problem ist, dass viele Menschen keinen ausreichenden Zugang zu Bildung und Informationen haben, so dass sie den Angriff auf unsere Demokratie, der sich hinter diesen Abkommen verbirgt, nicht verstehen. Ich hoffe, dass es in den nächsten Jahren eine fortsetzende Entwicklung gibt, ein wachsendes Bewusstsein über die Notwendigkeit, unser kulturelles Erbe, unsere Landwirtschaft sowie unsere Arbeitsplätze zu schützen. Der kapitalistische Einfluss der USA und Europas wird immer stärker: im Bildungsapparat, im Kultursektor, im Fernsehen, im Gesundheitswesen, in allen Bereichen. Um diesen zurückzudrängen, wird sich das Volk den mit den Freihandelsabkommen verlorenen politischen Handlungsspielraum zurückholen müssen.

Wie planen eure Organisationen zukünftig den Druck auf die Regierung und auf die Freihandelslogik aufrechtzuerhalten?
L.I.A.: Aktuell können wir öffentlichkeitswirksam darauf aufmerksam machen, dass die Regierung ihre Versprechen nicht einlöst. Dies werden wir weiterhin tun und dazu jede einzelne versprochene und nicht eingehaltene Ankündigung der Roadmap nutzen. Darüber hinaus werden wir verstärkt versuchen, durch Zusammenarbeit mit freihandelsskeptischen Kongressabgeordneten eine öffentliche Debatte über die Auswirkungen des Freihandels in ganz Kolumbien anzuregen. Wir werden weiterhin in Aktionen und Kampagnen die herrschende Ungleichheit und Ungerechtigkeit anprangern und uns für ein besseres und gerechteres Kolumbien einsetzen, welches die Menschen- und Arbeitsrechte achtet und den Umweltschutz ernst nimmt. Die Verhandlungen zu möglichen zukünftigen Freihandelsabkommen werden wir mit lautem Protest begleiten, damit die Regierung versteht, dass wir mit dieser Politik nicht einverstanden sind!

Enrique Daza
ist Gründer und Sprecher des Kolumbianischen Aktionsnetzwerks gegen den Freihandel RECALCA.

Ligia Ines Alzate
ist Mitglied des Exekutivkomitees des kolumbianischen Gewerkschaftsverbands CUT.

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